Es ist schon die 13. Fahrt, die Werner Nuber kurz vor Weihnachten mit vielen Hilfsgütern in Richtung Ukraine unternimmt. Doch diesmal ist alles anders. Nach zwölf privaten Hilfsreisen stoppt der Transporter nicht an der polnischen Grenzstation, um die Fracht zu übergeben.
1000 Kilometer quer durch die Ukraine
Die Fahrt geht diesmal weiter, fast 1000 Kilometer quer durch die Ukraine gen Osten, auf dem Hinweg an Kiew vorbei bis nach Horishni Plavni. Eine Stadt mit rund 50.000 Einwohnern, fast genauso groß wie Friedrichshafen. Eine Stadt, die vom russischen Angriffskrieg gezeichnet ist, auch wenn die Frontlinie aktuell gut 150 Kilometer entfernt verläuft. „Jede Nacht Luftalarm macht was mit einem“, sagt er leise. Auch wenn die Drohnen bisher immer über die Stadt hinweg flogen, um die Geschosse in Kiew abzuladen.

Werner Nuber ist Vorsitzender des im Sommer gegründeten Vereins „Brücke nach Horishni Plavni“, der inzwischen schon gut 60 Mitglieder hat. Im Vorfeld entschied der Gemeinderat, eine Solidarpartnerschaft mit der ukrainischen Stadt einzugehen, als Zeichen der Mitmenschlichkeit und Solidarität der Häfler. Dass die Wahl auf Horishni Plavni am Fluß Dnjepr fiel und nicht etwa auf eine Stadt am Schwarzen Meer, liegt daran, dass hier die Zeppelin GmbH seit 20 Jahren eine große Niederlassung hat. Peter Gerstmann, bis Ende 2024 Vorstandsvorsitzender des Stiftungsunternehmens, engagiert sich persönlich, ist Vize-Vereinschef. Die Transporter für die Lieferung hat Zeppelin gestellt.
Eisenerzmine vor den Toren der Stadt
Schön ist die Stadt nicht. „Hier macht keiner Urlaub wie in unserer Partnerstadt Imperia“, erklärt Nuber. Die Stadt lebt vom Eisenerzabbau in der größten Tagebaumine Europas. Eigentlich. Denn seit Kriegsausbruch gibt es nicht mehr genügend Arbeitskräfte.

„Wir wollen und können helfen, ganz direkt. Was sich später daraus entwickelt, werden wir sehen“, erklärt der Vereinsvorsitzende schlicht. Beim ersten Besuch einer Delegation aus Horishni Plavni mit Bürgermeister Dmytro Bykov im September in Friedrichshafen wurde schnell klar, wo konkret Hilfe gebraucht wird.

Hilfsgüter binnen Wochen fertig gepackt
Nur Wochen später waren 57 Weihnachtspakete für Waisenkinder gepackt, dazu 100 Schutzausrüstungen für Feuerwehrleute und medizinisches Material für das Krankenhaus, das einmal mehr über den Chefarzt der Frauenklinik in Friedrichshafen, Hans-Walter Vollert, organisiert wurde. Und so starten fünf Vereinsmitglieder am 5. Dezember mit zwei vollbeladenen Transportern die erste Hilfsfahrt des Vereins direkt nach Horishni Plavni. Neben Werner Nuber sind Florian Nägele, Jürgen Schipek, Hubert Sauter und Iryna Sandaliuk dabei.

Die Zeichen des Krieges seien überall zu sehen, auch dort, wo es keine zerstörten Gebäude oder Bombentrichter gibt, erzählt Werner Nuber. In einem Städtchen in der Zentralukraine standen am Straßenrand die Porträts von 99 teils sehr jungen Männern, die im Krieg gefallen waren. „Wir müssen weinen“, steht nüchtern im Online-Reisetagebuch der Gruppe. 200 Kilometer nördlich von Odessa erreicht sie erstmals eine Meldung vom Luftalarm dort. Der Krieg war nahe.
Wie Staatsgäste empfangen
In Horishni Plavni selbst seien sie wie Staatsgäste empfangen worden, auch vom Fernsehen. „Wir wurden wie eine offizielle Delegation der Stadt hofiert, so groß war die Wertschätzung, dass wir tatsächlich gekommen sind“, erzählt Werner Nuber. Bei der Übergabe der Hilfsgüter blieb es nicht. Bürgermeister und Rathausspitze nahmen sich zwei Tage Zeit, um den Gästen zu zeigen und zu erklären, mit welchen Herausforderungen die Menschen dort zu kämpfen haben.

Die Stadt hat rund 8000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen, die verarmt sind und versorgt werden müssen. Etwa genauso viele Fachkräfte sind abgewandert oder mussten an die Front. Arbeit vor Ort gäbe es genug. Im Krankenhaus werden 60 Betten dauerhaft für verletzte Soldaten freigehalten. Viele Kriegsversehrte und deren Familien seien traumatisiert, berichtet Werner Nuber. Probleme, die der Verein – Hand in Hand mit dem Rathaus in Horishni Plavni – mit konkreten Projekten angehen will. „Die Stadt will nicht warten, bis der Krieg zu Ende ist“, so Nuber.

So engagiert sich Jürgen Schipek, der bis Ende 2023 Geschäftsführer der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshafen war, beim Aufbau neuer Strukturen für den dringend notwendigen kommunalen Wohnungsbau in der Ukraine. In der Häfler Partnerstadt soll ein Pilotprojekt für den Bau eines neuen Stadtteils mit tausenden Wohnungen starten, unterstützt mit Geldern der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW).
Zwei Psychologen aus Friedrichshafen, die Stadträtin Dr. Dagmar Hoehne und Matthias Krüger von der Psychiatrischen Tagesklinik, wollen bei der Versorgung von Traumapatienten helfen. Ein Künstler-Projekt ist in Planung, weil die Menschen in Horishni Plavni „auch was für die Seele brauchen“, sagt Werner Nuber. Und über die Ludwig-Dürr-Schule soll ein Schüleraustausch angekurbelt werden, wenn auch vorerst nur einseitig.
Frieden nicht um jeden Preis
Was der Krieg mit den Menschen macht, hätten sie in vielen Gesprächen erfahren, nicht nur mit den Funktionären, sagt Werner Nuber. „Sie wollen Frieden, aber nicht um jeden Preis. Schon gar nicht unter den Russen“, sagt er. So habe Bürgermeister Dmytro Bykov klar formuliert, dass er Russe ist und erst am 24. Februar 2022, als Putins Truppen einmarschiert sind, zum Ukrainer geworden sei. Die Angst sei da, dass die Stadt östlich des Dnjeprs mit der riesigen Eisenerzmine vor der Haustür von den Russen beansprucht werden könnte, wenn es zu Verhandlungen kommt.