Wer Brigitte Ehrlinspiel im Gespräch erlebt, kann kaum glauben, dass sie ihren Beruf – die Leitung des Hotels "Wellenhof" in Hagnau – wirklich an den Nagel hängt. Sie ist voller Energie und Witz und scheint diesen Beruf, der für sie Berufung war, noch ewig weiterführen zu können. Doch seit Monatsbeginn ist wirklich Schluss: Die "Wellenhof"-Wirtin ist 75 Jahre alt und hört nach 53 Jahren Leben und Arbeiten fürs Hotel auf. "Meine Schwester hat mir ins Gewissen geredet", erzählt sie: "Du wirst älter und was ist, wenn dir was passiert?"
Mit 21 Jahren lernte die gebürtige Österreicherin aus Schruns im Montafon bei einem Fasnachtsskirennen für Gäste 1964 den Hagnauer Ernst Ehrlinspiel kennen; ein Jahr später heirateten sie und übernahmen 1966 das Hotel von seinen Eltern. "Gleich der erste Tag war hart: Wir hatten 36 Frühstücke für die Hochzeitsgäste." Insgesamt war das eine harte Zeit. "Wir haben viel schaffen müssen. Damals bis 1981 hatten wir Halb- und Vollpension. Die Vollpension hat im Jahr 1965 25 Mark gekostet."
Die Aufgaben waren klar verteilt. "Mein Mann hat als gelernter Koch die Küche geführt, ich habe mich um die Gäste und die Zimmer gekümmert." Personal gab es nur für wenige Stunden am Tag. Da hatte Brigitte Ehrlinspiel während der Saison kaum Pausen im Tagesablauf. "Wir mussten früh aufstehen und das Frühstück bereiten. Abends wurde es dann auch immer spät, ehe das Abendessen fertig und alles aufgeräumt war." Dazwischen mussten die Zimmer geputzt, das Mittagessen bereitet, die An- und Abfahrten der Gäste organisiert, die für den Betrieb nötigen Dinge eingekauft und die Verwaltungsarbeit erledigt werden. "Das ging ja früher alles viel langsamer als heute. Allein die Anfragen und Anmeldungen erforderten oft mehrere Telefonate und Briefwechsel, ehe ein Gast endlich kam. Internet und E-Mails gab es ja noch nicht." Dabei ging sie immer mit der Zeit und hat sich in den vergangenen Jahren noch in das Programm für den elektronischen Meldeschein eingearbeitet.
Gäste kommen über mehrere Generationen wieder
Ihre Hauptaufgabe aber sah sie stets im Wohle ihrer Gäste. "Die meisten kamen immer wieder, teilweise sogar über mehrere Generationen. Da kennt man sich sehr gut. Ich habe schon beim Frühstück versucht, gute Stimmung zu verbreiten, wenn es einmal zu ruhig herging. Dann konnte ich auch schon mal derb werden. Aber nie bösartig", erinnert sie sich. "Ich hatte immer Glück mit meinen Gästen." Die Attraktion des Hauses "war ganz sicher der eigene Steg. Der war bei den Gästen sehr beliebt."
Sie weiß auch einiges aus der Geschichte des Hotels vor ihrer Zeit zu berichten. "Als das Hotel 1929 eröffnete, hieß es zuerst 'Seeterrasse'. Doch so hießen viele Hotels am See. Dann haben meine Schwiegereltern kurz darauf in Bregenz eine Kneipe mit dem Namen 'Wellenhof' gesehen. Das hat ihnen gefallen. Sie haben den Wirt gefragt, ob sie den Namen verwenden dürfen; als der sie besucht hatte, meinte er: Das Haus ist ja viel schöner als meines. Natürlich dürft ihr den Namen führen."
Auch sonst hat das Haus einiges erlebt. "Mein Schwiegervater hatte lange in Frankreich gelebt und konnte nicht nur sehr gut Französisch sprechen, sondern auch alle Dialekte verstehen. Da wurden gegen Kriegsende französische Soldaten bei uns einquartiert. Aber meine Schwiegermutter war eine resolute Frau. Vor der hatten sie Respekt. Mit Schuhen auf dem Bett liegen, das gab es zum Beispiel bei ihr nicht." Stolz ist sie darauf, dass sie stets schuldenfrei geblieben sind. "Wir haben nach und nach umgebaut und alles Private ins Haus gesteckt." Ab 2010, als ihr Mann erkrankte und 2013 starb, führte sie schließlich das Haus allein.
Nun geht also nach 53 Jahren eine Ära zu Ende. Was aus dem Hotel langfristig wird, weiß sie nicht. "Das geht mich auch nichts mehr an." Jedenfalls hat ein privater Investor das Haus gekauft und an Barbaros Sögüt verpachtet, der in Meersburg ein Fitness-Studio und Ferienwohnungen betreibt. Der will das Haus großen Teils so weiter führen, wie es bisher war.
"Er übernimmt auch alles Inventar. Nur meine Bilder, die ich selbst gemalt habe, nehme ich mit nach Immenstaad." Dort hat sie sich vom Erlös des Hotels eine Wohnung gekauft. "Doch ich bleibe Hagnau treu", versichert sie Bürgermeister Volker Frede beim Abschied. "Ich komme immer wieder. Ganz sicher werde ich einige Konzerte besuchen. Dafür habe ich ja jetzt mehr Zeit."
Wellenhof
- 1929: Der Gasthof "Seeterrasse" wird von Ernst Ehrlinspiel sr. und seiner Frau Anna eröffnet.
- 1931: Um Verwechslungen vorzubeugen, wird der Name in "Wellenhof" geändert.
- 1965: Ernst Ehrlinspiel jr. heiratet die Österreicherin Brigitte Wössner, die sofort in den Betrieb mit einsteigt.
- 1966: Ernst jr. und Brigitte übernehmen das Hotel von Anna Ehrlinspiel.
- 1981: Statt Vollpension und Halbpension gibt es nur noch Zimmer mit Frühstück. Daneben wird für Gäste von außen ein Café- und Vesperbetrieb angeboten.
- 2010: Brigitte Ehrlinspiel führt das Haus allein, weil ihr Mann erkrankt ist.
- 2013: Tod von Ernst Ehrlinspiel jr.
- Oktober 2018: Brigitte Ehrlinspiel verkauft den "Wellenhof". Damit sind 90 Jahre Familienbesitz und 53 Jahre Brigitte Ehrlinspiel als Wirtin Geschichte.