Weihnachten ist ein Phänomen. Einmal im Jahr erinnert sich das Volk, das sonst eher im Finstern wandelt, des großen göttlichen Lichts, das vom Himmel herab auf die Erde fällt. Die kollektive festliche Begehung der Menschwerdung Gottes in Jesus ist flächendeckend, geradezu epidemisch. Bethlehem, ein unbedeutendes Nest, wird für einige Tage und Stunden zum Nabel der Welt. Wir sehen daran, dass der Mensch unheilbar religiös ist, weil Gott ihn nicht loslässt. Gott ist eben, so hat der Schweizer und Schriftsteller Kurt Marti treffend geschrieben, „der große Verrückte, der immer noch an die Menschen glaubt“.
Deshalb hat Gott sich das hochheilige Unternehmen Bethlehem ausgedacht. Mit ihm rückt er dem Menschen auf den Pelz. Der kann sich Gott nun nicht mehr vom Leibe halten, weil der leiblich wird in Jesus, dem Gott-Sohn mit Hand und Fuß. Als Bündel Mensch liegt Christus in einer Futterkiste, hineingeboren in die Welt von einer Kindsmutter im jugendlichen Alter. Der vermeintliche Vater weiß nicht so recht, was da geschieht, sprachlos-hilflos der Mann und in Gedanken bereits auf der Flucht. Trostlos und geruchsintensiv ist das Stallgeschehen und überhaupt nicht romantisch. Aber Gott will unbedingt Erde schmecken, und zwar so, wie Erde schmeckt bei den Ärmsten unter seinen Kindern.
Gott glaubt aber nicht nur wie verrückt an die Menschen. Er liebt sie. Und er will, wie ein Paulus später schrieb, dass keiner von seinen Menschen verloren geht. Verloren zu gehen bedeutet: keinen Halt zu haben und keine Liebe zu kennen. Keine Träume und keine Hoffnungen zu haben und keinen Sinn zu finden in dem, was wir Leben nennen. An keinen Gott zu glauben als Tröster im Leben und im Sterben, zu dem man beten kann. Verloren zu sein: das ist furchtbar. Es ist furchtbar, dieses beklemmende Gefühl zu haben, dass es nichts und niemanden gibt hier und da draußen im eiskalten Universum, der nach mir sieht. Verloren zu sein – das ist die Hölle mitten im Leben.
Die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem ist die freundliche Einladung Gottes, im Glauben an seinen lieben Sohn dem Gefühl der Verlorenheit und jeglicher Hölle zu entkommen. Wenn einer liebt und der, den er liebt, leidet: was macht er dann? Er beugt sich, er bückt sich. Nimm an, deine Frau, dein Mann, dein Kind liegt krank, irgendwo. Du wirst auf Haltung pfeifen, du wirst alle Etikette vergessen. Du wirst hingehen, du wirst streicheln, du wirst trösten, dein Herz wird brennen vor Sorge.
Gott bückt sich zum Lager des kranken, verlorenen Menschen. Das bedeutet Weihnachten. Das und nichts anderes. In Jesus kümmert sich Gott. In ihm meldet er sich sanft, aber kräftig zu Wort. In ihm bringt er Lahme zum Gehen, Blinde zum Sehen, Schwätzer zum Schweigen, Tote zum Leben. Mit Jesus erblüht das Wissen, dass der verrückte Gott die Welt und die Menschen weder dem Chaos noch der Sinnlosigkeit noch dem Tod preisgibt. Welt ging verloren, Christ ist geboren. Freue Dich!
Zur Person
Diedrich Onnen wurde 1951 in Norden/Ostfriesland geboren. Nach dem Abitur 1970 arbeitete er als Redakteur bei Tageszeitungen, bis Mai 1975 beim SÜDKURIER in Konstanz. Anschließend studierte er Theologie in Heidelberg und war als Vikar in Ettenheim und St. Leon-Rot tätig. Von 1983 bis 1990 war er Pfarrer in Waldkirch-Kollnau. Von 1990 bis zur Pensionierung 2016 war er Pfarrer der „Laetare“-Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen. Er lebt mit Ehefrau Iris in Dornbirn/Vorarlberg.