Beim Wolf, der am 21. Juni in der Nähe von Überlingen gesichtet wurde, handelt es sich vermutlich um jenen Wolf, der am 8. Juli tot im Schluchsee gefunden wurde. Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin untersucht das tote Tier. Was man mittlerweile anhand seiner DNA herausgefunden hat: Es handelt sich um einen Wolf aus Schneverdingen in Niedersachsen, der mehr als 600 Kilometer weit in den Süden gewandert und durch ganz Baden-Württemberg gestreift ist.

Doch woran starb er? Zur Klärung dieser Frage hatte ihn die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg mit Sitz in Freiburg ans IZW nach Berlin geschickt.

Dem Institut stehen spezielle Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Der junge Wolf wies nach ersten Untersuchungsberichten Verletzungen im Brustbereich auf, dafür sind einige Ursachen möglich. Mittels eines computertomografischen Verfahrens klärt die Einrichtung daher mehrere Annahmen für das so genannte Wolf-Totfundmonitoring ab: Schussverletzungen, absichtliches Überfahren – Unfälle mit Autos sind die häufigste Todesursache von Wölfen in Deutschland – oder eine Vergiftung. Vielen Menschen gelten Wölfe als gefährlich, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass diese Angst meist unbegründet ist. Ein Fremdverschulden am Tod des Wolfes kann das Institut also nicht ausschließen.

Wölfe sterben meist durch Unfälle

Natürliche Todesursachen sind immer wieder Infektionen oder Rangkämpfe mit Artgenossen, diese machen aber nur eine kleine Prozentzahl bei Wölfen aus. Der Computertomograf erkennt alte Verletzungen, wie beispielsweise frühere Schussverletzungen oder Frakturen. Der Mageninhalt des toten Tieres wird zum Beispiel auf Krankheitserreger untersucht. Dazu gehören Staupe und Hepatitis E, die auch Menschen gefährden können.

Für genetische Untersuchungen würden Proben sichergestellt, erklärt Steven Seet, Leiter der IZW-Presseabteilung. Über die Ergebnisse wird für den Auftraggeber, das Umweltministerium Baden-Württemberg, eine Fotodokumentation angefertigt. Eine Virtopsy ist im Vergleich zu einer herkömmlichen Obduktion weniger invasiv.

Einer Studie des Leibniz-Institutes zufolge starben von bisher 161 untersuchten toten Wölfen die wenigsten an einer Erkrankung. 70 Prozent der Wölfe kamen durch Verkehrsunfälle mit Autos, Lastwagen oder Zügen ums Leben. Von den seit 1999 untersuchten Wölfen starben rund 14 Prozent durch illegale Tötungen, darunter gab es fünf Fälle mit Schussverletzungen. Nur zehn Wölfe kamen in dem Untersuchungszeitraum von 18 Jahren auf natürliche Weise zu Tode.

 

Angst seit 2500 Jahren

Die Angst vor dem Wolf sitzt tief. Michael Brunner, Kulturamtsleiter in Überlingen, hat sich im Rahmen der Ausstellung "Vom Drachen bis zur Friedenstaube, Tierbilder und Tiermythen vom Mittelalter bis heute", die noch bis zum 16. Dezember im Städtischen Museum zu sehen ist, mit dieser Ur-Angst beschäftigt. "Böser Wolf", "listiger Fuchs" oder "dummer Esel": Solche Bezeichnungen haben im Abendland seit 2500 Jahren Tradition. Die Angst vor dem Wolf geht laut Brunner auf die "Fabeln des Äsop" zurück. Diese haben sich in zoologischer Hinsicht prägend auf die Schulbuchliteratur des 16. bis frühen 19. Jahrhunderts ausgewirkt. "Bis heute existiert nach meinen Informationen kein einziger wirklich gesicherter Nachweis aus Europa dafür, dass irgendein Wolf einen Menschen tödlich verletzt hat", sagt Brunner. Die unkritisch verinnerlichten Klischees, auf die nahezu alle Zoologen vor Darwin reingefallen seien, nennt Brunner als weitere Ursache für die Angst vor dem Wolf. Diese Furcht einflößenden Klischees beschreibt er in einem Essay. Die Grenze zwischen Wissenschaft und Mythenbeschreibung bleibe von ihren Anfängen in der griechischen Antike bis ins 19. Jahrhundert hinein fließend und unscharf, resümiert Brunner. "Der Wolf ist das schädlichste, gefräßigste und hungrigste fürchterlichste Raubtier", schrieb noch 1835 der Zoologe Johann Jakob Kaup – und das, ohne dass Kaup je selbst einen Wolf gesehen hätte.