Die Hexen sind uns näher als man denkt. Eine Hexenjagd gibt es nicht nur bei Hänsel und Gretel, die der bösen Hexe den Garaus machen. Später hatte Bibi Blocksberg Konjunktur und in keinem ordentlichen Kaspertheater darf eine Hexe fehlen. Das Attribut „Kräuterhexe“ gilt als Ausweis von Kompetenz und in der Fastnacht spielen Hexen eine Hauptrolle.

Nicht zu spaßen war mit dem Thema im 16. und 17. Jahrhundert, einer Hochphase der Hexenverfolgungen. Wie weit diese verbreitet waren, zeigte Historiker Johannes Dillinger in seinem Vortrag mit einer Landkarte der dokumentierten Hexenprozesse. Der Hochschullehrer in Oxford und Mainz bewies mit seinen Ausführungen, dass man dunkle Kapitel der Geschichte Ernst nehmen und dennoch auf kurzweilige Art präsentieren kann.

Weniger Prozesse als anderswo

Ein Freispruch erster Klasse war es zwar nicht ganz für ihre Stadt, doch die Zuhörer konnten nach des „Hexologen“ mit einer gewissen Erleichterung nach Hause gehen. Denn ein Hotspot der Hexenverfolgung war die Freie Reichsstadt nicht, wie der ausgewiesene Experte nach intensiven Archivstudien in seinem Vortrag deutlich machte. Insgesamt 39 Verfahren seien in der Zeit zwischen 1529 und 1615 dokumentiert, bei denen es zu 19 Todesurteilen kam – gegen 18 Frauen und einen Mann. Nachzulesen ist dies in Ratsprotokollen und Prozessakten. „Es gab tatsächlich auch Freisprüche“, berichtet der Historiker. Entlastung vom Spezialisten erfuhr die Kirche , die beim Thema Hexen schnell auf die Anklagebank gesetzt wird, aber hier nichts zu sagen hatte.

Einen kleinen Makel hat die ganze Erzählung dennoch. Der Rat der Stadt und die weltlichen Richter nahmen die Hexenverfolgung zwar nicht so ernst wie manche andere. Wenn allerdings mal eine vermeintliche Hexe vor Gericht kam, halfen auch entlastende Fakten meist nicht weiter. „Die Prozesse wurden nicht mit der gebotenen juristischen Sorgfalt geführt“, interpretiert Dillinger die Aufzeichnungen.

Ursache oft kleine Streitigkeiten

Hintergrund seien oft Denunziationen von Nachbarn gewesen, die für irgendein Ärgernis irgendeine/n Schuldige/n suchten. Sei es, wenn ihre Kuh plötzlich keine Milch gegeben hatte, wie Illustrationen zeigten. In der Regel musste auch noch der Teufel irgendwo seine Hand im Spiel gehabt haben. Am häufigsten waren es Wetterschäden wie Gewitterstürme, Hagel oder Frost, die für einen Ernteausfall und Leid in der Bevölkerung gesorgt hatten. „Je größer der Schaden war, desto massiver die Verfolgung“, sagt Dillinger. Bei seinen Forschungen war ihm aufgefallen, dass dies oft in Weinregionen der Fall gewesen sei. Als Folge sei die Zahl der Hexenverfolgungen höher als anderswo.

Warum wirkte sich dies in Überlingen mit seinem großflächigen Weinbau nicht aus? Auch dafür hat der Hexenprofessor eine Erklärung. „Aufgrund des milden Seeklimas waren Frostschäden beim Wein hier offensichtlich selten“, erklärte er. Weshalb die Stadt auch nicht so oft nach Hexen als Schuldige suchen musste. Im Jahr 1608 sei der letzte dokumentierte Prozess allerdings auf einen Spätfrost zurückgegangen.

Erst Folter, dann Geständnis, dann Schuldspruch

Auch damals forderten die Richter in der Regel Indizien oder ein Rechtsgutachten, das seit 1532 sogar vorgeschrieben war. Was in der Freien Reichsstadt allerdings niemand interessierte. Lieber wurde dann kurzer Prozess gemacht: Erst die Folter, dann das Geständnis und schließlich der Schuldspruch.

„Wer eine Folter ohne Geständnis überstanden hat, dessen Unschuld war praktisch bewiesen“ sagt Dillinger: „Das gab es allerdings nur in wenigen Ausnahmen.“ Auch eine Begnadigung rettete die Opfer nicht. Es ersparte ihnen allenfalls die Verbrennung bei lebendigem Leib. Stattdessen wurde die Hexe enthauptet und erst anschließend verbrannt.

Und wo geschah dies? Johannes Dillinger verwies auf den Galgenbühl, die Erhebung westlich der Luisenhöhe, wo die Todesurteile damals vollstreckt wurden. Wer noch mehr Details zu diesem Thema wissen will, braucht noch etwas Geduld. „Nächstes Jahr wird es ein Buch über die Hexen von Überlingen geben“, versprach der Historiker zum Abschluss.

Nicht nach dem Bösen suchen

Johannes Dillinger
Johannes Dillinger | Bild: Hanspeter Walter

Wie wirkt Ihr Thema bis in die heutige Zeit?

Nun, die Hexenangst ist noch immer nicht ganz verschwunden. Im metaphorischen Sinn gibt es die Hexenjagd ja auch heute noch. Wir sind weiterhin bemüht, uns von den Bösen abzugrenzen, und als Böse können die unterschiedlichsten Gruppen etikettiert werden. Die Lehre von der Hexenverfolgung könnte heute sein, niemanden zu verteufeln. Nicht nach dem Bösen suchen, sondern nach dem Guten suchen, auch bei denen, die uns gegenüber negativ erscheinen. Nicht dämonisieren, sondern vertrauen und nicht misstrauen. Sonst kommen wir nicht weiter, sonst reiben wir uns auf.

Welchen persönlichen Zugang oder Bezug haben Sie zum Thema?

Ich habe mich in meiner Doktorarbeit mit den Hexenverfolgungen befasst. Konkret war dies ein Vergleich zwischen den Hexen in schwäbisch Österreich mit den Hexen von Kurtrier. Ich habe mittlerweile mehrere Bücher über die Hexerei gemacht und verschiedene Artikel in Sammelbänden verfasst.

Was hat Sie bei der Beschäftigung mit dem Thema am meisten überrascht?

In Überlingen hat mich überrascht, wie schlecht letztlich die Justiz die Verfahren gehandhabt hat. Wie wenig Sorgfalt auf die einzelnen Fälle verwandt worden ist. Auch die Banalität der Konflikte, die im Hintergrund gestanden hatten, das waren alltägliche Streitigkeiten. Die führten dazu, dass einzelne Personen getötet werden, ohne dass der Rat auch nur die Notwendigkeit sieht, Sorgfalt auf das Verfahren zu verwenden. In Überlingen hat es tatsächlich sehr wenige Prozesse gegeben. Aber wenn es einen Prozess gab, spielte die Rechtsnorm überhaupt keine Rolle mehr.