Die Diakonie Markdorf stellt keine Tafelausweise mehr aus. So heißen jene Einkaufsberechtigungskarten, deren Besitzer sich für einen geringen, symbolisch zu verstehenden Betrag Lebensmittel in der Markdorfer Tafel abholen können. „Wir waren gezwungen, die Notbremse zu ziehen“, erläutert Günther Wieth die Hintergründe. Wieth ist der Vorsitzende des Tafel-Trägervereins Zukunftswerkstatt. In der Tafel am Stadtgraben können sich Bedürftige mit Obst und Gemüse, Wurst und Molkereiprodukten eindecken. Mit Lebensmitteln, die zu viel produziert worden sind.

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Zahl der Tafelkunden hat sich seit Januar verdoppelt

Den Stopp der Tafelausweisausgabe begründet Wieth mit der aktuellen Situation im Tafelladen. „Derzeit sind 250 Ausweise im Umlauf“, erklärt er. Dahinter stehen rund 750 Bedürftige, da die Diakonie die Berechtigungen an Familien ausgibt. „Woche für Woche kommen bis zu 150 Familien“, schildert Wieth die Situation am Ausgabenachmittag jeden Donnerstag. „Im Januar waren es noch rund 70 Familien an jedem Donnerstag, die Zahl hat sich also mehr als verdoppelt.“ Und allmählich macht sich der Tafelleiter Sorgen um seine ehrenamtlichen Mitarbeiter. Sie stoßen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Sie sind körperlich gefordert. Die Ausgabe der Lebensmittel strenge an. Seine freiwilligen Mitarbeiter seien darüber hinaus aber auch psychischen Belastungen ausgesetzt.

Tafelleiter Günther Wieth freut sich über Markdorf-Gutscheine, die für die Tafel gespendet werden.
Tafelleiter Günther Wieth freut sich über Markdorf-Gutscheine, die für die Tafel gespendet werden. | Bild: Jörg Büsche

Die Menge der Spendenlebensmittel hat sich halbiert

Psychisch belaste es die Helfer, dass das Lebensmittelangebot in den vergangenen Wochen stark geschrumpft ist. „Von den Discountern kommen immer weniger Produkte“, bedauert Günther Wieth. Insgesamt habe sich die Menge der gespendeten Molkereiprodukte, aber auch anderer Waren, die ihr Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben, um fast die Hälfte reduziert. „Das ist auch der Grund, weshalb wir von einem unserem Grundgedanken abgerückt sind“, erklärt Wieth. Kernanliegen der Markdorfer Tafel sei es ja, Lebensmittel aus dem Abfallkreislauf herauszunehmen. Dahinter stehe der Wunsch nach einem sinnvollen Umgang mit Lebensmitteln, erläutert der Tafelleiter.

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Inzwischen kommen aber so viele Tafelkunden und sei der Bedarf so stark angewachsen, dass eigentlich viele leer ausgehen müssten. Wäre die Tafel nicht abgerückt von ihrem Prinzip, das da heißt: „Wir kaufen keine Lebensmittel ein.“ Eben dazu aber sei die Tafel inzwischen genötigt, sagt Wieth.

Schwierige Arbeitsbedingungen

Und noch etwas belastet die freiwilligen Tafelmitarbeiter, so berichtet Günther Wieth. „Viele Kunden halten uns für eine öffentliche Einrichtung.“ Daraus leite sich für einige ein gewisses Anspruchsdenken ab, ebenso wie ein entsprechendes Auftreten, eine fordernde Haltung. „Bei der Ausgabe braucht es schon einer gewissen Robustheit“, erklärt Wieth. Ohnehin sei der donnerstägliche Betrieb im Tafelladen nichts für Leute mit schwachem Nervenkostüm. „Dabei darf man nicht vergessen, dass die Tafelmitarbeiter ihre Arbeit freiwillig tun, ohne Entgelt und auch ohne Aufwandsentschädigung.“ Im Gegenteil: viele schießen noch aus eigener Tasche hinzu, etwa bei ihren Fahrtkosten.

Das Angebot wird dünner: Im Tafelladen am Stadtgraben gibt es immer weniger Spendenlebensmittel zu sortieren.
Das Angebot wird dünner: Im Tafelladen am Stadtgraben gibt es immer weniger Spendenlebensmittel zu sortieren. | Bild: Jörg Büsche

Es sind aber die organisatorischen Schwierigkeiten, die den Tafelleiter nun zum Stopp der Ausweisausgabe gezwungen haben. „Unser Tafelladen ist dem Andrang nicht mehr gewachsen.“ Die Ausgabe lasse sich auch nicht mehr weiter optimieren. Und Selbstbedienung lehnt Wieth ebenso ab wie ein Kassensystem. Hier bedürfte es dann einer mühevollen Preisauszeichnung. Dort würde am Tafel-Donnerstag der Andrang dann zum Windhundrennen werden, bei dem manch einer das Nachsehen hätte.

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Staunen über die Politik

Einstweilen zeigt sich der Tafelleiter ratlos. Doch anders als durch Lebensmittelzukauf weiß er sich aktuell nicht zu helfen. „Derzeit beschaffen wir für 1000 bis 1300 Euro die Woche Lebensmittel.“ Das Geld dafür kommt aus Spenden. Doch fragt sich Wieth, „ob das der richtige Weg sein kann?“ Sehr nachdenklich klingt er auch, wird er nach dem Funktionieren des Sozialsystems gefragt. „Die Selbstverständlichkeit, mit der manche Politiker sich auf die Ehrenamtlichen verlassen, bringt mich schon etwas aus der Fassung“, sagt er.

Und wenn das Stuttgarter Sozialministerium, wie auf dem Internetauftritt des Landes mitgeteilt wird, den Landes-Tafelverband nun mit 100.000 Euro fördern möchte, dann macht Wieth eine desillusionierende Rechnung auf: „In Baden-Württemberg gibt es 150 Tafeln, 100.000 durch 150 macht 666 Euro im Jahr pro Tafel. Wir geben das Doppelte in der Woche für Lebensmittel aus, dank unseren Spendern.“ So aber werde die Sozialpolitik privatisiert, kritisiert Wieth.