Ist es das achte oder neunte Mal, dass sich die Schreinerei Rainer Frickinger in Aach-Linz zur Kleinkunstbühne gewandelt hat? Sowohl Rainer Frickinger als auch der Kulturbeauftragte der Stadt Pfullendorf, André Heygster, wissen es nicht mehr so genau. Sicher hingegen ist, dass sich Heygster immer auf Rainer Frickinger verlassen kann, wenn er einen ungewöhnlichen Ort für die außergewöhnlichen Darbietungen der Reihe „Kultur in Pfullendorf„ sucht. Hier sind als Beispiele das Flötentrio „Wildes Holz“, die estnische Sängerin Siiri Sisask oder die Kabarettistin Anny Hartmann zu nennen, die in der Vergangenheit in der Schreinerei auftraten.

Maritta Schmidt, Katja Vielweib und Steffi Restle (von links) genossen die Kleinkunstatmosphäre in der Schreinerei Frickinger.
Maritta Schmidt, Katja Vielweib und Steffi Restle (von links) genossen die Kleinkunstatmosphäre in der Schreinerei Frickinger. | Bild: Michelberger, Isabell

Feindler beweist Beobachtungsgabe und Feinsinnigkeit

Dieses Jahr war es der junge Künstler Michael Feindler, der in Wuppertal aufgewachsen ist und in Leipzig lebt. Für seine Soloprogramme erhielt er bereits zahlreiche Preise. Feindler hat mit Anny Hartmann einiges gemeinsam. Das politische Kabarett der beiden wirft den Blick genau dorthin, wo es weh tut, wo Menschen etwas verändern könnten. Beide sind kluge Beobachter, die ihre Gesellschaftskritik geschickt in Worte fassen. Das Publikum muss gut aufpassen, um jede Pointe mitzubekommen.

„Mir gefällt der Abend hier sehr gut. Man findet sich in dem wieder, was Feindler anschneidet und muss darüber nachdenken.“ ...
„Mir gefällt der Abend hier sehr gut. Man findet sich in dem wieder, was Feindler anschneidet und muss darüber nachdenken.“ – Herbert Ackermann, Aach-Linz | Bild: Michelberger, Isabell

Schreinerei stell Räumlichkeiten für Kulturveranstaltung zur Verfügung

Jedes Jahr ist die Schreinerei Rainer Frickinger als Veranstaltungsort mit dabei, wenn André Heygster das Programm für „Kultur in Pfullendorf“ erstellt. Das Publikum liebt die Werkstattatmosphäre, den angenehmen Duft von Holz und die Kulisse aus Maschinen und Gerätschaften. Der Aufwand sei nicht riesig, meint Rainer Frickinger. „Am Freitag fangen wir unsere Arbeit früher an, damit wir am Nachmittag mit dem Aufräumen beginnen können“, erzählt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. „Die Produktion wird deswegen nicht lahmgelegt“, fügt er lachend hinzu.

„Die Werkstattatmosphäre ist toll und André Heygster bringt immer etwas Besonderes auf die Bühne.“ – Ulrike Gabele, ...
„Die Werkstattatmosphäre ist toll und André Heygster bringt immer etwas Besonderes auf die Bühne.“ – Ulrike Gabele, Aach-Linz | Bild: Michelberger, Isabell

Er stelle seine Schreinerei gerne der Allgemeinheit für Kulturveranstaltungen zu Verfügung, denn das sei etwas Einmaliges. Die Mitarbeiter seien freiwillig mit dabei, was nach seiner Ansicht für ein gutes Betriebsklima spreche. An der Theke schenkten die Mitarbeiter für eine Spende Getränke aus, um einen gemeinsamen Ausflug zu finanzieren.

„Der Kontrast von Kleinkunstbühne und der Produktion in einer Werkstatt ist etwas Besonderes.“ – Harald Schwab, ...
„Der Kontrast von Kleinkunstbühne und der Produktion in einer Werkstatt ist etwas Besonderes.“ – Harald Schwab, Sigmaringendorf | Bild: Michelberger, Isabell

Vor der Veranstaltung fanden sich bereits kleine Grüppchen an den geschmackvoll dekorierten Tischen aus Holzpaletten zusammen und genossen das angenehme und besondere Ambiente der Werkstatt-Kleinkunstbühne. André Heygster dankte Rainer Frickinger, der viel Arbeit gehabt habe, „bevor wir überfallartig eingezogen sind“. Den Kabarettisten Michael Feindler habe er im Januar auf der Freiburger Kulturbörse entdeckt. „Wir waren sofort davon überzeugt, dass er nach Pfullendorf kommen sollte“, erzählte der Kulturbeauftragte der Stadt. Feindler sei feinsinnig, ruhig und sehr treffgenau. Dass Heygster mit dieser Beschreibung vollkommen richtig lag, erlebten die Besucher in der Schreinerei.

