Adrian Schulte war gerade mit einem Patienten in ein Gespräch vertieft, als draußen die Motorsägen losheulten. Das war Ende Juli. Mitten im Sommer wurden gegenüber seiner Fastenklinik in der Hödinger Brunnenstraße zahlreiche Bäume gefällt. "Ich war schockiert", sagt Schulte heute. Dort wo einst ein Bauernhaus mit Scheune stand, soll nun ein mehrgeschossiger Wohnblock entstehen. Geplant sind 15 Wohneinheiten – unterteilt in Zwei-, Drei- und Vier-Zimmer-Wohnungen – die im Internet derzeit mit "Blick ins Grüne und auf den Bodensee" beworben werden.
Schulte schreibt an OB Zeitler
Diese Vorhaben gefällt Adrian Schulte überhaupt nicht. Seit 1999 betreibt er seine Fastenklinik im Überlinger Teilort. Er habe den Ort vor allem wegen der idyllischen Lage und der beruhigenden Atmosphäre gewählt. Seit die Bäume weg sind, kann jeder von der Brunnenstraße aus in den Garten der Klinik blicken. "Wenn ich damals gewusst hätte, dass da ein dreistöckiges Siedlungshaus hinkommt, wäre ich nie hierher gezogen", sagt Schulte. Zwar sei er in der Vergangenheit informiert worden, dass aufgrund des Bauvorhabens Bäume weichen müssen, allerdings sei von zehn Bäumen die Rede gewesen. Dass nun deutlich mehr gefällt wurden und dass die Fällungen ohne weitere Information der Anwohner plötzlich starteten, habe ihn sehr überrascht und geärgert. Den persönlichen Umgang finde er "schon heftig", sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. "So geht man aus meiner Sicht nicht mit Menschen um!", schreibt er auch in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Jan Zeitler.
Landratsamt: Naturschutzbelange wurden eingehalten
Schulte ist nicht allein mit seinem Ärger. Auch ein empörter Leser meldete sich beim SÜDKURIER. Er sei entsetzt, dass ein uralter Baumbestand mit Linden und Buchen im Sommer einfach abgeholzt werden. Er fragte: Ist das im Sommer überhaupt erlaubt? Ja, sagt das Landratsamt als Untere Naturschutzbehörde auf SÜDKURIER-Nachfrage. "Die Baumfällungen waren möglich, weil es sich bei dem Areal um Wald im Sinne des Landeswaldgesetzes handelt", schreibt Pressesprecher Robert Schwarz. "Naturschutzbelange sind vorher durch ein Gutachten geprüft worden. Daraus ergaben sich keine Hinderungsgründe bezüglich des Artenschutzes."
Der Einschlag des Fichtenbestands sei für eine Baufreigabe "aus Sicherheitsgründen alternativlos" gewesen, da die Bäume krank gewesen seien. "Die Labilität ist vor allem auf die fortgeschrittene Rotfäule – belegt durch ein Gutachten – sowie durch umstürzende Bäume im Januar 2018 offensichtlich", schreibt Schwarz. Der Fichtenbestand sei an diesem Hang aus forstfachlicher Sicht als eine Fehlbestockung zu bezeichnen. Zu den ebenfalls gefällten Buchen und Linden macht das Landratsamt keine Angaben.
Fällung ist Thema im Bauauschuss
Auch die Stadt verweist darauf, dass alles rechtmäßig abgelaufen sei. "Die Baurechtsbehörde hat im Baugenehmigungsverfahren für ein Wohngebäude auf dem Grundstück, auf welchem sich auch der von Ihnen angesprochene Wald befindet, die Fachbehörden ordnungsgemäß beteiligt, deren Aufgabenbereiche berührt werden. Die Baugenehmigung wurde darauf hin noch 2017 erteilt", heißt es auf Anfrage.
Dies erklärte auch Baubürgermeister Matthias Längin auf Nachfrage von Stadtrat Lothar Thum (ÜfA/FWV) im Bauausschuss des Gemeinderats. Es sei "unschön", dass jetzt persönlich Dinge ins Spiel gebracht würden, sagte Längin. „Hier wird wieder ein Fass aufgemacht von jemandem, der sich auch noch anwaltlich vertreten lässt“, sagte Längin: „Streng genommen dürfte der gar nicht an uns herantreten, da er seinen Anwalt mandatiert hat.“ Adrian Schulte kann das nicht nachvollziehen. Er habe in der Vergangenheit immer gute Beziehungen zur Stadt gehabt.
Status "Wald" bleibt trotz Rodung bestehen
Trotz der Rodung bleibt für die Fläche an der Brunnenstraße der Status "Wald" bleibt bestehen, teilt die Stadt mit. "Diese Waldfläche muss bis Jahresende 2018 wieder aufgeforstet werden", heißt es hierzu von der Verwaltung. Laut Forstamt sei eine Wiederbewaldung mit standörtlich geeigneten, heimischen Laubbäumen als Auflage vorgesehen.
Darüber kann Adrian Schulte nur lachen. Zwar habe er selbst erste Ersatzpflanzungen vorgenommen und wolle noch weitere Bäume pflanzen, um wieder einen gewissen Sichtschutz zu erlangen, aber "es werden Jahre vergehen, bis meine frisch gepflanzten Bäume wieder etwas Wald ähnliches entstehen lassen". Auf rechtliche Schritte will Schulte verzichten. Doch er überlegt, persönliche Konsequenzen zu ziehen und mit seiner Fastenklinik aus Überlingen abzuwandern. "Ich muss mich erst einmal sammeln und mich in den kommenden Monaten neu orientieren."
Naturschutzgesetz
Das Bundesnaturschutzgesetzt verbietet, Bäume, Hecken, lebende Zäune, Gebüsche und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September zu fällen, abzuschneiden oder auf den Stock zu setzen. Zulässig sind schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen oder zur Gesunderhaltung von Bäumen. Diese Vorschriften gelten jedoch nicht für Waldflächen. Hierfür sind die Regeln im Landeswaldgesetzes maßgebend, die im vorliegenden Fall eingehalten wurden. (mde)