Welche politischen Ziele verfolgen Sie in Bezug auf den Erhalt gewachsener Bausubstanz?

Es ist mir wichtig, dass wir zwischen gewachsener Bausubstanz, die vom Zustand her vielleicht nicht mehr erhaltenswürdig ist, und der gewachsenen Bausubstanz im Sinne des Denkmalschutzes unterscheiden. Wenn es sich darstellen lässt, wenn es eine Nutzung gibt, und vor allem auch, wenn es die finanziellen Möglichkeiten zulassen, möchte ich natürlich auch die gewachsene Bausubstanz erhalten. Mir ist aber wichtig hervorzuheben, dass die öffentliche Hand beim Erhalt gewachsener Bausubstanz nicht der alleinige Ansprechpartner sein kann. Es wurde oftmals versucht, baurechtlich die Verantwortlichkeiten einseitig in Richtung öffentliche Hand zu verschieben. Auch, wenn es sich um Privateigentum handelt.


Die Diskussion in Überlingen bezieht sich weniger auf denkmalgeschützte Gebäude, die einen entsprechenden Schutz genießen, als vielmehr um die Gebäude knapp unterhalb des Denkmalschutzes. Können Sie die Sorgen der Bürger vor dem sogenannten Villensterben ein Stück weit verstehen?

Selbstverständlich. Aber ich weise in diesem Zusammenhang immer wieder auf die Verantwortung des Einzelnen hin. Es kann beispielsweise sein, dass ein Erbfall eintritt, dann folgt in der Regel eine Erbengemeinschaft. Dahinter stehen möglicherweise Menschen, die weltweit unterwegs sind und kein Interesse daran haben, das Objekt selbst zu nutzen. Und was passiert dann? Es wird veräußert. Und da stellt sich für mich schon die Frage, welche Rolle kann an dieser Stelle die öffentliche Hand spielen?


Genau das wäre jetzt meine Frage gewesen: Wie kann die öffentliche Hand hier einwirken?

Sie werden zu Recht sagen, es gibt baurechtliche Möglichkeiten. Auf der anderen Seite sage ich, und da möchte ich auch niemanden aus der Pflicht entlassen, dass es eine privatrechtliche Verantwortung für das Gebäude gibt, an dem einem als Eigentümer gelegen ist. Als Stadt sind wir im Veräußerungsfall oft im baurechtlichen Bereich unterwegs, eine viel diskutierte Situation im Gemeinderat. Es geht dann um Paragraph 34 Baugesetzbuch, ein Einfügen von Neubauten in die Nachbarschaftsbebauung. Warum ist das der Fall? Weil wir zum Teil keine Bebauungspläne in dieser Stadt haben. Wir hatten zahlreiche Aufstellungsbeschlüsse, aber die Bebauungspläne haben keine Rechtskraft erlangt. Das Ende vom Lied ist, dass nach Verfahrensversäumnissen in der Vergangenheit zahlreiche Aufstellungsbeschlüsse aufgehoben worden sind. Mit der Konsequenz, dass wir zahlreiche städtische Gebiete haben, die über keinen Bebauungsplan verfügen. Das heißt, wir müssen alles über Paragraph 34 Baugesetzbuch entscheiden.


Oder neue Aufstellungsbeschlüsse fassen.

Das ist die zweite Alternative. An der Stadtverwaltung liegt es nicht, wir möchten Bebauungspläne aufstellen. Aber es handelt sich um ein Verfahren, das mit allen rechtsstaatlichen Rechten und Pflichten ausgestattet ist. Eben auch der Möglichkeit, zu klagen und das Verfahren bis zur Rechtskraft des Bebauungsplanes in die Länge zu ziehen.


Ich glaube, die Überlinger haben den Wunsch, dass ihr Oberbürgermeister erkennt, welchen Schatz es da zu bewahren gilt und vielleicht auch erkennt, dass sich die Stadt in den letzten 20 Jahren nicht nur zum Guten veränderte. Hatten Sie in den zurückliegenden Wochen die Gelegenheit, hierfür ein Gespür zu entwickeln und eine Bewertung abzugeben?

