Weihnachten, das ist gleichermaßen Lichterglanz und Eiertanz, Konsumrausch und Gabentausch, Friede auf Erden und zum Verrücktwerden. Alle Facetten des liebsten Festes der Deutschen, von der Krippenidylle bis zum Familiendrama, bringt Barbara Stoll mit ihrem unverwechselbaren Timbre bei ihrer Weihnachtslesung in der ausverkauften Stadtbücherei zu Gehör. Die Schauspielerin, Regisseurin und Sängerin ist gebürtige Überlingerin und die "Stimme des Kultursenders Arte", wie Büchereileiterin Bärbel Frei sie vorstellt.
Weihnachtsgeschichten für Erwachsene zu finden, die nicht zu betulich daherkämen, sei gar nicht so einfach, verrät Stoll, über 20 Bücher habe sie gewälzt – mit Erfolg. Die erlesene Auswahl ist wie ein bunter Teller, der für jeden etwas bietet, Besinnliches und Hintersinniges ebenso wie Heiteres und Groteskes. Die Mischung enthält etwa Rainer Maria Rilke, Rudolf Hagelstange, Robert Walser, Erich Kästner, Heinz Erhardt, Franz Hohler, Ernst Jandl, Paul Maar, Gerhart Polt, Martin Suter und Mark Spörrle – und natürlich Loriot. Spörrle stöhnt über die Festmahlfolter bei der Schwiegermutter, deren Extraportionen er so trickreich entsorgt, dass er letztlich hungrig heimfährt. Polt erinnert sich mit Grausen an Herbert K., der unter ihm wohnte und ihm als Bub jeden Heiligabend mit seiner Geschenkeinventur versaute, die immer zu Herberts Gunsten ausfiel.
Rührend ist hingegen Hagelstanges "Was Maria hätte schreiben können", ein imaginärer Brief der Muttergottes über die Geburt Jesu. Echte Adventsstimmung kommt auf mit zarten Rilke-Gedichten. Große Heiterkeit lösen wiederum Paul Maars doppelter Weihnachtsmann und Franz Hohlers Erklärung aus, wie die Berge in die Schweiz kamen: indem die ehemals topfebene Schweiz mit den Holländern Tulpenzwiebeln gegen deren einstige Gebirge tauschte.
Dass Kästner sowohl Kinderbuchautor und Humorist als auch Sozialkritiker war, belegt seine "Legende, nicht ganz stubenrein" von 1929, in der Gott zu Weihnachten mal selbst auf die Erde niedersteigt, kräftig Präsente verteilt, an die Reichen zuerst, doch als die Armen an der Reihe wären, ist sein Konto überzogen. Gott kann nichts mehr schenken, meint aber, bevor er verduftet, noch weise zu drei sozialistisch eingestellten Journalisten "die Armen müssten nichts entbehren, wenn es nur nicht so sehr viele wären." Den Bescherungsterror wirtschaftlich besserer Zeiten treibt Ephraim Kishon auf die Spitze und in Loriots "Advent" wird der Förster gar von seiner Frau erschossen, zerlegt und in Geschenkpapier gewickelt. Doch damit lässt das begeisterte Publikum Stoll nicht davonkommen. Als Zugabe gibt’s noch einen handfesten Familienkrach von Spörrle um die richtige Reihenfolge des heiligabendlichen Rituals. Beim Rausgehen sagt eine Besucherin: "Also, bei uns wird erst gesungen, dann gegessen und dann beschert."