Anette Bengelsdorf

Auch im Bodenseekreis ist sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ein nach wie vor tabubesetztes Thema. Um Betroffenen kompetente Hilfe bieten zu können, beauftragten der Bodenseekreis und die Stadt Friedrichshafen nach einer öffentlichen Ausschreibung die Caritas Bodensee-Oberschwaben, eine Beratungsstelle einzurichten. Unter dem Namen "Morgenrot – Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch" steht ab sofort in Friedrichshafen und als Außenstelle in Überlingen ein entsprechendes Angebot zur Verfügung.

Bereits im Oktober machte sich die Caritas auf die Suche nach geeigneten Räumen. Diese sollten vor allem einfach, niederschwellig und anonym erreichbar sein. Nicht isoliert, sondern zentral gelegen und eingebettet in die Nachbarschaft weiterer Dienstleister. Beide Standorte, Friedrichshafen und Überlingen, erfüllen diese Kriterien.

Hohe Ansprüche wurden auch an das Personal gestellt. Leiterin Iris Gerster, Sozialarbeiterin mit therapeutischer Zusatzausbildung im Bereich Traumatherapie, war in Köln tätig und freut sich auf die neue Herausforderung. "Wir bekommen bereits Anfragen, obwohl wir noch gar nicht aktiv sind." Neben der Beratung sieht sie in der Prävention einen Schwerpunkt ihrer Arbeit. Unterstützt wird sie von Diplom-Sozialpädagogin Nicole Schäfer. Andrea Lenz steht den beiden im Sekretariat zur Seite.

Das Beratungsangebot richtet sich in erster Linie an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Doch nicht nur Betroffene und ihre Angehörige, auch Kindergärten, professionelle Helferkreise, das Jugendamt oder Schulsozialarbeiter seien eine wichtige Zielgruppe, betont die stellvertretende Jugendamtsleiterin Sandra Leschnik.

In erster Linie geht es darum, in enger Kooperation mit Polizei, Justiz und anderen Stellen Opfer von mutmaßlichem Missbrauch und deren Angehörige zu beraten sowie während und nach einem Gerichtsverfahren zu begleiten. "Kinder lieben ihre Angehörigen, man muss daher sehr vorsichtig sein", sagt Iris Gerster. Sie wolle vor allem beraten und die Kinder schützen. "Wir haben keine Anzeigenpflicht." Wenn es zur Anzeige komme, müssten die Fakten stimmen. Das setze eine sorgfältige und besonnene Überprüfung voraus.

In den Beratungsräumen stehen den Kindern Spielecken und anatomische Puppen zur Erleichterung der Kommunikation zur Verfügung. Wie wichtig die Einrichtung einer solchen Stelle ist, zeigen die Zahlen. In jeder Schulklasse sind geschätzt ein bis zwei Kinder von sexuellem Missbrauch betroffen. Bekannt ist nur die Spitze des Eisbergs.

Die Täter stammen meist aus dem familiären Umfeld, aus dem Freundeskreis, dem Verein oder der Kirche. "Der Täter, der vor der Schule lauert, ist die Seltenheit", weiß Familienbeauftragte Veronika Wäscher-Göggerle. Wichtig sei daher bereits die Prävention. "Wir müssen Kindern zeigen, wie sie sich gegen Erwachsene abgrenzen können", sagt Martin Belser von der Caritas. Im schlimmsten Fall müssen sie ihrem Gefühl vertrauen und in Frage stellen können, was ihre Eltern mit ihnen tun.

Die Beratungsstelle Morgenrot

Die Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch Morgenrot ist ab sofort im Haus der Kirchlichen Dienste, Katharinenstraße 16, in Friedrichshafen im zweiten Obergeschoss erreichbar, Telefon: 07541/3776400, E-Mail: info@beratungsstelle-morgenrot.de. Das Sekretariat ist von Montag bis Freitag ab 8 Uhr besetzt.

Die Außenstelle in Überlingen in der Schlachthausstraße 5 befindet sich derzeit im Aufbau.