Dichtgedrängt sitzen die Besucher beim Literarischen Jour Fixe des IBC, dem letzten im Jahr 2018, im Nebenzimmer des Cafés auf der Meersburg. "So voll war's noch nie", freut sich Leiterin Chris-Inken Soppa. Außerordentliche Literatur steht an diesem Tag im Mittelpunkt: Texte von aus Syrien Geflüchteten, die heute in der Bodenseeregion leben, teils von ihnen selbst vorgelesen, teils von der Schriftstellerin Katrin Seglitz und Manfred Kohrs.
Projekt aus Deutsch-Sprachkurs in Ravensburg
"Meine traurige Heimat war das schönste Land der Welt. Jetzt ist es das Unglücklichste." So heißt der Band, der die Erzählungen zusammenfasst. Das Projekt ging aus einem Deutsch-Sprachkurs in Ravensburg hervor, den Seglitz 2017 unterrichtete. Mohamed begann damals die Präsentation über seine Heimatstadt Aleppo mit den eben jenen Worten, die jetzt dem Buch den Titel geben.
Enger Kontakt zu syrischen Geflüchteten
Seit Jahren unterhält Seglitz engen Kontakt zu syrischen Geflüchteten. Mit ihnen reden statt über sie, lautet ihre Devise, die sie auch den Zuhörern ans Herz legt. Die Teilnehmer des Erzählprojekts, berichtet sie, sprachen viel über den Alltag. Doch selbst wenn die Syrer übers Essen redeten: Der Krieg und die Not der Bevölkerung waren immer gegenwärtig. Die ganze Bandbreite dieser Themen findet sich auch im Erzählband. Mohamed ist bei dessen Vorstellung nicht dabei, auch nicht Yusuf aus Damaskus, der glaubt, dass sein bester Freund im Krankenhaus umgebracht wurde. Ihre Texte tragen Kohrs und Seglitz vor. Doch Karam, Muna, Munas Tochter Rusel und Dersim sind gekommen und lesen selbst vor. Es sind Geschichten von Krieg, Gewalt, Flucht und Todesangst, aber eben auch vom Alltag inklusive kleiner Freuden wie sie Katzen oder Kanarienvögel bereiten. Karam ist Zahnarzt, heute in Friedrichshafen, einst in Tabaka, wo er alles aufgeben musste, der durch den Krieg plötzlich vom "Arbeitgeber zum Hilfsbedürftigen" wurde.
Muna: "Ich hatte 100 Fragen und keine Antwort"
Muna, Jahrgang 1981, floh mit drei kleinen Kindern aus Syrien, erst in die Türkei, dann per Schlauchboot nach Griechenland und schließlich Deutschland. "Ich hatte 100 Fragen und keine Antwort", fasst sie ihre Angst und ihre Ohnmacht zusammen. Ihre heute 13-jährige Tochter Rusel, die jetzt das Gymnasium in Altshausen besucht, erinnert sich an ihre Lieblingspuppe, die sie bei der Flucht unter Tränen zurücklassen musste.
Dersim, kurdischer Arzt, damals Student in Ankara, beschreibt die Anfänge des Protestes gegen Assad. "Wir haben uns für Freiheit, Gleichheit und Demokratie eingesetzt. Und für Frieden. Aber Frieden kann man nur auf friedliche Weise erreichen." Der Konflikt in Syrien sei komplex, sagt Karam auf eine Frage aus dem Publikum. "Jeder sieht das Thema aus seiner Ecke. Wer kann die Wahrheit erzählen?" Derzeit niemand, meint Karam. Doch eines sei gewiss, unterstreicht auch er: "Gewalt bringt nur Gewalt."