Als er die Haustür zum letzten Mal hinter sich zuzog und den Schlüssel für die neuen Bewohner in den Briefkasten warf, füllten sich seine Augen mit Tränen. Wilfred Zöbisch drehte sich am Ortsschild von Sensweiler am Hunsrück noch einmal um, machte ein letztes Abschiedsfoto und fuhr mit seiner Frau Eleonore 400 Kilometer weit: nach Überlingen. Das Paar kam am 15. März 2021 am Bodensee an – und ging nie wieder zurück.

Eleonore Zöbisch und ihr Heimatbegriff Video: Hilser, Stefan

Kein einziges Mal seien sie mehr in ihre alte Heimat zurückgekehrt, berichtet Eleonore Zöbisch. Allerdings halten sie Kontakt und bekommen regelmäßig Besuch von dort. Sie ist in dem Dorf im Hunsrück aufgewachsen, sie ist die einzige Tochter eines Landwirts und Edelsteinschleifers. Doch in Überlingen fand sie eine neue Heimat.

Anlass für unseren Bericht war ein Dankeschön

Eleonore und Wilfred Zöbisch meldeten sich beim SÜDKURIER. Sie wollten nach zwei Jahren am neuen Wohnort den Einwohnern von Überlingen einfach mal Danke sagen. „Bei allen Begegnungen und Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern aus Überlingen sind wir herzlich aufgenommen worden“, schreiben sie in einer E-Mail an unsere Redaktion. „Auffällig ist das freundliche Grüßen in der Stadt, wenn man sich unbekannt begegnet, das erlebten wir zu Hause in einer vergleichbaren Stadt kaum.“

Wilfred Zöbisch und sein Heimatbegriff Video: Hilser, Stefan

Überlinger Geselligkeit schätzen gelernt

Ihre Betreffzeile lautet „Erfahrungen in Überlingen“. Diese schildern sie mit den Worten, dass die Ur-Überlinger stolz auf ihre Verbundenheit und Prägung durch die historische Stadt seien, und dies positiv zum Ausdruck komme. Skepsis, wenn Neubürger in die Stadt kommen, gebe es überall auf der Welt. „Das lässt sich aber ändern, wenn man selbst auf Menschen zugeht“, beschreiben sie ihre Herangehensweise. Sie fühlten sich bei allen Veranstaltungen willkommen. „Die Geselligkeit hat einen hohen Stellenwert – nicht nur in der Fastnacht.“

„Hier kann ich später auch mit Rollator sein“

Wie Eleonore Zöbisch beschreibt, wollten sie diesen Schritt unternehmen, solange sie noch selbstbestimmt ihr Leben führen. Im Hunsrück hätten sie im Alter nicht lange bleiben können, weil nichts mehr an Infrastruktur übrig geblieben sei in ihrem Dorf. Von ihrem Überlinger Altersruhesitz aus finden sie fußläufig alles, was man zum Leben braucht, „hier kann ich später auch mit Rollator sein“.

Ihre Wurzeln haben sie gekappt und lassen sich komplett auf ihre neue Heimat ein: Eleonore und Wilfred Zöbisch in ihrer neuen ...
Ihre Wurzeln haben sie gekappt und lassen sich komplett auf ihre neue Heimat ein: Eleonore und Wilfred Zöbisch in ihrer neuen Mietwohnung in Überlingen. | Bild: Hilser, Stefan

Arzt, Bäcker, Supermarkt, Kultur, Bodensee, Geschichte, Geselligkeit. Alles gut erreichbar. Und nette Leute wie Beate und Michael (Mimi) Braun, lebten auch in der Stadt, beschreibt das Paar. Mimi Braun lernten sie bei einem freiwilligen Arbeitseinsatz im Weinberg in Meersburg kennen. Wie das?

Eleonore Zöbisch bearbeitete ein Leben lang einen großen Garten, die Schere liegt ihr gut in der Hand. Da stieß sie beim Wimmeln im Weinberg auf Braun, der ebenfalls aus Spaß an der Freude bei der Lese half. Die beiden Paare trafen sich fortan öfter, und klar, die Zöbischs fanden über Brauns, die im Frauenkaffee und im Dorferschoppen engagiert sind, auch schnell zur Fastnacht. Beate Braun sagt über sie: „Sie sind sehr offen für alles Neue. Dann öffnen sich auch Alteingesessene ihnen gegenüber.“

Er machte Karriere beim TÜV Pfalz

Wilfred Zöbisch war in Rheinland-Pfalz ein hohes Tier beim TÜV. In einem über 50-jährigen Arbeitsleben arbeitete er sich hoch vom Prüfer bei der Autoführerscheinprüfung bis zum Leiter des TÜV Pfalz mit gut 250 Beschäftigten. Er stammt aus Thalfang bei Trier, nur 17 Kilometer von Sensweiler entfernt. Die SPD ist seine politische Heimat, die er im Überlinger Ortsverein, wo er sich im Vorstand einbringt, weiter pflegt.

Ein Leben für Familie, Ehrenamt und Kunst

Eleonore Zöbisch absolvierte eine Ausbildung zur Pharmazeutisch Technischen Assistentin. Sie gab ihren Beruf auf, um für die Familie mehr Zeit zu haben, für ehrenamtliches Engagement in Vereinen und bei der Tafel, und für ihr künstlerisches Wirken als Töpferin. Von ihrer Fertigkeit zeugen viele Krüge und Gefäße in ihrer Wohnung. Doch ließ sie den Brennofen zurück, und sie möchte sich auch nicht mehr an einen Verein binden. In Überlingen suche sie vor allem eines: „Ruhe!“

Eleonore Zöbisch mit einem ihrer Keramiken, die mit dem aufwendigen Rakubrand bearbeitet wurde. Ihren Brennofen ließ sie zurück in der ...
Eleonore Zöbisch mit einem ihrer Keramiken, die mit dem aufwendigen Rakubrand bearbeitet wurde. Ihren Brennofen ließ sie zurück in der alten Heimat. | Bild: Hilser, Stefan

Ihr Sohn haderte mit dem Schritt seiner Eltern

Beide sind am Hunsrück verwurzelt – und trotzdem kehrten sie ihrer Heimat den Rücken. Ihr Haus eröffnete einen Panoramablick auf den Nationalpark Hunsrück-Hochwald, berichtet Eleonore Zöbisch. Der Bodensee ist landschaftlich ein schöner Ersatz, den Freunde und Bekannte gerne für einen Besuch bei ihnen nutzen. Doch ihr Sohn, seit Jahrzehnten in Berlin, habe sich sehr schwer getan mit der Endgültigkeit ihres Schrittes.

Ihre Tochter baute am alten Wohnort ein Tiny House

Ihre Tochter, sie lebt in Stuttgart, habe den Schritt ihrer Eltern besser verstanden und sich zum Ausgleich ganz einfach neben das Grundstück im Hunsrück ein Tiny House gestellt, quasi als Brückenkopf in die Vergangenheit.

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Das Rentnerehepaar sieht die Zukunft voll und ganz in Überlingen. Wie kamen sie überhaupt auf diesen Ort? Es hätte auch Berlin-Zehlendorf sein können, wo ihr Sohn lebt. Einer eher spontanen Eingebung folgend hätten sie sich für den Süden entschieden. Wie Wilfred Zöbisch sagt, sei er schon als Jugendlicher an den Bodensee zum Zelten gereist, Premiere war auf einem Campingplatz in Nußdorf. Seitdem hätten er und seine Familie den Bodensee, und hier meist Überlingen, rund 150 Mal besucht. Es war quasi schon immer ihre zweite Heimat.

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