Heiligenberg – Sie sprühen voller Lebensfreude, die Bewohner der Dorfgemeinschaft Hermannsberg, die beim Pressegespräch zum 40-jährigen Bestehen der Camphill-Einrichtung über ihre Erfahrungen berichten. In dem Weiler bei Heiligenberg leben heute 114 erwachsene Menschen mit Behinderungen, für die die Gemeinschaft "ein gesundes, zeit- und gesellschaftsgerechtes Zuhause" sein will.

Karl Wiedmann kann es kaum erwarten und ist ebenso erzählfreudig wie neugierig. "Ich arbeite hier in der Schreinerei", sagt er und fügt schmunzelnd hinzu: "Herr Kalmbach ist dort unsere Maestro." Doch zeigt Karl Wiedmann auch, dass sein Horizont weit über den Hermannsberg hinaus reicht. "Ich war schon mehrfach in Chicago", berichtet er stolz: "Ich war auch schon in Hamburg und Berlin, ja sogar im Bundestag." Er interessiert sich für andere Sprachen und freut sich über die Freiwilligen, die aus aller Welt hier eintrudeln.

"Die kommen aus Nepal und dem Senegal, aus Tadschikistan und Südafrika", beschreibt Heimleiterin Karin Kwiek die Internationalität insbesondere der temporären Mitarbeiter. Meist gelangen die jungen Menschen über die Stiftung der "Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners" an den Bodensee. Auf diese Weise gebe es einen intensiven interkulturellen Austausch, berichtet Kwiek. Über diese Abwechslung freut sich auch Karl Wiedmann ganz besonders. Sein Zuhause will er allerdings nicht aufgeben. "Nein, mir gefällt es. Ich möchte nicht hier weg", betont er ganz dezidiert.

Anders Frank Synakiewic, der sich im Moment wünscht, in eine geplante externe Wohngruppe nach Salem-Neufrach zu ziehen, und sich schon darauf freut. Er kam im Januar 1977 hierher und zählt zu den Alteingesessenen, die den Hermannsberg aus dem Effeff kennen. Allerdings würde er gerne noch etwas eigenständiger leben. Schon jetzt ist Frank Synakiewic viel unterwegs und arbeitet regelmäßig im "Lagerhäusle" in Altheim. "Manchmal in der Küche, manchmal im Service", sagt er: "Das macht Spaß." Auch in einer Außenwohngruppe würde es eine ambulante Betreuung geben.

"Die Gemeinschaft gibt dem Einzelnen das soziale Übungsfeld zu seiner Weiterentwicklung. Der Einzelne leistet seinen Beitrag, um die Gemeinschaft zu dieser Aufgabe zu befähigen", beschreibt der Hermannsberg sein Selbstverständnis: "So wird Gemeinschaft zum Feld sozialer Kultur und der Einzelne zum Kulturträger, der auch im Sinne der Entwicklung seiner Mitmenschen tätig wird. Darin findet er Würde und Lebenssinn." Wer es kann und will, hat vor diesem Hintergrund auch die Möglichkeit, den sicheren Hafen der Dorfgemeinschaft zu verlassen, ohne den Kontakt zu opfern. "Dies wird dem Wunsch- und Wahlrecht der Bewohner gerecht", betont Geschäftsführer Christoph Heemann, der auf die entsprechende UN-Konvention verweist.

Heemann ist seit 1995 hier tätig und hat in verschiedenen Funktionen mehr als die Hälfte der bisherigen Geschichte begleitet. Er kennt noch genau das Datum, an dem er hier anfing. Auch viele Bewohner haben ein nahezu fotografisches Gedächtnis, wenn sie in ihren Erinnerungen kramen. "Damals warst du noch im Lager", weiß Solveigh Fellmann. Sie spielt nicht nur seit 18 Jahren im Glockenchor des Hermannsberg mit, sie ist auch im Heimbeirat der Bewohner engagiert. "Wenn andere ein Problem haben, können sie mir das sagen und ich gebe das weiter", beschreibt sie ihre Verantwortung für die Gemeinschaft.

Ein ganz zentrales Element neben den verschiedenen Werkstätten ist auf dem Hermannsberg seit jeher die Landwirtschaft, die nach biologisch-dynamischen Richtlinien arbeitet und hier wie auf dem benachbarten Lichthof Demeter-Produkte erzeugt. Kennenlernen, kosten und kaufen können sie die Besucher wie andere Erzeugnisse beim Geburtstagsfest am Sonntag, 19. Juni (11 bis 17 Uhr).

Der Hermannsberg von 1259 bis heute

Der Hermannsberg hat eine lange Geschichte, wie die ersten bekannten urkundlichen Erwähnungen von zwei Gutshöfen und einer Pfarrkirche aus den Jahren 1254 und 1259 belegen. Die Ländereien firmierten damals noch unter "Mons S. Hermetis" und waren Gegenstand eines Tauschgeschäfts der Heiligenberger Grafen mit dem Kloster Reichenau.

Der 5. März 1360 wird als Gründungstag eines Beginen-Klosters für Frauen angesehen, in dem sich zunächst vier Klausnerinnen niederließen. Später kam die Deutsch-Ordenskommende von der Mainau ins Spiel, die Schwestern schlossen sich dem dritten Orden des Heiligen Franziskus an.

Während des Dreißigjährigen Krieges wurde das Kloster 1633 von schwedischen Truppen ausgeplündert und verwüstet. Trotz schwerer Zerstörungen durch die Schweden suchten die geflohenen Terziarinnen ihr Kloster bald wieder auf und schufen sich eine dürftige Unterkunft. 1684 konnte die alte Kirche wieder renoviert werden. Nach der Säkularisation gelangte das schöne, drei Stock hohe Klostergebäude, das zwei Flügel bildete, in den Besitz von Georg Dreher aus Pfullendorf, der es zwischenzeitlich in eine Bierbrauerei umwandelte.

Ein neuer Abschnitt begann, als Kurt Hahn, der Begründer der Schulen Schloss Salem, das Anwesen auf dem Hermannsberg 1925 erwarb. Zuerst zogen 12 Salemer Kinder hier ein – im Jahre 1933 war die Höchstzahl von 55 Schülern erreicht. Als Hahn, der wegen seiner jüdischen Wurzeln nach Schottland floh, 1953 nach Deutschland zurückkehrte, ließ er sich wieder auf dem Hermannsberg nieder und starb dort im Dezember 1974 im Alter von 88 Jahren.

Am 1. Juli 1976 erwarb der Verein Camphill Dorfgemeinschaften das ehemalige Kloster mit der Kapelle und den Gebäuden, die von der Schule Schloss Salem errichtet worden waren. Die Bewohner der Dorfgemeinschaft Hermannsberg, ihre Freunde und Angehörigen machten es sich unter anderem zur Aufgabe, die Kapelle, die bereits 1259 urkundlich erwähnt ist, zu renovieren und nutzbar zu machen. Aus acht betreuten Menschen sind inzwischen 114 Bewohner geworden, von denen ein kleinerer Teil auch auf dem nahen Lichthof zuhause ist.

Ihren 40. Geburtstag feiert die Dorfgemeinschaft Hermannsberg am Sonntag, 19. Juni, von 11 bis 17 Uhr mit vielen Aktivitäten und kulturellen Angeboten auf dem ganzen Gelände. Dazu gehören Aufführungen der Musikband und der Eurythmiegruppe, Puppentheater für Kinder sowie viele gastronomische Schmankerl. Vorgesehen ist der Verkauf von Werkstattprodukten, eine Präsentation der Landwirtschaft und Ausbildungsangebots im Camphill-Seminar Frickingen. (hpw)