Der Mann in voller Feuerwehrkluft mit Sauerstoffflaschen auf dem Rücken zieht nur vereinzelt die Blicke der Passanten an der Häfler Uferpromenade auf sich. Zielstrebig biegt er auf den Steg zum Moleturm ab und steigt dort die Treppen nach oben. Wenig später kommt er ebenso flott wieder herunter. Von einem Einsatzgrund fehlt jede Spur.
Kai Eichler schmunzelt kurz, als er über Reaktionen auf sein Erscheinen nachdenkt. „Manche fragen tatsächlich, ob es einen Einsatz gibt, aber das sind in Friedrichshafen nur wenige“, sagt er. Besonders in der Nähe seines Wohnorts Immenstaad sei sein Gesicht inzwischen bekannt; nur Touristen sprechen ihn noch an. Dabei ist es genau diese Verwunderung und der Kontakt, den Eichler mit seinen Aktionen sucht. „Ich möchte Armut eine Stimme geben und besonders auf die Situation obdachloser und wohnungsloser Menschen aufmerksam machen.“ Dafür wolle er eigentlich jeden Tag an einem anderen Ort laufen, „das geht aber nicht immer.“
Seit 2016 für soziale Zwecke aktiv
Wo immer er gerade unterwegs sei, suche er auch den Austausch mit Obdachlosen. „Ich dränge mich da nicht auf, meist suchen sie selbst das Gespräch und fragen, was ich da mache“, schildert Eichler. Dabei habe er auch schon einige Lebensgeschichten erzählt bekommen: „Das ist schon schlimm, was ich da höre: Familie verloren, Wohnung verloren,... Und es gibt auch junge Leute, die es gar nicht anders kennen.“ Die hätten dann oft gar keine Idee, dass etwa der Staat ihnen helfen könne, weil sie nie jemand darauf hingewiesen habe. Auch sonst sei eines klar: „Es ist oft nur ein kleiner Schritt in die Armut und Obdachlosigkeit, das kann ganz schnell gehen.“
Seit 2016 läuft der inzwischen 50-Jährige für den guten Zweck; zunächst kamen die Spenden dem Kinderhospizdienst Amalie zugute, für den er sich weiterhin ehrenamtlich engagiert. „Aktuell bitte ich darum, sich eine regionale Organisation dafür zu suchen, die sich für Obdachlose einsetzt“, sagt er, selbst nehme er keine Spenden an: „Mir geht‘s da auch mehr um die Sache als um mich. Daher habe ich auch gesagt: keine Weltrekorde mehr.“
Seine aktuelle Herausforderung dauert bereits mehr als ein ganzes Jahr. An 365 Tagen wollte er jeweils mindestens 40 Minuten gehen und um die vier Kilometer zurücklegen. Die Tage liegen eigentlich bereits hinter ihm und mit etwas mehr als 1600 Kilometern hat er auch die Wunschdistanz geschafft. Doch weil er eineinhalb Wochen lang wegen Krankheit nicht nach draußen konnte und sein Ansprechpartner am Ziel derzeit im Urlaub ist, dauert die Aktion nun 13 statt zwölf Monate. „Am 4. September findet mein Zieleinlauf dann in Berlin statt“, erklärt er. Dort erwarte ihn der Armutsbeauftragte Thomas de Vachroi von Simion, der für den Kirchenkreis Neukölln zuständig sei und die dortige Tee- und Wärmestube, der ihn letztlich zur aktuellen Aktion inspiriert habe.
Eichler hat das Laufen allerdings nicht erst für sich entdeckt, um Aufmerksamkeit auf soziale Projekte zu lenken. „Ich habe früher an Ultramarathons teilgenommen, gesund war das nicht“, räumt er rückblickend ein- „Ich habe die ganze Woche gearbeitet und bin dann am Wochenende beispielsweise nach Ulm gefahren und 100 Kilometer gelaufen.“ Stattdessen lege er nun in seinem eigenen Tempo selbst gesteckte Ziele zurück, um auf relevante Themen aufmerksam zu machen. „Ich habe mich irgendwann gefragt, wie ich etwas für den guten Zweck tun kann“, sagt er und dann sei die Idee entstanden, das Feuerwehrmann-Sein mit dem Laufen zu verbinden. Bei der Feuerwehr ist er nämlich bereits seit 2007, seit 2020 stellvertretender Kommandant bei der Freiwilligen Feuerwehr Immenstaad. Eines ist für ihn klar: Ihm gehe es gut, er lebe privilegiert. „Und da möchte ich der Gesellschaft auch etwas zurückgeben, das ist wichtig“, sagt er.
Seit er 18 Jahre alt ist, arbeitet Eichler im Schichtdienst. Zunächst während seiner Ausbildung in der Werksicherheit, später nach seinem Meister in höherer Position – aktuell als Funktionsleiter der Werksicherheit – aber immer im gleichen Beruf. „Ein bisschen crazy ist das schon: Ich habe nie normal gearbeitet, immer in Drei-Schicht. Der Drei-Schicht-Dienst gibt mir aber auch Flexibilität für mein Engagement“, erklärt er. So habe er manchmal unter der Woche einen freien Tag, den er nutzen könne und generell Freizeit zu unterschiedlichen Tageszeiten.
Nach Jahresaktion erst mal Pause
Ob er den Vorsatz, jeden Tag mehrere Kilometer zu gehen, irgendwann auch mal für eine blöde Idee gehalten hat? Er lacht und sagt: „Definitiv, gerade nach einer Spätschicht früh aufzustehen, um laufen zu gehen. Da hätte ich manchmal schon gern stattdessen ausgeschlafen.“ Auch die Temperaturschwankungen in voller Montur seien anstrengend gewesen: „An meinem ersten Tag, als ich hier an der Herberge gestartet bin, da hatte es 33, 34 Grad. Das eine Mal in Triberg minus 13.“ Durchgehalten habe er dennoch: „Ich will das nicht missen. Die ganzen Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, die ganzen Menschen, denen ich begegnet bin.“ Nach dem 4. September werde er aber erst mal eine Laufpause einlegen, „zumindest in diesem Jahr“.
Seine Rekorde
- Am 3. Dezember 2016 sichert sich Kai Eichler im dritten Anlauf den Erstrekord für die 100 schnellsten Kilometer in voller Feuerwehrausrüstung.
- Am 20. Oktober 2017 schafft Eichler den Rekord des längsten Nonstop-Marsches in Feuerwehrschutzausrüstung auf dem Laufband; er hält 41 Stunden und 22 Minuten durch. Voraussetzung wären 36 Stunden gewesen.
- Am 17. März 2018 ist er unter den vier Feuerwehrleuten, die den Weltrekord zur schnellsten 4 mal 25-Kilometer-Staffel in persönlicher Feuerwehrschutzausrüstung auf die Beine stellen.