Boogies und Blues im Wohnzimmer gibt es meistens nur aus der Hi-Fi-Anlage – oder im Café Moccafloor in Pfullendorf. Auch bei drangvoller Enge ist es dort noch gemütlich. Und wenn dann ein musikalisches Schwergewicht wie Steve Clayton in die Tasten geht, dann wird es ein Abend, an den man lange denken wird. Am Samstag war wieder einmal Boogie-Woogie Night und gleichzeitig der Abschied vom Big Man, der vor einigen Monaten mit seiner Frau Theresa nach Lüchow-Dannenberg gezogen ist.
Auch deshalb waren die Pfullendorfer gekommen, um den Meister der Tasten noch einmal live zu hören. Und auch die Fans aus Mengen, Sigmaringen, Überlingen und Stockach freuten sich auf allerlei Sitzgelegenheiten auf einen tollen Abend. Und den gab es gleich vierfach. Denn Clayton hatte die Boogiesoulmates mitgebracht.
Andreas Bock gilt als einer der versiertesten Bluesschlagzeuger Europas. Zudem ist er Preisträger des German Blues Award 2015 in der Kategorie Drums und Percussion. Er ist der Kopf der Band, bei der Niels von der Leyen am Piano sitzt. Mit fliegenden Fingern und vollem Körpereinsatz begeisterte der Mann im dunklen Anzug und Krawatte das Publikum. Und dann war da noch eine Stimme, die man so schnell nicht vergessen wird: Alicia Emmi Berg. Die Berlinerin hat eine klassische Gesangsausbildung und spielt auch noch mehrere Instrumente. Ihr Musikempfinden ist nach eigenem Bekunden geprägt von großen Arien wie Mozarts „Arie der Königin der Nacht“, aber auch von souligen Einflüssen wie Stevie Wonder oder Aretha Franklin. Die Frau mit den irren Fingernägeln und einer gehörigen Portion Sexappeal bildete zusammen mit Bock und von der Leyen eine Formation, die sich dem Rhythm & Blues aus den fünfziter und sechziger Jahren verschrieben hat, aber auch uralte Boogie-Titel wieder lebendig werden lässt. Wer die Boogiesoulmates einmal gehört hat, der wird von diesem Sound nicht mehr so schnell losgelassen. Das gilt vermutlich auch für Steve Clayton, der das Trio erstmals vor einigen Jahren in Chemnitz gehört hat und begeistert war. Man kann dem Briten nur dankbar sein, dass er diese Gruppe nach Pfullendorf mitgebracht hat.
Er selbst gab sich, wie man ihn kennt: Rote Socken, rote Hosenträger und das rote Handtuch sind seine optischen Erkennungsmerkmale. Musikalisch sind es seine Stimme, die durchaus auch mal an das Reibeisen aus der Küche seiner Frau erinnert („Sie kocht immer für zwei Tage. Aber ich esse alles sofort auf.“) und sein Pianospiel, dass auch im hohen Norden nichts von seiner Präzision und Dynamik verloren hat. Steve war bestens aufgelegt und präsentierte mit seinem neuen Stück „Hey Baby“ gleich Blues in Reinkultur. Bei „Shake, Rattle & Roll“ sang das Publikum schon mit und klatschte in die Hände. Nach wenigen Minuten war die Stimmung schon richtig heiß. Charmant, mit britischem Humor und seinem faszinierenden Spiel, präsentierte der Big Man Stücke in dem Stil, den man von ihm kennt. Die Fans in den vorderen Reihen hatten ein echtes Problem: Soll man sich auf das Zuhören konzentrieren oder auf das Hinsehen? Beides ist Boogie- und Bluesfaszination in Reinkultur.
Clayton hatte die Latte hochgelegt beim Konzert. Doch die Soulmates rissen sie nicht. Ebenbürtig mit dem Meister präsentierten sie Songs, die kaum noch gespielt werden. Sie wie Backdoor Santa, einen Titel ihrer Weihnachts-CD. Es ist ein wunderschöner Blues in bester Tradition der längst vergessenen Musiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dass man da auch schon gute Musik gemacht hat, das merkt man beim Busy Woman´s Blues von 1929. Das Publikum tobte.
Auch wenn Pianist Niels und Drummer Andreas Sängerin Alicia eine Pause gönnten und zeigten, dass zwei Mann rund 120 Zuhörer in ihren Bann ziehen können. Der Mann am Schlagzeug war ein echter Hammer und sein Kollege an den Tasten würde zweifellos den Weltrekord im Schnellspielen gewinnen, wenn es den gäbe. So bleibt nur der Rekord in der Publikumsgunst, den alle vier Akteure an diesem Abend wohlverdient einfahren konnten. Dass Clayton und von der Leyen auch noch vierhändig unterwegs waren, das war dann das I-Tüpfelchens auf einen Abend, der eigentlich in die Annalen der Musikgeschichte von Pfullendorf eingehen müsste. Die gibt es nicht. Aber eine weitere Boogie-Woogie Night vielleicht doch mal wieder. Das Publikum besteht darauf.
Boogie-Woogie
Bei dieser Musik handelt es sich um einen Solo-Klavierstil, der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in den USA entstanden ist. Vorläufer war das sogenannte Barrelhouse Piano (Steve Clayton wird oft als "King des Barrelhouse" bezeichnet). Das wurde bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts von schwarzen Bluesmusiker gespielt, als sie ihren Stil von der Gitarre auf das Klavier übertrugen. Boogie setzt üblicherweise auf einem Blues-Schema auf, wird aber deutlich schneller gespielt und erfordert ein großes Maß an Spieltechnik. Steve Clayton und Niels von der Leyen gelten als Meister in diesem Genre. (kf)
„Ich kommegerne wieder“
Steve Clayton und seine Frau lebten viele Jahre in Pfullendorf und wohnen jetzt in Niedersachsen
Herr Clayton, fühlen Sie sich wohl an ihrem neuen Wohnort?
Aber natürlich. Es gibt dort aber leider kein Kult-Café wie das Moccafloor. In den Kneipen wird schon ab und zu Musik gemacht. Aber was mich daran stört, ist, dass dort geraucht werden darf und ich habe vor zehn Jahren aufgehört.
Haben Sie manchmal Heimweh nach Pfullendorf?
Ab und zu schon. Ich war früher immer einmal in der Woche beim Paulaer-Abend im Felsenkeller und kenne auch sehr viele Leute in der Stadt. Heute Abend sehe ich viele bekannte Gesichter. Das freut mich wahnsinnig. Es wirklich schön, wieder hier zu sein.
Der heutige Abend ist als Abschiedskonzert angekündigt. Wollen Sie nicht mehr in Pfullendorf auftreten?
Keineswegs. Ich würde gerne mal wieder hier auftreten und bin immer bereit, die 800 Kilometer zu fahren. Ich hoffe sehr, dass es mit der Boogie-Woogie-Night weitergehen wird. Aber das entscheide nicht ich. Gerne würde ich auch mal ein Solokonzert machen, aber das ist aus der Entfernung schwierig zu organisieren. Da müssen Plakate aufgehängt werden und eine ganze Menge mehr.
Ändert sich mit dem Wohnort auch ihr Musikstil?
Aber nein. Ich mache meine Musik wie bisher auch, schreibe ständig neue Lieder und habe kürzlich auch eine neue CD herausgebracht. Und es gibt im Norden auch Weizenbier. Das hilft bei der Arbeit.
Fragen: Karlheinz Fahlbusch