Axel Pries

Demenz ist eine unheilbare Krankheit des Gehirns, eine Krankheit, die ganze Familien über Jahre beschäftigt und Angehörigen großen Einsatz abverlangt. Dabei entstehen Geschichten zwischen bitter und süß. Solche Geschichten stellte am Donnerstagabend die Karlsruher Verlegerin und Autorin Annette Röser im Friedrichshafener Medienhaus vor, als sie aus dem Buch „Mein Vater und die Gummiente“ las, dessen Untertitel den Gehalt verrät: „Demenz – Angehörige erzählen“. Das von Ute Dahmen und ihr verfasste Werk gibt in 40 Erzählungen Menschen eine Stimme, „die Unglaubliches leisten“, erklärte Annette Röser: den Angehörigen. Es solle helfen, die Demenz aus der gesellschaftlichen Tabuzone herauszuholen, in der sie immer noch stecke, obwohl Alzheimer oder eben Demenz in der alternden Gesellschaft immer häufiger vorkämen.

Im Nachgang zum Welt-Alzheimertag wolle das Medienhaus so einen Beitrag zur Aufklärung leisten, erläuterte die Leiterin Sabine Giebeler bei der Begrüßung der rund 20-köpfigen Zuhörerschaft. Daher lud das Medienhaus die Mitinhaberin des noch jungen Karlsruher Verlags SingLiesel zur Lesung, nachdem das gleichnamige Buch der Medienhaus-Lektorin Christine Ziegler aufgefallen war.

Nach den Erfahrungen, die Annette Röser und ihre Geschwister in den Jahren der Demenz beider Eltern machten, stellten sie Spiele und Bücher eigens für Demenzkranke her, unter anderen das Buch „SingLiesel“ – eine Sammlung von einfach gesungenen Volksliedern, bei denen Erkrankte zum Lied Bilder betrachten können. „Musik ist immer eine gute Brücke“, erklärte die Verlegerin das Anliegen dieses Werks.

Mit Ute Dahmen verfasste Annette Röser zugleich das Geschichten-Buch, in dem Angehörige – „Kinder“ – vom Leben und Leiden ihrer Eltern mit Alzheimer erzählen – und von ihrer eigenen Betroffenheit mit der Aufgabe, „jeden Tag neu auszubalancieren“. Dabei berge der Alltag mit Demenzkranken nicht nur Dramen, sondern auch viele Situationen, die zumindest in der Nachbetrachtung witzige Seiten enthalten. Zu Wort kommen Menschen aus ganz Deutschland, auch prominente wie Tilman Jens, der Sohn des Schriftstellers und Tübinger Rhetorik-Professors Walters Jens, der in seinen letzten zehn Lebensjahren an Demenz erkrankt war, ehe er 2013 mit 90 Jahren starb. Der Professor, der einst selbst über die Vergänglichkeit des Menschen grübelte, litt unter seinem schleichenden Verfall – und der Sohn an der veränderten Rolle.

In dem Werk berichtet aber auch die Berührungstherapeutin Renate Wallrabenstein von ihren Erfahrungen mit einem liebenswürdigen, pensionierten Postbeamten, der in seiner fortschreitenden Demenz das Wort „Postsparbuch“ als Füller für Gedächtnislücken aller Art einsetzt: „Hauptsache Postsparbuch“.

Es waren zum Teil witzige Geschichten zum Schmunzeln, die Annette Röser vorstellte. Etwa, wenn eine Familie vom dementen Großvater erzählt, der sich am besten mit dem vierjährigen Enkel versteht und seine Gummiente liebt. Rührend, komisch und bezeichnend für die eigene Welt, in der an Alzheimer erkrankte Menschen leben: die Geschichte von dem dementen Ehepaar, bei dem die Frau ihren Mann mit einem Brötchenmesser heimlich in mühevoller Arbeit von den Haltegurten im Rollstuhl befreit. Danach befragt, warum sie das tut, da sie ihren Mann doch gefährde, antwortet die alte Frau: Nur ohne Gurte könne er sich das Bier selbst aus dem Keller holen – und sie sei nicht bereit, das für ihn zu tun.

Es „ist ein Buch mit vielen Schicksalen“, fasste Annette Röser zusammen. Eines, das Betroffenen „ein Denkmal setzt“ – und Angehörigen, die 365 Tage im Jahr parat stehen müssen, eine Stütze sein könnte.

„Mein Vater und die Gummiente. Demenz – Angehörige erzählen“, 40 Geschichten auf 180 Seiten von Ute Damen und Annette Röser, ISBN: 978-3-944360-82-99.