Seit einer Woche schwingt immer ein wenig Sorge mit, wenn Aleyda Paul aus dem Fenster blickt. Nachdem sie im SÜDKURIER vom Bauvorhaben eines arabischen Investors direkt gegenüber erfahren hat, für das die beiden Gebäude Hafenstraße 16 und 18 weichen müssten, hat sie sich mit ihrer Mutter Tsenala zusammengesetzt und Gedanken gemacht.
Seit einigen Tagen hängt nun ein Protestbanner aus ihrem Fenster: "Zu verkaufen: historische Altstadt. Bevorzugte Käufer: Milliardäre weltweit. Zweckentfremdung gewünscht", steht sarkastisch darauf geschrieben. "Wir sind hier eine Gemeinschaft und es gehört sich nicht, dass unsere Stadt als Kapitalanlage genutzt wird", sagt Aleyda Paul. Der geplante Bau passe nicht in die Hafenstraße. "Vermutlich entstehen nur wieder Ferienwohnungen, die dann das ganze Jahr leer stehen." In der Hafenstraße kennen das die Bewohner bereits.
Seit Familie Paul vor 15 Jahren hergezogen ist, habe sich das Bild stark verändert: Familien seien ausgezogen und Ferienwohnungen entstanden, die einen Großteil des Jahres ungenutzt bleiben. Aus ihrer Heimat USA wissen die Pauls, wohin das führen kann. "Da gibt es viele sogenannte 'Ghosttowns'", erklärt Alyda Paul. "Wir wollen nicht, dass das in Überlingen auch passiert."

Tatsächlich ist es nicht nur die Zukunft der Hafenstraße, die in Überlingen derzeit heftig die Gemüter bewegt. Neben dem dortigen Bauvorhaben haben auch die Pläne für die Fischerhäuservorstadt am Mittwochabend für einen Ansturm der Bürger auf den Ratssaal gesorgt. „Es ist immer schön, wenn viele Bürger im Saal sind“, freute sich Stadtplaner Thomas Kölschbach. „Das heißt immer: Das Thema interessiert, das Thema reizt, das Thema polarisiert.“ Ihm mache es dann besonders „viel Spaß, sich damit auseinanderzusetzen und gemeinsam ein positives Ergebnis zu erzielen.“ Denn die Bauleitplanung diene schließlich immer dem „Allgemeinwohl“.
Wie komplex die bau- und sanierungsrechtlichen Verhältnisse hier sind, wurde an verschiedenen Stellen deutlich. Noch in der Vorlage zur aktuellen Sitzung hatte die Verwaltung dem Gemeinderat empfohlen, nach dem Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans für die Quartiere an der Hafen- und Schulstraße eine Veränderungssperre zu erlassen. „Es soll unterbunden werden, dass während des Planungsprozesses vollendete Tatsachen geschaffen werden, indem bauliche Anlagen errichtet oder die Grundstücke in einer Weise verändert werden, die den Festsetzungen des künftigen Bebauungsplanes widersprechen“, hieß es da: „Der vorliegende Bauantrag steht den angedachten Zielen der Bauleitplanung entgegen.“

Der Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans wurde vom Gremium einstimmig gefasst. Entgegen der Sitzungsvorlage sei eine Veränderungssperre allerdings gar nicht erforderlich, waren sich Baubürgermeister Matthias Längin und sein Stadtplaner einig. Mit dem geltenden Sanierungsrecht greife sogar ein „höherwertigeres Instrumentarium“, nämlich das der sanierungsrechtlichen Genehmigung. Man brauche daher nicht die Befürchtung eines „ungeregelten Abgangs“ haben.
Das Baurechtsamt habe auch zu keiner Zeit eine Abrissgenehmigung erteilt, wie der Antragsteller gegenüber der Zeitung suggeriert habe, und die erforderliche sanierungsrechtliche Genehmigung liege ihm nicht vor. „Es werden hier keine Bagger rollen“, sagte OB Jan Zeitler und fügte später hinzu: „Ich glaube, dass eine sanierungsrechtliche Genehmigung für diese Gebäude in weiter Ferne ist.“

Bis dahin soll der Bebauungsplan umreißen, was die Stadt hier wünscht. Ziel der Bauleitplanung müsse es sein, die „historisch gewachsene Siedlungsstruktur zu bewahren und wieder herzustellen“, betonte Stadtplaner Thomas Kölschbach. Am aktuellen Baugesuch erläuterte der Stadtplaner, dass die geltende Altstadtsatzung mit ihren gestalterischen Vorgaben und der Paragraf 34 des Baugesetzbuches – die Orientierung an der umgebenden Bebauung – hier nicht ausreichten, um die Dimensionierung des Gebäudes begrenzen zu können. Zwar sei eine Innenverdichtung durchaus erwünscht, allerdings müsse diese als „städtebaulich vertretbare nachhaltige Entwicklung geregelt werden“, sagte Kölschbach.
Das Für und Wider eines Ensembleschutzes
Dass die historische Altstadt eines besonderen Schutzes bedarf, dessen sind sich die meisten Beteiligten einig. Auch darin, dass das Zentrum lebendig bleiben soll und Menschen hier gerne, gut und zeitgemäß leben können. Vor dem Hintergrund der aktuellen Bauvorhaben kam das Instrument des denkmalpflegerischen Ensembleschutzes in die Diskussion, der nicht nur alle Gebäude eines Areals, sondern auch Straßen und Plätze in den Blick nimmt.
Neben diesen Vorteilen einer Gesamtschau sieht Stadtplaner Thomas Kölschbach die Gefahr einer freiwilligen Einengung. Das Argument Kölschbachs, der Ensembleschutz könne ein Hindernis für Investoren sein, wollte Stadträtin Bernadette Siemensmeyer (LBU/Grüne) allerdings nicht unwidersprochen stehen lassen. Es gebe durchaus Architekten, die auf ein sensibles historisches Umfeld spezialisiert seien.
Auch in der übrigen Ratsrunde war das Instrument teilweise auf Sympathie gestoßen. Günter Hornstein (CDU) sah darin vor dem Hintergrund der aktuellen „Goldgräberstimmung“ durchaus eine Option und verwies darauf, dass die Viererbundstadt Rottweil mit einem Ensembleschutz gute Erfahrungen gemacht habe. Er werde im Gespräch mit dem Rottweiler Kollegen diese Thematik ansprechen, sagte OB Jan Zeitler. Skeptisch äußerte sich Reinhard Weigelt (FDP) und warnte vor einer „Käseglocke“ über der Stadt.