Ihre Hufe waren über 20 Zentimeter lang und bogen sich nach oben, sie konnte kaum mehr stehen, nur unter Schmerzen: Jahrelang lag die Apfelschimmel-Stute deshalb wohl auf dem Stallboden. Von Schmerz und Leid geprägt, wurde sie am 20. März von einem Team aus Tierärzten und Hufschmieden gerettet. Tierärztin Martina Bernauer entdeckte das Tier auf einem Hof im Kreis Sigmaringen.

Jahrelang war es vernachlässigt worden. Für die hübsche Kaltblut-Stute gab es nur noch zwei Möglichkeiten: Ihre Rettung oder die Regenbogenbrücke. Hufschmied Fabian Kaiser aus dem Deggenhausertal nahm das Pferd in Obhut und in seinen Besitz und gab dem Pferd einen neuen Namen: Angel. Ein Engel auf dem Weg in ein neues Leben. Es gibt keine Papiere von ihr, das Alter schätzt Fabian Kaiser auf neun bis zehn Jahre. Martina Bernauer: „Die Tierrettung Oberschwaben hat sehr engagiert mit dem Transport geholfen, alles kostenfrei und ehrenamtlich.“

Angel ist eine sanfte Riesin. Zutraulich und freundlich. Vor allem, wenn Fabian Kaiser zu ihr in die Box kommt. Der Hufschmied betreibt zusammen mit dem Bermatinger Tierarzt Carsten Holtschmidt in Wahlweiler auf dem Höchsten eine Hufklinik und war die erste Anlaufstelle, als die Tierrettung Oberschwaben das Pferd aus seinem Elend befreit hatte. „Ich vergesse nie, wie sie hier mit dem Anhänger angekommen sind“, erzählt Fabian Kaiser: „Ich dachte, das Pferd fällt mir hier sofort um und das war‘s.“

Zuerst mussten die ausgewachsenen, hochgebogenen Hufe weg. Im Vergleich zu Schuhen muss man sich das vorstellen wie mit Pumps, bei denen der Absatz abgebrochen ist. Versucht man dennoch, darin zu stehen oder gar zu gehen, verziehen sich Sehnen, Bänder und Muskeln in fürchterlicher Weise.
Sechs Kilogramm Huf entfernt
Seit Jahren hatte das Pferd keinen Hufschmied gesehen. Bei arbeitenden oder wilden Pferden, die viele Kilometer am Tag zurücklegten, läuft sich das überschüssige Horn von alleine ab. Bei Pferden, die im Stall stehen oder beschlagen werden, muss es der Hufschmied regelmäßig abnehmen.

„Aber so etwas habe ich noch nie gesehen. Und auch meine älteren Kollegen sagen, hier in der Region sei so ein Fall die letzten 40 Jahre nicht vorgekommen“, sagt Fabian Kaiser. „Es gibt auch keine Literatur, wie man Pferde in solchen Fällen behandelt. Früher hat man ein Pferd in so einem Zustand nicht geheilt, sondern halt erlöst. Wir sind hier also im Neuland und tasten uns vorwärts.“

Mit dem Elektro-Fuchsschwanz stutzte Fabian Kaiser die Hufe Stück für Stück, während sein Geselle René, seine Frau Melanie, Tierarzt Holtschmidt und dessen Frau Tanja das Tier hielten und stabilisierten. Doch selbst nach dieser über dreistündigen Prozedur konnte das Tier noch längst nicht auf eigenen Beinen stehen, zu sehr schmerzten die jahrelangen Missbildungen. Dazu kam Hufrehe an allen vier Hufen, eine besonders schmerzhafte Entzündung, hervorgerufen durch falsche Ernährung.

