Wer in diesen superheißen Tagen einen Wald betritt, der weiß spätestens dann, was Pflanzen Wert sind: endlich durchatmen in frischer, erstaunlich kühler Luft. Der Spaziergänger im Wald erlebt, was das Zauberwort Mikroklima ganz praktisch bedeutet und wie wichtig das Grün auch mitten in den Städten und an Häusern ist.

Das ist nur einer der Aspekte, die der Überlinger Landschaftsarchitekt Tim Kaysers in seinem Buch „Phyto for Future“ beleuchtet, an dem er drei Jahre lang gearbeitet hat. Denn aus seiner Sicht gehört den vielfach wirksamen Pflanzen, die Kohlendioxid verarbeiten und den lebenswichtigen Sauerstoff spenden, nicht nur aus dieser Perspektive die Zukunft. Ja, neben den ganz praktischen, unmittelbar spürbaren Effekten beschreibt Kaysers eine Fülle von Visionen, zum Beispiel, wie sich in Baumstädten gut und nachhaltig leben ließe.

Kleine Blättchen, große Leistung: Moose sind die ältesten Landpflanzen.
Kleine Blättchen, große Leistung: Moose sind die ältesten Landpflanzen. | Bild: Hanspeter Walter

Mit dem Untertitel „Mit Pflanzen aus der Klimakrise“ will der Autor nicht ein Trendthema der Zeit bedienen. Vielmehr sieht er darin einen dringenden Impuls zum längst überfälligen Umdenken. Schließlich kann er dazu guten Mutes Friedrich Schiller zitieren: „Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren: Was sie willenlos ist, sei du es wollend – das ist‘s!“

Anstöße zu einer Graswurzelbewegung

Nun sind die biologischen, chemischen und physikalischen Fakten nicht ganz neu, schließlich waren die Pflanzen lange vor dem Menschen auf der Erde. Doch Tim Kaysers denkt sein Konzept in Konsequenz zu Ende und mahnt an, sich die Vorteile zunutze machen. Selbstversorger in der Stadt statt langer Lieferketten von Lebensmitteln, Wohnen in Waldstädten – „das große Ganze planen“, nennt er es anspruchsvoll.

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Wem einige der Visionen vor allem utopisch vorkommen, der täuscht sich nicht. Doch der Landschaftsarchitekt will Anstöße geben, vor allem Mut machen und zeigen, dass jeder vor seiner Haustür oder in seinem Garten anfangen kann. Die Graswurzelbewegung sei schließlich nicht umsonst nach einer Pflanze benannt, sagt er. „Pflanzen bieten Lösungen bei der Gesundheit, der Wirtschaft, der Energiegewinnung, der Ernährung, beim Bauen und für unsere Gesellschaft.“

Deutliche Fortschritte macht die Begrünung am Gastronomiegebäude Uferpark 57.
Deutliche Fortschritte macht die Begrünung am Gastronomiegebäude Uferpark 57. | Bild: Hanspeter Walter

Bevor die Menschen in die Wälder ziehen, könnten sie zumindest an die eigenen Wohnhäuser ran. „In die Optik verliebte Architekten scheuen sich häufig immer noch vor dem Grün am Bau“, kritisiert der Landschaftsarchitekt: „Warum werden nicht längst alle Fassaden begrünt?“ Jedes einzelne Blatt bewirke hier viel Gutes: „Es reguliert das Klima, reinigt die Luft und liefert Sauerstoff.“

Fassadengrün auch als Isolationsschicht für Gebäude

Daher gebe es immer mehr Appelle und Empfehlungen aus der Politik, die eine Fassadenbegrünung fordern. „Man kann ein Regalsystem vor die Wände stellen“, schildert Kaysers. Das liefere zudem eine lebendige Isolationsschicht für ein Gebäude. Die andere Möglichkeit sei, mit Kletterpflanzen zu arbeiten. Stattdessen jedoch werde dem Grün sogar immer häufiger der Krieg erklärt und Mähroboter hielten jeden Grashalm kurz. „Wir könnten uns auch an den Blumen erfreuen.“

Moose als biologische Schadstofffilter

Neben dem Blatt und dem Baum als funktionale Vorbilder haben es Tim Kaysers insbesondere die gern bekämpften Moose angetan, die ersten Landpflanzen in der Evolution überhaupt. Für den Überlinger Landschaftsarchitekten sind die unscheinbaren Polster die grünen Tausendsassas schlechthin. „Moose haben hervorragende Luftreinigungseigenschaften.“ Denn sie nähmen ihre Nährstoffe und Wasser nicht über Wurzeln auf. Sie nutzten dafür ihre vielen kleinen Blättchen, die zusammen eine große Oberfläche bilden. Dabei filterten Moose auch Schadstoffe, die sich in der Luft befinden.

Das Regenwasser aus der Dachrinne wird über eine Perforation über die Betonfläche verteilt und soll den Algen- und Mooswuchs ...
Das Regenwasser aus der Dachrinne wird über eine Perforation über die Betonfläche verteilt und soll den Algen- und Mooswuchs begünstigen. Noch braucht es etwas Zeit, wie es scheint. | Bild: Hanspeter Walter

Künftig Algen und Moose an der Sporthalle

„Man kann das Dachwasser einfach runterlaufen lassen, dann bilden sich hier von allein Algen und Moose“, betont Tim Kaysers. Als kleines Beispiel dafür nennt er die beiden Betonwände neben der neuen Sporthalle in Überlingen, die den Schriftzug Schulcampus tragen. Hier habe man Wasserrinnen oben einfach perforiert, beschreibt der langjährige Mitarbeiter der Planstatt Senner die Technik, die das Wasser über die Oberfläche abfließen lässt. Algen- und Mooswachstum sei dann nur noch einer Frage der Zeit. Einen entsprechenden Mehrwert hätte auch Moos auf Hausdächern.

Ganz langsam, aber sicher wachsen Pflanzen an der Holzfassade des Parkhauses Therme.
Ganz langsam, aber sicher wachsen Pflanzen an der Holzfassade des Parkhauses Therme. | Bild: Hanspeter Walter

Einige Ansätze zur Fassadenbegrünung gibt es auch an einigen neuen Gebäuden. Eine partielle Begrünung ist am Parkhaus Therme geplant, die allerdings nur etwas zögerlich vorankommt, oder am Gastronomiegebäude im neuen Uferpark, das vom Vorarlberger Büro überwiegend aus Holz geplant wurde – mit einer Grünfassade als Schattenspender.