Ruhe, Stillstand: Das gab es in den vergangenen 22 Jahren, in denen er Rektor war, nie. Als er am 5. Juli 1995 ins Amt eingesetzt wird, bezeichnet der damalige Bürgermeister Kurt Brotzer diese Entscheidung als "ausgesprochenen Glücksfall für die Stadt". Der damals 42-Jährige gehörte schon in den 1980er Jahren zur Riege jener Pädagogen, die Schule verändern wollten. "Damals war die Position eines Lehrers noch eine ganz andere. Er stand vorn und gab den Ton an. Hat aber schon damals nicht mehr funktioniert", so Brugger rückblickend. So formulierte er schon in seiner Antrittsrede als Rektor sein Credo: "Wir müssen die Bedürfnisse unserer Schülerinnen und Schüler erkennen, verstehen, analysieren und angemessen darauf reagieren. Keine leichte Aufgabe, oft werden wir an Grenzen stoßen, manchmal Fehler machen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, solange wir auf diesem Weg nicht stehen bleiben und uns auf fraglichen Lorbeeren ausruhen, sondern nach immer neuen Lösungsansätzen suchen."
Schule vom Kind aus denken: Mit dieser Herangehensweise haben Brugger und sein Kollegium an der "Pesta" in den vergangenen Jahren Berge versetzt. "Geht nicht" gab es nicht, auch wenn die Schülerschaft an der großen Stadtschule mit ihrem hohen Migrationsanteil wohl immer die schwierigste war. Gab es ein Problem, musste eine Lösung her, und die war – zumindest für Häfler Verhältnisse – immer unkonventionell ihrer Zeit voraus. Sie war die erste Ganztagsschule mit Mittagessen und Nachmittagsbetreuung bis 16.
30 Uhr in der Stadt, beschäftigte die erste Schulsozialarbeiterin, etablierte Erziehungs- und Lernhilfe als schulische Außenstellen, begann schon 2002, als der Pisa-Schock die Bildungslandschaft erschütterte, mit neuen Lernkonzepten gegenzusteuern. Die Pestalozzischule wurde zur reformpädagogischen Vorzeigeschule, die 2005 vom damaligen Ministerpräsidenten zur "Bildungswerkstatt Baden-Württemberg" gekürt wurde.
Josef Brugger war in all diesen Jahren ein unbequemer Querdenker, der mit seinen kreativen Lösungen bei Schul- und Stadtverwaltung nicht immer mit offenen Armen empfangen wurde. "Ich konnte zäh verhandeln", sagt er schmunzelnd, "unsere Argumentation ging ja immer vom Kind aus". Mal ließ er einen aggressiven Schüler, der kaum zu bändigen war, eine Klasse höher versetzen. Ein andermal beantragt er die Bildung kleinerer Klassen in Klassenstufe 5 beim Oberschulamt, weil intensive Einzel- und Gruppenarbeit in diesem Jahrgang notwendig ist. War man anfangs noch angetan und froh über diese innovative Schule und seinen umtriebigen Rektor, der 2011 mit dem Städtischen Ehrenbrief große Wertschätzung erfuhr, gelte heute etwas anderes: "Jetzt werden Erbsen gezählt." Dass Josef Brugger Verwaltungsvorschriften und gesetzliche Vorgaben zuweilen auf seine eigene Art "interpretiert" hat und damit wissentlich oft ein großes Risiko einging, war vorgesetzten Stellen ein Dorn im Auge. "Ich habe nie gefragt, sondern gemacht, wenn ich überzeugt war, dass es richtig und notwendig ist. Und das tut mir kein bisschen leid", sagt Josef Brugger.
Sein langjähriger Weggefährte und Konrektor Günther Renn bezeichnete Bruggers Engagement gerade für schwierige Schüler, von denen er keinen hängen lasse, mal als "Pestalozzi-Brugger-AG". Ging auf schulischer Ebene nichts mehr, gründete der Rektor einen Verein, um die Dinge voranzutreiben. Den Betreuungsverein, um die Ganztagsbetreuung zu organisieren. Den Verein "Jugend in Arbeit", um Hauptschüler auf dem Weg in die Berufswelt zu unterstützen. Für Jene, die im Schulsystem gestrandet waren oder unterzugehen drohten, rief Brugger den Verein "Jugend – Erlebnis – Schule" ins Leben. Unter diesem Dach profilierte er das Projekt "Kopf – Herz – Hand", um Schulverweigerer wieder in die Spur zu bekommen. Kreative Lösungen finden...
"Ich würde heute nicht mehr Schulleiter werden", sagt Josef Brugger. Er hat sein Bestes getan. Und obwohl er sagt, dass er mit seinem Arbeitsstil die meisten potenziellen Schulleiter-Kandidaten an seiner Schule wohl eher verschreckt habe, haben ihn drei zum Vorbild genommen: Svenja Bormuth, Sarah Fesca und Stefan Rooschütz. Am Donnerstagabend wird er offiziell verabschiedet, aber "ich gebe die Schlüssel noch nicht gleich ab, bin bestimmt noch drei Wochen mit Aufräumen beschäftigt", sagt er. Danach wartet ein großer Garten und eine kleine Werkstatt auf den früheren Techniklehrer.
Meilensteine
1978: Josef Brugger beginnt als Referendar seine Lehrerlaufbahn an der Pestalozzischule
1995: Brugger übernimmt die Schulleitung und wird im Juli offiziell als Rektor eingesetzt
1995: Pestalozzischule wird Ganztagsschule; die 10. Klasse und damit die Möglichkeit des Werkrealschulabschlusses werden eingeführt.
1996: Stadt schafft an der Pestalozzischule die erste Stelle für Schulsozialarbeit
1997: Start des Pilotprojekts mit einem Angebot als "Schule für Erziehungshilfe" in Kooperation mit der Janusz-Korczak-Schule
2002: Mit den Achtklässlern an der Pestalozzischule startet ein Modellversuch des Oberschulamts zum offenen, selbstorganisiertenLernen
2003: Die Pestalozzischule startet das Modellprojekt "WESA", was für Weiterentwicklung schulischer Abschlüsse steht.
2004: Josef Brugger wird Rektor der Grund- und Hauptschule in Personalunion
2005: Pestalozzischule wird für "hervorragende und innovative pädagogische Arbeit" von Ministerpräsident Günther Oettinger als "Bildungswerkstatt Baden-Württemberg" ausgezeichnet.
2006: Brugger gründet den Betreuungsverein, der die Ganztagsbetreuung zunächst an der Pestalozzischule, später an 14 Schulden der Stadt organisiert.
2011: Josef Brugger erhält den Städtischen Ehrenbrief für "vorbildliche Verdienste um die Schulen".
2013: Gemeinderat entscheidet, dass Graf-Soden-Realschule zur Gemeinschaftsschule wird, womit faktisch die "Abwicklung" der Pestalozzischule als Haupt- und Werkrealschule beschlossen ist.