Selbstverständlich habe ich dafür ein Gespür, aber ich warne eben auch davor, sich der Illusion hinzugeben, dass die öffentliche Hand alles wird regeln können. Manche baurechtliche Entscheidung, die in der Vergangenheit getroffen wurde, musste so getroffen werden, weil es das Baurecht von der Baurechtsbehörde erfordert hat und weil wir gar keine andere Möglichkeit hatten. Ich sehe das und habe mir als Vergleich am vorvergangenen Sonntag die Bebauungssituation am Schweizer Bodenseeufer angeschaut. Da gibt es zum Teil Auswüchse, die möchte ich für Überlingen garantiert nicht haben. Das heißt, wir als Stadtverwaltung und auch der Oberbürgermeister sehen natürlich das Erfordernis, hier über schlaue Bebauungspläne regelnd einzugreifen. Ich sehe aber auch die Schwierigkeiten, das innerhalb kürzester Zeit zu erreichen.


Und wie bewerten Sie die Entwicklung, die Überlingen in den letzten 20 Jahren nahm?

Überlingen ist nach wie vor mit einer reichen und auch sehr anspruchsvollen Bausubstanz gesegnet. Das sage ich bewusst an dieser Stelle. Aber einzelne Bauvorhaben der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass es nicht immer so bleiben muss. Ich sehe, dass wir hier regulierend eingreifen müssen, wir bemühen uns dies auch über die Bebauungspläne zu vollziehen. Aber wenn mit Normenkontrollverfahren dagegen vorgegangen wird, tun wir uns halt auch schwer, schnell Bebauungspläne, die zumindest mal die groben Auswüchse begrenzen könnten, zügig auf den Weg zu bringen. Sie würden uns als Verwaltung die Handlungsmöglichkeit bieten, den Altbestand auch bei Neubauten besser zu schützen.


Sehen Sie das Problem, dass mancher Bürger nur gegen den Bebauungsplan vorgeht, weil er nicht an den Kosten für eine Straßenerschließung im Bestandsgebiet beteiligt werden möchte?

Ich sehe selbstverständlich, dass es im Zuge eines Bebauungsplanverfahrens ein hohes Maß an Individualinteressen geben kann. Ich kann auch per se nachvollziehen, dass man für sich das eine oder andere nicht möchte. Aber man muss halt dann auch den Hinweis geben, dass es dadurch im Zuge eines rechtsstaatlichen Bebauungsplanverfahrens zu massiven Zeitverzögerungen kommen kann.


Sehen Sie in der Stadt Straßenzüge oder Quartiere mit einem besonders hohen Handlungsdruck?

Sämtliche Seebereiche mit einer Außenwirkung Richtung See. Vor allem sollte es uns gelingen, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Und da nenne ich auch ganz deutlich, was der Fehler war: Aufstellungsbeschlüsse zu fassen und dann das Bebauungsplanverfahren nicht zu Ende zu führen.


Zu was führte dieser Fehler?

Dass wir viele einzelne Baumaßnahmen zulassen müssen. Ich sage da nur Dachformen als Stichwort, die vielleicht von vielen so nicht gewünscht waren, wobei ich das Flachdach grundsätzlich nicht ablehne. Aber bei manchen Bauvorhaben hätte man durch die Festlegung von Dachformen und Traufhöhen oder sonstiger Maßnahmen doch das eine oder andere erreichen können.


Zwei konkrete Beispiele, Mühlenstraße und Nussdorf entlang des Sees. Wie wird es hier in zehn Jahren aussehen?

Das weiß ich heute nicht. Das hängt zum einen davon ab, mit welcher Qualität an dieser Stelle gebaut werden soll, wie der einzelne Bauherr sich entwickelt. Und zum anderen davon, ob wir im jeweiligen Bereich Bebauungspläne haben, dort werden wir eine vernünftige Entwicklung hinbekommen. Dort, wo es keinen geltenden Bebauungsplan gibt oder in absehbarer Zeit geben wird, werden wir unsere Schwierigkeiten haben, aus baurechtlicher Sicht tatsächlich so einzugreifen, dass die Entwicklung, die sich der eine oder andere wünscht, letzten Endes auch stattfindet.


Sehen Sie die Notwendigkeit oder die Chance dazu, hier noch einen Bebauungsplan aufzustellen?

