„Ich war drei Jahre lang nicht in der Schule. Ich konnte nicht gehen“, erzählt die junge Frau. Mira Lehmler sitzt mit einem Pinsel in der Hand am Tisch. Vor ihr liegt ein großes Blatt Papier. Nach und nach füllt die 15-Jährige die weiße Fläche mit Leben, das große Blatt wird bunter. Mira Lehmler hat Knochen-Rheuma. Wegen ihrer Krankheit ist sie lange nicht zur Schule gegangen. Die junge Frau beschreibt ihr früheres Leben als leer und trist – ohne jegliche Chance auf einen Neuanfang.

Seit einem Jahr ist Mira Lehmler bei dem Projekt „Kopf Herz Hand“ dabei. Seitdem – so beschreibt es die 15-Jährige – sind die Tage für sie „endlich wieder lebendig.“ Die Organisation „Kopf Herz Hand“ kümmert sich um jugendliche Schulverweigerer. Dabei wirkt Lehmler nicht wie eine typische „Schwänzerin“. Bei ihr ist es die Krankheit, die sie aus der Bahn geworfen hat. „Hier bekomme ich meine letzte Chance. Das weiß ich genau“, sagt die junge Frau. Lehmler hat bei ihren Großeltern in Stockach gewohnt und ist dann ins Heim gezogen. Seit einem Jahr lebt sie in Friedrichshafen. In den Räumen von „Kopf Herz Hand“ lernt Lehmler, holt den Stoff aus den verpassten Jahren Schulzeit auf. Dabei hat sie ein Ziel: den Hauptschulabschluss schaffen. „Dieses Jahr wird es noch nicht klappen“, sagt sie. „Ich hoffe sehr, dass ich bis zum nächsten Jahr genug gelernt habe.“
Andere Teilnehmer hatten „einfach keine Lust“ auf Schule
Die wenigsten Jugendlichen sind wie Mira Lehmler wegen einer Krankheit beim Projekt „Kopf Herz Hand“ gelandet. Leon Müller und Elias Leobiller beispielsweise haben monatelang die Schule geschwänzt. Sie haben sich quergestellt. „Wir hatten einfach keine Lust auf die Schule, auf das Lernen und das ganze Schulsystem“, sagt der 17-jährige Müller und schaut dabei seinen Kumpel Leobiller an. Die beiden kannten sich schon vor ihrer Zeit bei „Kopf Herz Hand“.

„Hier hat man diesen Lerndruck nicht, wie man ihn in der Schule hat. Wir können in unserem Tempo lernen“, sagt Elias Leobiller. Die beiden jungen Männer sind sich sicher: Dieses Jahr wollen sie ihren Hauptschulabschluss machen. Auch für die Zukunft haben Müller und Leobiller Pläne. Leon Müller möchte Koch werden, Elias Leobiller ein Freiwilliges Soziales Jahr im Kindergarten machen.
Manchen Jugendlichen gibt das Projekt wieder eine Art Zuhause
Auch Alexandra hat die Schule geschwänzt. Deswegen möchte sie ihren Nachnamen nicht im SÜDKURIER lesen. Bis zur achten Klasse besuchte die junge Frau eine Gemeinschaftsschule im westlichen Bodenseekreis. Dann fing das an, was sie als ihre „schwierige Zeit“ bezeichnet. Die 15-Jährige schwänzte mehrere Wochen den Unterricht. Schließlich riss sie von Zuhause aus. „Weil ich nicht mehr zur Schule gegangen bin, haben sie mich ins Heim geschickt“, sagt Alexandra. Ihr Blick ist an die Wand gerichtet. Der jungen Frau fällt es schwer, über die Vergangenheit zu sprechen.
Während der Monate im Heim ist Alexandra zur Schule gegangen. Schließlich lief die 15-Jährige aber auch aus dem Heim davon. „Stress zuhause, ich habe mich nicht wohl gefühlt“, ist Alexandras Antwort auf die Frage nach dem Grund.
15-Jährige schmiedet Pläne für ihre Zukunft
Bei „Kopf Herz Hand“ hat Alexandra nach eigenen Worten wieder ein Zuhause gefunden. „Hier fühle ich mich wohl“, beschreibt sie. „Ich komme lieber hier her als nach Hause.“ Zurzeit macht die 15-Jährige ein Praktikum an der Pestalozzischule. „Es macht mir großen Spaß. Später will ich Grundschullehrerin werden“, schildert Alexandra ihre Zukunftspläne.
So ist „Kopf Herz Hand“ entstanden
- Grundgedanke: Die Organisation „Kopf Herz Hand“ wurde im Jahr 2008 an der Pestalozzischule in Friedrichshafen gegründet. Der ehemalige Rektor der Schule, Josef Brugger, wollte ein Konzept für jugendliche Schulverweigerer entwickeln. Dahinter stand die Frage: „Was machen wir mit Jugendlichen, die den Rahmen der schulischen Möglichkeiten sprengen?“ Die betroffenen Schüler aufzugeben sei für Josef Brugger nicht in Frage gekommen, erzählt Therapeutin Antje Strathmann-Cissè im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Strathmann-Cissè ist von Anfang an bei „Kopf Herz Hand“ dabei. Auf Grundlage der dargestellten Gedanken wurde das Konzept entwickelt, ein Team wurde zusammengestellt und die Finanzierung sichergestellt.
- Finanzierung: Das Projekt „Kopf Herz Hand“ finanziert sich aus Fördergeldern des Landes Baden-Württemberg, des Landkreises Bodenseekreis sowie der Stadt Friedrichshafen.
- Entwicklung und Erfahrung: „Nach und nach wurde ‚Kopf Herz Hand‘ zu einer Mischform aus Schule und Jugendhilfe“, sagt Antje Strathmann-Cissè. In der täglichen Arbeit fördern Strathmann-Cissè und ihre Kollegen Jens Weigand, Catrin Schröder-Pohl sowie Claudio Morgenstern die Werte Respekt, Gemeinschaft und Ziele, beschreibt die Therapeutin. „Es ist eine Aufgabe, die uns täglich fordert und bei der wir auch an unsere Grenzen kommen“, sagt Strathmann-Cissè.
- Betreuungsmöglichkeiten: Für insgesamt 16 Jugendliche aus dem Bodenseekreis hat das vierköpfige Team Kapazitäten. Betreut werden bei „Kopf Herz Hand“ Teilnehmer im Alter zwischen 14 und 18 Jahren.
- Informationen im Internet: http://www.kopfherzhand.com