Schwebend im Schwingkran
So konnte Angel, von den Huf-Ungetümen befreit, noch längst nicht stehen. In der Hufklinik auf dem Höchsten ist man genau für solche Fälle vorbereitet: Ein speziell entwickelter Schwingkran hebt das Tier, per Bauchgurt und Seilen, genau auf die Höhe, dass es sich auf eigenen Beinen bewegen kann, ohne Gewicht auf den Füßen zu haben. So schwebte Angel erstmal leichtfüßig über den Boden – für das geschundene Tier eine völlig neue, schmerzfreie Erfahrung.
Normalerweise wiegt so ein Tier um die 900 Kilogramm und hat ein Stockmaß von über 1,70 Metern. Ein Arbeitspferd der Percheron-Rasse, ein französischer Kaltblüter. Als Angel auf dem Höchsten ankam, maß sie noch 1,63 Meter, eingesunken vor Schmerz und Schonhaltung. „Optisch sah sie sonst stattlich aus“, berichtet Fabian Kaiser: „Nach zwei Wochen merkten wir: Das war alles Fett, keinerlei Muskeln. Jetzt ist das Fett weg und das Tier auf 650 Kilo runter. Nun gilt es, sie zu bewegen und nach und nach Muskeln aufzubauen.“

Heu als Futter kannte sie nicht
Angel hat noch einen langen Weg vor sich. Bei Hufrehe, sagt Kaiser, habe man eine Baustelle, hier seien es fünf oder sechs. Zunächst die Fehlernährung: „Die Besitzer haben kein Heu mehr gemacht und das Pferd nur mit kleingehackten Futterrüben ernährt. Die musste sie nicht mal kauen und sie bekam viel zu viel Zucker ab.“ Das Ergebnis: EMS, das Equine Metabolische Syndrom, eine Art Diabetes bei Pferden. „Wir haben ihr Heu hingelegt und sie konnte nichts damit anfangen. Das kannte sie nicht und das fraß sie nicht, wochenlang“, erzählt Fabian Kaiser. So langsam gewöhnt sie sich daran, doch die Entgiftung wird noch viele Monate dauern.
„Das Tier hat einfach unsere Seele berührt“, sagt Melanie Kaiser. Sie schaut sechs bis acht Mal am Tag nach dem Pferd. Obwohl das Tier viel gelitten hat, empfinden Kaisers keinen Groll gegen die Vorbesitzer: „Sie kommt ja von Menschen, die es im Grunde nicht schlecht mit ihr gemeint haben“, sagt Fabian Kaiser: „Soweit ich weiß, hätten sie lieber selber nichts gegessen, als dass ihre Tiere Hunger leiden. Aber sie konnten sie halt nicht mehr versorgen.“
Tierarzt und Osteopathin arbeiten kostenfrei
Nach zehn Wochen auf dem Höchsten ist Angel ein Tier auf dem Weg ins Glück. Zweimal am Tag darf sie auf die Weide. Langsam, denn nach fünf Minuten gehen sei sie fix und fertig, sagt Kaiser. Und nur ganz früh und spät am Tag, wegen der Mücken: Die setzen sich auf ihre immer noch offenen, wunden Stellen vom jahrelangen Liegen, die nur sehr langsam verheilen.

Doch es geht aufwärts: Carsten Holtschmidt schaut regelmäßig nach ihr, berechnet nur die Medikamente und arbeitet ansonsten ebenso kostenfrei wie Tier-Physiotherapeutin Silke Ziebarth von Pferd in Bewegung in Langenargen.
Spendenaktion ins Leben gerufen
Um zumindest die Sachkosten, die Kosten für Medikamente, Röntgenbilder und Anfahrtswege abzudecken, hat Leonie Schwab aus Nürtingen eine Crowdfunding-Aktion im Internet gestartet. „Ich hatte mein eigenes Pferd in der Hufklinik auf dem Höchsten zur Behandlung. Da habe ich Angel gesehen und sie hat sofort mein Herz berührt“, erzählt Leonie Schwab. Ihr Ziel ist, mindestens 2000 Euro zusammenzubekommen, um die Kosten für Angels Rettung einigermaßen zu decken.
Dass diese Rettung gelingen wird, davon ist Fabian Kaiser fest überzeugt. „Mein Ziel ist ja, sie im kommenden Frühjahr zu reiten“, sagt der Hufschmied hoffnungsvoll. Zumindest könnte die Kaltblüter-Dame wieder eine kleine Kutsche ziehen und ansonsten als glückliches Weidepferd leben. „Eins ist sicher“, sagt Fabian Kaiser: „Angel soll es schön haben hier bei uns auf dem Hof, bis an ihr einst seliges Ende.“