Die gute Nachricht vorweg: Für den kommenden Blutfreitag in Weingarten wird frühsommerliches und trockenes Wetter vorhergesagt. Rekordzahlen sind bei Europas größter Reiterprozession gleichwohl nicht zu erwarten. Die 100 Gruppen aus der ganzen Region haben 2437 Teilnehmer gemeldet. Einer ist der 80-jährige Vinzenz Bernhard aus Meckenbeuren. Der Bauer aus dem Ortsteil Brugg reitet zum 65. Mal mit, „um den Glauben zu bezeugen“.
Anruf bei Vinzenz Bernhard und die typische Reporterfrage: ob er sich noch an seinen ersten Blutritt erinnert? Bernhard sagt: „Des isch lang her. Als Schulerbua halt und Ministrant…“ Dann erzählt der alte Blutreiter vom Vater, der Gründungsmitglied der Blutreitergruppe Meckenbeuren war, und dass früher auf jedem Hof oft mehrere Pferde gehalten wurden. Bernhard senior reitet am Freitag auf seinem Wallach Gismo. Nicht zu vergessen: Sohn Vinzenz junior ist zum 41. Mal mal dabei. Sohn Hubert ist Gruppenführer und 37 Mal Blutreiter, dann Enkel Fabian und Enkelin und Ministrantin Claudia. Das ergibt, hoffentlich richtig addiert, über 150 Blutritte – rekordverdächtig!
Das seit über 900 Jahren gepflegte Brauchtum zur Verehrung der Heilig-Blut-Reliquie ist zahlenmäßig jedoch eher rückläufig: "Die Musikanten nehmen zu. Die Reiter werden weniger", sagt Felix Habisreutinger von der Blutfreitagsgemeinschaft Weingarten. Exakt 2437 Reiter sollen es in diesem Jahr sein – weit weg von den stereotyp genannten 3000 Blutreitern. Die Zeit der großen Zahlen sei eh vorbei, ist von erfahrenen Blutreitern zu hören. Immer weniger junge Männer könnten dem mehrstündigen Ritt durch Stadt und Fluren etwas abgewinnen, mit Rosenkranz und Bittgesang, das alles auch noch bei oft fröstelnden Temperaturen, heißt es.
Aber es gibt auch ganz praktische Probleme. In Pfarreien wie Jettenhausen, Schnetzenhausen und Berg wird für die Übernahme einer Patenschaft für ein Leihpferd oder die Unterstützung beim Kauf von Frack und Zylinder geworben, ohne die kein Blutreiter in den Sattel steigen darf. Denn mit der früher üblichen Weitervererbung alter Fräcke gibt es meist Probleme. "Die waren enger geschnitten", sagt ein alter Blutreiter schmunzelnd. Soll wohl heißen: Der Blutreiter 2016 passt nicht mehr in den Frack vom Großvater. Ein neuer kostet rund 400 Euro.
Und dann sind da ja noch die Pferde. Waren das früher landwirtschaftliche "Gebrauchsgäule", meist geduldig und brav, seien viele heute zu temperamentvoll und durch Blasmusik und Menschenmassen am Straßenrand leichter zu irritieren. Und die gewachsene Beziehung zwischen Landwirt und Pferd sei auch durch Proberitte nicht zu ersetzen. "Rund 60 Prozent der Blutreiter sitzen auf Leihpferden", glaubt ein Kenner. Das kostet: 100 bis 150 Euro pro Pferd sind durchaus üblich.
Erheblich teurer wird es, wenn der Blutfreitagsgaul fertig gestriegelt und gesattelt und mit Schabracke in Weingarten bereit steht und es nur noch "fertig zum Aufsitzen" heißt. Was das vielleicht zu heiße Temperament angeht – kein Problem: Eine "Beruhigungspaste", ins Pferdemaul geschmiert, wirkt sedierend. Allerdings mit dem Nachteil, dass solche Pferde hinterher mindestens zwei Wochen wegen Dopings bei keinen Turnieren eingesetzt werden dürfen.
Scharf beobachtet wird jedes Jahr, welcher prominente Politiker zum Blutfreitag angereist kommt und als Ehrengast auf dem "Balkönle" des Rathauses von Weingarten stehen darf. Im vergangenen Jahr löste die Konstellation, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann oben stand und sein Herausforderer Guido Wolf ein paar Meter drunter als Standartenträger der Blutreitergruppe Weingarten vorbeiritt, bei politischen Kaffeesatzlesern einiges Aufsehen aus. Diesmal kommt statt Kretschmann am Blutfreitag Tübingens Regierungspräsident Jörg Schmidt. Und ob der in Weingarten geborene Guido Wolf wieder mitreitet, war gestern noch unklar. Vielleicht kommt er ja als neuer Wirtschaftsminister, war eher als frommer Wunsch zu hören.
Reiter haben Vorrang
Der Freitag nach Christi Himmelfahrt ist Weingartens höchster Feiertag. In der mächtigen Barockbasilika ist die Heilig-Blut-Reliquie aufbewahrt. Der Legende nach birgt sie mit Erde vermischtes Blut von der Kreuzigung Christi.
Am Blutfreitag trägt Pfarrer Ekkehart Schmid die Reliquie hoch zu Ross durch die Stadt und über einen Prozessionsweg. Reiter und Pferde haben absoluten Vorrang. Von 6 Uhr morgens bis 14 Uhr mittags ist die Ortsdurchfahrt gesperrt. Pilger und Besucher sollten vor 6 Uhr angereist sein.
Auch zur Festpredigt an Christi Himmelfahrt mit Bischof Erwin Kräutler werden Tausende Besucher in der Basilika erwartet. Dann sollte auch Luciano Rossi am Ziel sein. Der 58-jährige Extremsportler, der schon durch die Wüste Gobi, Sahara und Namibia gelaufen ist, ist am 29. April in Mantua gestartet. In Weingarten will er eine Kopie jenes Dokuments von 1278 überbringen, das den Ursprung des Heiligen Blutes aus Mantua bestätigt. Signor Rossi soll ein großer Empfang bereitet werden. (wr)