Kabarettist fühlt sich in ungewohntem Ambiente wohl

Mit Schwung sprang Michael Feindler, seine Gitarre im Arm, auf die Bühne. Es habe eine ganz eigene Symbolik, in der Schreinerei aufzutreten, denn man könne darüber nachdenken, aus welchem Holz man geschnitzt sei. „Ich bin froh, hier zu sein – nicht nur, weil ich Bahn fahre“, begrüßte er das Publikum, doch er wolle nicht in die allgemeine Bahn-Schelte einstimmen, da sie ihm auch Vorteile bringe. Sie verschaffe ihm „lange Zeiträume für Inspirationen“. Darüber hinaus bilde sie ein reiches Feld für Beobachtungen.

Kritik an Kategoriendenken

In seinem Programm „Artgerechte Spaltung“ befasst sich Feindler mit der Spaltung in der Gesellschaft. Jeder fange sogleich im Kopf an, alles in vorgefertigte Kategorien einzusortieren, davor sei nicht einmal ein Kind sicher. Backt es schöne Sandkuchen, heiße es sogleich, es wird mal Bäcker. „Doch nicht jedes altkluge und vorlaute Kind wird gleich Kabarettist“, schmunzelte er.

„Michael Feindler ist ein Sprachgenie mit guter Beobachtungsgabe, der vieles auf den Punkt bringt.“ – Karin Groos, ...
„Michael Feindler ist ein Sprachgenie mit guter Beobachtungsgabe, der vieles auf den Punkt bringt.“ – Karin Groos, Aach-Linz | Bild: Michelberger, Isabell

Den Kabarettisten, Liedermacher und Lyriker beschäftigen die ungleichen Chancen der Kinder, die stark durch die Herkunftsfamilien geprägt seien. „Ich hätte gar nicht gewusst, wie ich es machen soll, als Kind zweier Akademiker nicht ins Gymnasium zu kommen“, trieb er humorvoll das Gedankenspiel auf die Spitze. Durch die frühe Aufteilung der Kinder in verschiedene Schularten würden diese Unterschiede geradezu zementiert. Die späteren Karriereleitern hätten gleichfalls „irgendwie einen Defekt“, denn jeder müsse die Sprossen selbst mitbringen, um nach oben zu kommen.

Wer sind die „Abgehängten“ in der Gesellschaft?

Er hinterfragte die Suche nach dem individuellen Glück, für die zahlreiche Glücksratgeber Anleitungen bereithalten. Alle seien darauf angelegt, dass der Mensch sich nur noch seinem Ich widme, um Glück zu finden. „Sogar Kochrezepte sind für mindestens vier Personen ausgelegt“, kritisierte er den Ego-Tripp der Glücksucher. Feindler reflektierte Prinzipientreue und hinterfragte, ob diejenigen, die sich abgehängt fühlen, auch tatsächlich die Abgehängten in der Gesellschaft sind. Ratsam schien es ihm, vor jeder Wahl einen Fragebogen ausfüllen zu lassen, der über das Wahlrecht entscheidet. Würde jemand auf die Frage „Wie haben Sie von der Wahl erfahren?“ mit „Von der Lügenpresse“ antworten, könnte man ihm gleich die Wahl verwehren.

Ein Auftritt, der zum Nachdenken anregt

Als Lied oder lyrisch vorgetragen, berührte Michael Feindler mit seinen Texten zahlreiche Lebensbereiche, in denen es sich die Gesellschaftsgewinner bequem gemacht haben, um sich nicht mit den Nachteilen anderer konfrontieren zu müssen. Das Publikum hatte viel zu lachen, da Feindler mit Worten jonglierte, die Absurditäten des Lebens entblößte und Gedankenexperimente vorführte.