„Meine Vorstandskollegin hat gerade abgesagt, sie muss das Kind früher aus der Kita holen“, sagt Nicole Dathe, Vorsitzende des Gesamtelternbeirats (GEB) in Friedrichshafen. Thema des Treffens: Die Kita-Krise, ausgelöst durch einen riesigen Fachkräftemangel – auch hier in Friedrichshafen. Verkürzte Öffnungszeiten, geschlossene Kitagruppen, Notbetreuung sind längst bittere Realität für viele Einrichtungen und Familien – und die Erkältungszeit hat erst begonnen. Doch was wird getan gegen den Fachkräftemangel? Gibt es funktionierende Fachkräfteoffensiven? Anreize?

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Es ist viele Jahre her, dass Gemeinderäte eine eigene Fachschule für Sozialpädagogik in Friedrichshafen vorschlugen. Die Idee: Wenn hier Erzieherinnen ausgebildet werdet, kommt mehr Nachwuchs in die Kitas, der dann auch bleibt. Am Ende lief es auf die Umsiedlung einer solchen Fachschule in Trägerschaft des Landkreises von Markdorf nach Friedrichshafen hinaus.

Die Droste-Hülshoff-Schule in Friedrichshafen wird zum Standort einer Fachschule für Sozialpädagogik. Unterrichtet wird aktuell aber ...
Die Droste-Hülshoff-Schule in Friedrichshafen wird zum Standort einer Fachschule für Sozialpädagogik. Unterrichtet wird aktuell aber noch am alten Schulstandort in Markdorf, denn es müssen erst Umbauten stattfindet. Ab dem Schuljahr 2023/2024 soll dann in Friedrichshafen unterrichtet werden. | Bild: Lippisch, Mona

Seit diesem Schuljahr 2022/2023 ist die Fachschule, einst zur Justus-Liebig-Schule in Überlingen gehörend, beim Berufsschulzentrum der Droste-Hülshoff-Schule angesiedelt. Doch Unterricht gibt es in Friedrichshafen noch keinen, die Schüler fahren alle noch zum alten Standort Markdorf. „Wir brauchen erst die Räumlichkeiten, müssen mit den Nachbarschulen zusammenrücken und Umbauten machen“, erklärt Studiendirektor Fritz Märker, der die Fachschule koordiniert. Aktuell gibt es 65 Auszubildende im neuen Jahrgang, theoretisch könnten es doppelt so viele sein. „Erklärtes Ziel sind mehr Schüler“, sagt Märker. Der Plan: Ab September 2023 soll in Friedrichshafen unterrichtet werden.

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Mehr Nachwuchs – dieser Wunsch steht auch bei den Trägern ganz oben auf der Liste. „In diesem Jahr konnten wir alle Ausbildungsplätze, die wir anbieten, besetzen. Aber es hat sehr lang gedauert“, erklärt Judith Richter, bei der Katholischen Gesamtkirchengemeinde für die Personalgewinnung zuständig. Normalerweise seien alle Ausbildungsstellen bis Ende Februar besetzt gewesen, jetzt wurden im August noch die letzten Verträge unterschrieben. Bei den Stellen für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ), die Friedrichshafen über die Zeppelin-Stiftung zusätzlich finanziert, habe das nicht funktioniert. Co-Dekan Reimar Krauß berichtet, dass die Evangelische Gesamtkirchengemeinde keine einzige FSJ-Stelle besetzen konnte. Aktuell werden acht Fachkräfte ausgebildet.

Zeigt die Fachschule bereits Effekte?

Krauß sagt: „Die Umsiedlung einer Schule für pädagogische Fachkräfte von Markdorf nach Friedrichshafen kann offensichtlich nicht dazu beitragen, die Nachwuchssituation in der Region maßgeblich zu verbessern.“ Richter verweist darauf, dass es in den Teams bereits Ergänzungskräfte gebe, die darauf warten, dass die Schule nach Friedrichshafen zieht. Denn auch angehende Erzieherinnen hätten selbst oft schon Familie – und bräuchten kurze Wege. Für Andrea Bauer vom freien Träger Educcare, der die ZF-Kita Ratzfatz betreibt, ist die Fachschule zwar nicht die alleinige Lösung, aber ein guter Ansatz. „Es ist wichtig, dass Ausbildung und Praxis eng miteinander kooperieren“, sagt sie und bietet der Schule Workshops an.

Was macht die geplante Fachkräfteoffensive?

Laut Stadtverwaltung arbeiten die Träger an einer größeren Fachkräfteoffensive, mit der mehr Personal gewonnen werden soll. Nicole Dathe vom Gesamtelternbeirat berichtet von der Arbeitsgruppe Personalgewinnung: „Uns wurde eine große Werbekampagne angekündigt, die den Fachkräftemangel beseitigen soll.“ Die Eltern seien dankbar für die freiwilligen Leistungen der Zeppelin-Stiftung, hätten aber das Gefühl, dass sich die Stadt teils darauf ausruhe, berichtet Dathe. Gerade auf den Fachkräftemangel müsste viel dynamischer reagiert werden. „2018/2019 haben wir noch um Ausweitungen der Randzeiten konkret bis 20.30 Uhr und sogar von der Vision einer 24-Stunden-Kita für FN gesprochen, um den Lebensrealitäten aller Menschen gerecht zu werden: Schichtarbeitern, Alleinerziehenden – so weit waren wir schon“, sagt Nicole Dathe, „jetzt sind wir an dem Punkt, dass nicht mal reguläre Öffnungszeiten abgedeckt werden können.“

„Wir sind mehr wert“: Im Frühjahr streikten Erzieherinnen in Friedrichshafen und der Region Bodensee-Oberschwaben. Bezahlt ...
„Wir sind mehr wert“: Im Frühjahr streikten Erzieherinnen in Friedrichshafen und der Region Bodensee-Oberschwaben. Bezahlt wird bei vielen Trägern nach Tarif, größere Anreizsysteme gibt es allerdings nicht. | Bild: Corinna Raupach

Anreize, Boni, Zuschläge – Träger stehen in Konkurrenz

Blickt man in andere Branchen mit akutem Fachkräftemangel, beispielsweise ins Handwerk, sieht man, wie Arbeitgeber sich mit Anreizen überbieten. Vier-Tage-Woche, Antrittsgeld, Schichtzulagen oder sogar Wohnraum – die Liste der Möglichkeiten ist lang. Fakt ist: Der soziale Bereich funktioniert aktuell nicht nach den Regeln der freien Marktwirtschaft, es findet also nur wenig Wettbewerb statt. Kirchliche und kommunaler Träger zahlen nach Tarifen, die allerdings wenig Spielraum lassen. Schichtzulagen für Erzieherinnen in Ganztagseinrichtungen? Das sehen die Tarife ebenso wenig vor wie sonstige finanzielle Anreize. Allerdings gibt es, auch für Kommunen, die Möglichkeit Arbeitsmarktzulagen zu zahlen, quasi Antrittsgelder. „Die Zahlung einer Arbeitsmarktzulage wird im Einzelfall geprüft und gegebenenfalls gewährt“, erklärt Monika Blank. Das kann bis zu 20 Prozent der Stufe 2 der jeweiligen Entgeltgruppe sein.

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