Frau Coban, wie ist die Stimmung unter den türkischen Vereinen?

Ich habe noch nicht wahrgenommen, dass in den Häfler Vereinen hart über die mögliche Verfassungsänderung in der Türkei diskutiert wird. Es gibt keine großen Debatten in der türkischen Community. Die Vereine informieren zwar, geben aber keine Empfehlungen ab. Dieses Referendum ist eine sehr persönliche Sache, schließlich geht es um die türkische Verfassung. Man kann sich eine Meinung bilden, sich informieren. Ich bin allerdings der Meinung, dass wir, die hier leben, das Leben in der Türkei vom Alltag her gar nicht mehr kennen. Ich habe ein ganz großes Vertrauen in die Bürger der Türkei, über 80 Millionen, die werden schon das Richtige entscheiden können. Die Abstimmung wird im groben, nicht über die ein, zwei Prozent Deutsch-Türken entschieden, das ist eine falsche Wahrnehmung.

Sie klingen trotzdem besorgt.

Natürlich bin ich sehr, sehr besorgt, es macht mich auch sehr traurig, dass die Türkei in der letzten Zeit in diesem Maße Thema wird. Es gab ja keine Talkshow, in der es nicht um das Referendum, die Türkei, Erdogan, geht. Meine Eltern leben in der Türkei, meine ganze Verwandtschaft, meine Geschwister. So eine Aufwühlung wie hier in Deutschland habe ich eigentlich in meinem Bekanntenkreis in der Türkei nicht mitbekommen. Wir beschäftigen uns hier viel mit dem Referendum eines Landes, in dem wir nicht leben. Wir sind Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund.

Das heißt, sie finden es nicht gut, dass Deutsch-Türken mit abstimmen?

Nein, so habe ich das nicht gemeint. Diejenigen Türken, die immer noch türkische Staatsbürger sind, sollen auch ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen. Ich sage aber, dass in Deutschland insbesondere seitens unserer Politiker primär deutsche und für Deutschland relevante Politik betrieben werden soll.

Sie haben sich für den deutschen Pass entschieden. Warum?

Genau. Ich stimme deshalb gar nicht beim Referendum ab. Ich möchte lieber in dem Land, in dem ich lebe, mitbestimmen. Ich möchte hier mitreden, mitgestalten, wählen. Hätte ich die türkische Staatsbürgerschaft behalten, könnte ich das nicht. Und wenn ich nicht mitspreche, nicht mitgestalten kann, dann kann ich ja auch nicht darüber schimpfen oder irgendwie ein Urteil erlauben. Aber mit der deutschen Staatsbürgerschaft allein ist man noch lange kein Deutscher.

Warum bleiben viele junge Deutsch-Türken, die hier geboren und aufgewachsen sind, trotzdem türkische Staatsbürger?

Das würde mich auch sehr, sehr interessieren, weil ich auch keine richtige Antwort darauf weiß. Aber das wäre mal ganz interessant, wirklich mal das zu durchleuchten, warum das so ist.

Schaden die Debatten um Erdogan der Integration?

Auf jeden Fall. Wir investieren so viel Zeit, so viel Kraft in das Miteinander der Bürger. Ich gehöre zu der zweiten Generation, ich lebe hier und will mich für ein friedliches Miteinander, für die Integration der Mitbürgerinnen und Mitbürger hier bei uns auf der kommunalen Ebene einsetzen. Deutsche Politiker beschäftigen sich nur noch mit der Türkei, dabei handelt es sich primär um meistens negative Themen, dies ist in der täglichen Berichterstattung wiederzufinden. So eine undifferenzierte Darstellung der Türkei führt sicher nicht zur positiven Entwicklung der Integration. Dies schürt nämlich Ängste und Misstrauen zwischen den in Deutschland lebenden Bürgern. Es sollte doch viel mehr darum gehen, was sich vor unserer Haustüre abspielt. Was passiert hier, wie ist die Integration hier? Wie fühlen sich die Menschen hier angenommen, wie geht es ihnen hier? Wir sollten den sozialen Frieden in unserer Stadt wahren und uns einfach viel mehr hier aktiv einbringen.

Zur Person

Emel Coban ist in Aydin/Türkei geboren, ihre Familie lebt in Aydin bei Izmir. Seit 2014 ist sie Vorsitzende des "Rats der Nationen und Kulturen" in Friedrichshafen. In diesem Rat, einer Art Dachverband, sind 32 Migrantenvereine, bestehend aus zwölf Nationen, vertreten. Coban war außerdem 17 Jahre lang im Vorstand der DITIB-Gemeinde, Mehmet Akif Moschee FN, ehrenamtlich als Dialogbeauftragte für die Moschee und auch als Sprecherin dieser Moschee tätig und kennt sich in den türkischen Communities gut aus. Sie ist auch Gründungsmitglied d. Christlich-Muslimischen Dialogkreis FN im Jahre 2000. Die 52-Jährige arbeitet als Technische Sachbearbeiterin bei MTU Friedrichshafen und trat bei der Gemeinderatswahl 2014 für die Freien Wähler an. 2019 will sie es noch einmal mit einem Mandat versuchen. (sab)