Karlheinz Fahlbusch

Die Wartezimmer sind voll. Und das gilt sowohl für Fachärzte als auch für Allgemeinmediziner, die umgangssprachlich gerne auch als Hausärzte bezeichnet werden. Doch ins Haus kommen viele nicht mehr, weil sie es zeitlich nicht schaffen. Der Landarzt, wie man ihn aus Fernsehserien kennt, ist oft eine Fiktion aus einer heilen Welt. Besonders schwer wiegt, dass mehr Ärzte in den Ruhestand gehen als junge Mediziner nachfolgen. Hinzu kommen ein zu geringes Interesse der Studierenden am Fach Allgemeinmedizin und, wie Insider immer wieder feststellen, Unzulänglichkeiten in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Und es ist längst eine Tatsache: Viele junge Mediziner zieht es in Städte und Ballungsgebiete, was auf dem Land zum Teil zu erheblichen Nachwuchsproblemen führt. Und das insbesondere im hausärztlichen Bereich, in dem die demografische Entwicklung eigentlich mehr Mediziner erfordert.

Dr. Atilla Akinli ist vor einiger Zeit in die Praxis von Dr. Jürgen Winter in Pfullendorf eingestiegen. Damals kam er von Ulm in den Linzgau und hat es bis heute nicht bereut. „Die Region ist wunderschön, es wird viel geboten und die Menschen sind sehr nett“, sagt der Mediziner, der in Deutschland geboren ist. Doch auch ihn plagen jetzt schon Nachwuchssorgen. „Mein Kollege ist zwar erst 55 Jahre alt, aber es ist sicher sinnvoll, jetzt schon mal die Fühler nach einem möglichen Nachfolger auszustrecken.“ Doch Interessenten sind rar. Da kommt auch ein Faktor mit ins Spiel, der eigentlich erfreulich ist: Ein großer Teil des ärztlichen Nachwuchses ist weiblich. Insofern wird es immer wichtiger, dass neben dem Beruf auch Platz für ein Familienleben bleibt. Darauf sind die Versorgungsstrukturen auf dem Land aber noch nicht ausreichend angepasst.

Auch die bundesgesetzlich vorgegebene Bedarfsplanung, die von Kritikern oft als großräumig und unflexibel bezeichnet wird, und die unzureichende Nutzung sektorenübergreifender Versorgungsressourcen tragen zu der Verteilungsproblematik bei. Für diese Bedarfsplanung ist die Kassenärztliche Vereinigung zuständig. 1993 hat die Bundesregierung festgelegt, dass die Zahl der Ärzte in einer Region begrenzt ist. Damit sollte durch eine Begrenzung der Niederlassung der Kostenanstieg im Gesundheitswesen gedämpft werden („Angebot schafft Nachfrage“). Den Mechanismus, um die Zahl zu berechnen, stellt die Bedarfsplanung dar. Hier wird mehrmals im Jahr berechnet, wie gut der Versorgungsgrad einer Region in den einzelnen Fachgruppen ist. Laut Kassenärztlicher Vereinigung Baden-Württemberg weist der Landkreis Sigmaringen allerdings im vergangenen Jahr immer noch einen der besten Werte aus, was das Einwohner-Hausarzt-Verhältnis im Land angeht. „Doch das sind nur statistische Zahlen, das kann von Ort zu Ort natürlich sehr unterschiedlich sein“, sagt KV-Pressesprecher Kai Sonntag.

Es kann auch passieren, dass es in einem Ort überhaupt keinen Arzt gibt, obwohl es von der Einwohnerzahl her sein müsste. In der Stadt Scheer mit 2700 Einwohnern hat man das Problem zumindest teilweise gelöst. Der 73-jährige Dr. Joachim Brummund ist eigentlich nach 35 Jahren als Hausarzt im Nachbarort schon 2014 in Rente gegangen. Eigentlich hätte er gerne in Teilzeit in einer Praxis mitgearbeitet. Doch die Möglichkeit ergab sich nicht. Jürgen Wild, der damalige Bürgermeister von Scheer, hörte vom Ansinnen des Mediziners und wurde schnell einig mit ihm: Die Kommune stellte Räumlichkeiten für eine Bestell- und Teilzeitfacharztpraxis zur Verfügung, das nötige Equipment brachte Brummund mit.

Mittlerweile stehen 300 Patienten in der Kartei. „Damit ein Arzt praktizieren kann, benötigt er eine Zulassung. Die kann auch durchaus ein berenteter Arzt für eine Praxis beantragen. Die kann auch stundenweise ausfallen“, heißt es seitens der KV Baden-Württemberg.

Um die Not mit der ärztlichen Versorgung zu lindern, kommen Kommunen auf allerlei Ideen. Es werden Räumlichkeiten und zinsgünstige Kredite angeboten, Unterstützung bei der Praxiseinrichtung und andere Vergünstigungen. Das kann auch schon mal in eine Abwerbung ausarten.

Was bleibt, ist der Mangel an Hausärzten. Deshalb haben sich die Verantwortlichen bei den SRH-Kliniken Landkreis Sigmaringen entschlossen, neben anderen Fachrichtungen auch Allgemeinmediziner auszubilden, die sich dann als Hausärzte niederlassen können. „Wir tun das, weil wir ein gemeinsames Interesse haben: Die medizinische Versorgung der Menschen im ländlichen Raum“, sagt Personalleiter Matthias Brand. Dazu gehöre auch die Einrichtung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die als eigene Gesellschaften agieren und wo die Ärzte dann angestellt sind. Solche Zentren gibt es bereits mehrere.

"Die Zahl der Ärzte ist begrenzt""

Kai Sonntag ist Leiter der Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg.

Wie sieht es mit der Hausarztversorgung in den Landkreisen Sigmaringen und Bodensee aus?

1993 hat die Bundesregierung festgelegt, dass die Zahl der Ärzte in einer Region begrenzt ist. Ein ausreichender Versorgungsgrad ist mit 100 Prozent definiert, im Bereich Sigmaringen liegt er nach der letzten Berechnung im Februar bei 107,3 und im Bereich Pfullendorf bei 106,5. In Bad Saulgau (und den angrenzenden Gemeinden) weist die Bedarfsplanung 95,6 Prozent aus, also leicht unter der 100-Prozent-Grenze. Die Versorgungssituation wird von der Bevölkerung möglicherweise anders gesehen. Die Bedarfsplanung kann daher nicht den Anspruch erheben, die Versorgungssituation exakt widerzuspiegeln, sie ist eher ein grobes Planungsinstrument.

Wohin geht die Tendenz?

Eine Tendenz ist schwierig zu prognostizieren, denn es gibt für niedergelassene Ärzte keine Altersgrenze. Bei den Hausärzten ist der Altersdurchschnitt allerdings höher als im Landesdurchschnitt. Im vergangenen Jahr waren 43 Prozent der Hausärzte älter als 60, im Landesdurchschnitt waren es 35 Prozent.

In wieweit fördert die KV die Ansiedlung von Fachärzten in ländlichen Bereichen?

Wir haben ein Förderprogramm, welches im haus- und fachärztlichen Bereich die Ansiedlung von Ärzten in Regionen mit einer drohenden Unterversorgung finanziell fördert. Dazu gehört der Landkreis Sigmaringen bei den Haut- und HNO-Ärzten. Die Förderung beträgt bis zu 60 000 Euro.

Fragen: Karlheinz Fahlbusch