Ich sehe immer die Notwendigkeit, Bebauungspläne aufzustellen, weil ich eine Genehmigung von Bauvorhaben anhand eines qualifizierten Bebauungsplans einer Genehmigung nach § 34 Baugesetzbuch vorziehe. Ich bin auch jemand, der sagt, ich möchte eine runde Entwicklung haben. Nur darf man eben nicht unterschätzen, wie aufwendig so ein Bebauungsplanverfahren ist. Das heißt, wir sind gefordert, schnell zu arbeiten. Das machen wir dort, wo wir neue Baugebiete wie z.B. nordöstlich Hildegardring ausweisen. Aber dort, wo wir ganz intensiv Handlungsbedarf sehen, dränge ich natürlich drauf, dass wir uns zügig in ein B-Planverfahren begeben. Es gibt aber auch Fälle, wo dieses Verfahren mit rechtsstaatlichen Mitteln angegriffen wird. Dann sind wir wieder im Faktor Zeit sehr eng unterwegs.


Aber die Entwicklung – bleiben wir nochmals beim Beispiel Mühlenstraße – war doch absehbar. Wir haben einige große Gebäude, zum Beispiel Post und Polizei, und haben große Grundstücke, die der Gartenstadt Überlingen auch ein Stück weit ein Gesicht gaben. Die Entwicklung war absehbar. Attraktive Lage, auch noch teilweise am Hang, das Ergebnis sieht man jetzt. Wie bewerten Sie das?

Erwarten Sie von mir, das ich jetzt das Verwaltungshandeln der Vergangenheit beurteile? Vielleicht hätte ich mir auch das eine oder andere gewünscht, aber der Zeitpunkt ist jetzt vorbei. Das heißt, wir können nur in die Zukunft blicken. Ich nehme die Vergangenheit, das heißt die Entwicklung, so an, werde sie aber nicht umkehren können.


Aber Sie können den Status quo aufgreifen, und was daraus ableiten?

Die Notwendigkeit, an sensiblen städtischen Bereichen möglichst schnell Bebauungspläne rechtskräftig werden zu lassen. Ich sage bewusst „rechtskräftig werden zu lassen“, nicht nur aufzustellen.


Ist das mit vorhandenem Personal leistbar oder wollen Sie darauf hinwirken, dass da das Bauamt personell verstärkt wird?

Wir haben eine leistungsfähige Verwaltung. Aber wenn natürlich alles massiv auf einmal kommt, dann wird es sicher schwierig. Aber es gibt auch das Instrument, extern zu vergeben, dessen man sich bedienen kann. Da hängt natürlich auch davon ab, wie der Gemeinderat bereit ist, so ein Fortschreiten zu begleiten. Ich bin bereit dazu. Aber der Schwur kommt natürlich dann zustande, wenn es um Kosten geht, die dabei entstehen.


Überlingen hat den schönen Ehrentitel, eine „Gartenstadt“ zu sein. Wissen Sie, woher das kommt?

Allein schon aus der Vergangenheit, wenn Sie sich die Entwicklung der Stadt in den letzten 150 Jahren seit dem damaligen Stadtgärtner Hoch anschauen. Wenn Sie sich die Gartenanlagen unserer Stadt aktuell anschauen, den Stadtgarten, den Kurpark und den im Zuge der LGS entstehenden Uferpark, dann spricht auch die Gegenwart für sich.


Ist Überlingen auch wegen der privaten Gärten eine Gartenstadt?

Wegen der privaten Gärten sicher auch. Aber, und das ist noch ein ganz wichtiger Punkt, wir haben zahlreiche professionelle Gartengestalter in der Stadt, unsere Landschaftsarchitekturbüros aus Überlingen sind weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Auch unsere Stadtgärtnerei. Daher glaube ich, dass Überlingen immer eine Gartenstadt bleiben wird. Wenn man sich ansieht, was wir im Westen der Stadt jetzt entstehen lassen und was in Zukunft unter dem Stichwort „Grünvernetzung“ in der Stadt passieren wird, dann spricht das eindeutig dafür, dass Überlingen immer eine Gartenstadt bleiben wird.


Fragen: Stefan Hilser


Zur Person

Jan Zeitler, 1970 in Dortmund geboren, in Ludwigsburg aufgewachsen, studierte an den Universitäten Bayreuth und Konstanz Rechts- und Verwaltungswissenschaften und schloss sein Studium als Diplom-Verwaltungswissenschaftler ab. Er wurde am 27. November 2016 mit 50,1 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang zum Oberbürgermeister von Überlingen gewählt. Er löst Sabine Becker ab, die 12 Prozent der Stimmen erhalten hat. Zeitler war zuletzt Bürgermeister in Horb. Er ist verheiratet mit Annette Stoll-Zeitler, die seit Januar 2017 als Fachbereichsleiterin bei der Landesgartenschau GmbH in Überlingen arbeitet.