100 Tonnen Altmaterial haben Eigentümer Dieter Schmeh und die Handwerker aus dem Wohn- und Geschäftshaus am Münsterplatz 3 in Überlingen getragen. Sie haben Zwischendecken herunter gerissen und dahinter eine gotische Decke gefunden. Sie haben Hunderte Kilogramm Rigips abgetragen und eine alte Wand komplett hinterspritzt, damit sie wieder stabil ist. Die Zimmermänner haben die noch originalen Balken in dem dreigeschossigen Eckgebäude untersucht – "da war der Holzwurm drin" – und marode Stücke teils durch einzelne Holzstücke ersetzt. "Das war ein Riesengeschäft", sagt Dieter Schmeh. Wer ein Haus, das von der Denkmalpflege Baden-Württemberg in Bestandteilen auf das Jahr 1320 datiert wird, sanieren möchte, braucht Mut. 2003 hat Schmeh das Gebäude an markanter Stelle gekauft. Einst Pfründhaus zur Versorgung der Kaplaneien der Münsterpfarrei, danach über 100 Jahre Sitz einer Schlosserei, war zuletzt die Gastwirtschaft Zum Goldenen Schlüssel dort untergebracht. "Überformt" nannte Martina Goerlich vom Regierungspräsidium Tübingen den Bau in ihrem Bericht. Vor allem im 19. und 20. Jahrhundert waren Zwischenwände eingezogen worden, "um die Räume heiß zu kriegen", sagt Dieter Schmeh.
Die Ausstattung zeigte sich schadhaft und oberflächlich unbedeutend. Der Reichtum des Hauses versteckte sich unter einer dicken Schicht Baumaterialien. Die historische Bauaufnahme und die Prüfung auf Kulturdenkmaleigenschaft ließen jedoch einiges erahnen. Und bei der Instandsetzung traten die mittelalterlichen Schätze tatsächlich einer nach dem anderen zutage. Einige davon gut erhalten. Zum Beispiel eine Stube mit Decke aus dem 17. Jahrhundert. Unbewusst hatten die früheren Bewohner diese durch Rigips und Co. konserviert. Täglich war Dieter Schmeh, Bauingenieur im Ruhestand, vor Ort, um selbst Hand anzulegen: "Ich bin morgens um 7 Uhr da gewesen und erst um 20 Uhr wieder gegangen." Viele Unwägbarkeiten ergeben sich bei der Sanierung eines solchen Baus. Er habe viel mit dem Denkmalamt und seinem Architekten diskutiert. Die sehr guten Fachhandwerker seien unerlässlich gewesen. Vieles wurde vor Ort entschieden. Und 2011 konnte Schmeh schließlich einziehen. Zweimal wurde das Haus prämiert – mit dem Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege (2011) und mit dem Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg (2012). "Das kann man schon haben", sagt Schmeh und lächelt. Er wohnt gerne am Münsterplatz und ist stolz auf das Eckhaus. Für Überlingen und für den Standort habe es sich gelohnt. Das Haus habe einen Wertzuwachs. Dennoch kann er verstehen, wenn sich Bauherren nicht an ein Vorhaben dieser Art wagen. Zeitlich und finanziell sind sie schwierig einzuschätzen. Gerade für Familien. Und Bauträger haben an einer anschließenden Vermietung oftmals kein Interesse. "Sie bekommen bessere Quadratmeterpreise im Verkauf", so Schmeh. Deshalb gibt es – auch in Überlingen – viele Altbauten, die leer stehen, ohne Aussicht auf Sanierung. Wird mit entsprechender Genehmigung doch mal abgerissen, bleiben oft Baulücken zurück.
Anreize zur Renovierung eines historischen Gebäudes bietet daher beispielsweise das Landessanierungsprogramm. "In Überlingen haben wir momentan drei Sanierungsgebiete über das Landessanierungsprogramm ausgewiesen. Ein Großteil der historischen Altstadt ist mit diesen Sanierungsgebieten abgedeckt. Ziel ist dabei, städtebauliche Missstände in einem überschaubaren Zeitraum zu beseitigen, hierfür gibt es für private Bauherren interessante steuerliche Anreize, auf der anderen Seite können wir aber keinen Bauzwang ausüben", sagt Raphael Wiedemer-Steidinger, Pressesprecher der Stadt Überlingen. In der Kernstadt befinden sich rund 270 eingetragene Kulturdenkmale, die meisten davon sind Gebäude und liegen in der historischen Altstadt. "Des Weiteren haben wir zwei sogenannte 'Sachgesamtheiten'", erläutert Wiedemer-Steidinger. Dabei handelt es sich um die Bodenseegürtelbahn mit allen Gebäuden und technischen Anlagen sowie die Stadtbefestigung mit allen Türmen. Als Untere Denkmalschutzbehörde ist die Stadt Überlingen aber auch "für die circa 90 Denkmale der Teilorte und Ortsteile sowie für die Denkmale der Verwaltungsgemeinschaft mit Owingen und Sipplingen zuständiger Ansprechpartner". Denkmalschutz duldet keine Nachlässigkeit. Deshalb werden regelmäßig Beratungs- und Ortstermine mit dem Landesamt für Denkmalpflege organisiert. Es gibt einen monatlichen Sanierungssprechtag, bei dem sich private Bauherren informieren können, und die Bauverwaltung steht außerhalb der Beratungstermine zur Verfügung. Bauherren sollten die Kommunikation suchen. Sanierungen ohne entsprechende Genehmigungen verstoßen nämlich gegen das geltende Denkmalschutzgesetz. Greifen aber alle Hebel ineinander, winkt am Ende ein Haus voller Seele. So wie am Münsterplatz 3 in Überlingen.
"Die Qualitäten zeigen sich erst im Inneren"
Ein besonderes Sanierungsprojekt verfolgt seit einigen Jahren die Stadtverwaltung Meßkirch. Sie möchte sich mit ihrem Rathaus in das nebenstehende ehemalige Hotel Löwen erweitern. Die Stadtverwaltung braucht mehr Platz für Büros. Der Schritt, die Anbindung an den Bau gleich nebenan zu prüfen, schien logisch. Auf den ersten Blick ist dieser etwas verlebt. "Für viele ist ein Altbau nichts Attraktives. Die Qualitäten zeigen sich erst im Inneren", sagt Stadtbaumeister Thomas Kölschbach. Doch lassen sich das Rathaus, ein Sandsteinbau, der 1899 erbaut wurde, und ein Gebäude, das weitaus älter ist, überhaupt verbinden? Beide Bauten im Herzen Meßkirchs sind historisch wertvoll und stehen unter Denkmalschutz. Bereits im Sommer 2015 wurde die bauhistorische Aufnahme beendet. Und seitdem ist klar: Die horizontalen Ebenen der beiden Gebäude sind zum Beispiel aneinander angebunden. Es gibt keine schwierigen Höhenunterschiede. Außerdem sind die Statik und Bausubstanz in Ordnung. Lediglich die Anschlussstelle des Dachs an ein Nachbargebäude und der Kamin im Löwen müssen ausgebessert werden. Außerdem haben sich zwei Geschossdecken durch frühere Rückbaumaßnahmen etwas abgesenkt. Herausgefunden wurde auch: Der Löwen ist älter als gedacht. Verbaute Hölzer wurden teils zwischen 1532 und 1552 gefällt, fand die beauftragte Bauhistorikerin heraus. Eine frühe Stadtansicht bestätigt die Untersuchungsergebnisse. "Es wurde viel entdeckt, was historisch wertvoll ist", erklärt Thomas Kölschbach.