Es tönt ein Pfiff und das Team die „Radelornis Linzgau“ lauscht. Sie stehen am Rande des Naturschutzgebietes Seefelder Aachmündung und hören wachsam hin. Sie erwarten den Gesang der Nachtigall, die dann auch ertönt. Freudig notieren sie eine weitere Vogelstimme. Sie sind Teilnehmer der deutschlandweite Birdrace, die am 6. Mai stattfand. Innerhalb 24 Stunden galt es, so viele Vogelarten wie möglich zu beobachten oder am Gesang zu erkennen. Doch zunächst eine Diagnose über den Bestand an Vögeln in der Bodenseeregion.
Vögel verschwinden
Mehr als ein Drittel des Gesamtbestandes aller Vögel ist in den letzten 37 Jahren im Bodenseegebiet verloren gegangen. Das teilt Karl Roth, Biologe und BUND-Mitglied aus Salem mit. Seine Einschätzung: "Wir gehen unweigerlich einem stummen Frühling entgegen." Allerdings sei der Linzgau mit der einmaligen, abwechslungsreichen Kulturlandschaft wie dem Salemer Klosterweier in Süddeutschland eine "Biodiversitätsperle".
Im Bodenseegebiet kann man laut Karl Roth folgende Tendenzen sehen: Früher häufige Vogelarten wie die Feldlerche verschwinden. Manche werden seltener, wie der Grünfink, die Goldammer, der Stieglitz, der Gimpel, (auch Dompfaff genannt). Insbesondere die insektenfressenden Arten wie Schwalben, Grauschnäpper (auch Hausvögele genannt), oder die Heckenbraunelle. Laut der Kartierung von 1980 bis 2000 der OAB (Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Bodensee) nimmt die Individuenzahl im Bodenseegebiet ab.
Alle zehn Jahre führt die OAB eine so genannte Gitterfeldkartierung des Bodenseegebietes in Österreich, Deutschland und der Schweiz auf vier Quadraten mit je vier Kilometer durch. Innerhalb von 20 Jahren ist die Anzahl der Brutvogelbestände demnach zu 16 Prozent gesunken bei weiterhin ungebrochenem Trend. "Heute liegen wir geschätzt nur noch bei etwa zwei Dritteln des Wertes von 1980", stellt Karl Roth fest. So habe sich die Revierzahl der Goldammer von 1980 mit 6887 Revieren zu 5500 Revieren im Jahre 2000 verringert. "Die Goldammer ist der Linzgauer Symbol-Vogel und hat mit ihrer „Quint“ Beethoven zur fünften Sinfonie inspiriert. Sie braucht eine Hecke oder einzelnen Baum, wo sie singen kann. Im Altgras, unter Hecken oder Straßenböschungen, die nicht gemäht werden, baut sie ihr Nest."
Noch drastischer zusammengebrochen ist der Bestand der Feldlerche. 1980 hatte sie laut Karl Roth 5000 Reviere, im Jahr 2000 seien es nur noch 1300 Reviere gewesen, heute sei gar keine mehr zu hören.
Bei der Rauchschwalbe ist der Bestand in den 20 Jahren von 1980 bis 2000 über die Hälfte zusammengebrochen, von 10750 auf 4500. "Diese Tendenz ist noch weiter fortgeschritten in den nächsten 17 Jahren. Vor allem Zugvögel sind durch Fang und Gifte in den Überwinterungsgebieten bedroht."
Biotopverluste und Insektenarmut, insbesondere für die Jungenaufzucht, den es an proteinliefernden Kerbtieren fehlt, entstehen laut Roth durch die industrielle Landwirtschaft, die großflächige Monokulturen anlegt und durch den Einsatz der Pestizide. Auch die intensive Landnutzung, der ständige Bau neuer Siedlungen und Gewerbegebiete sind weitere Ursachen. Roth: "Flächenverlust ist eines der Hauptgründe der Verringerung des Vogelbestandes. Hinzu kommen in dicht besiedelten Gebieten die vielen Hauskatzen, der Verkehr, und die großen Glasfassaden. Auch das Zerstören von Kleinstrukturen wie ein einzelstehender Apfelbaum, ein Rosenbusch oder ein Blühstreifen kann zum Bestandsverlust beitragen."
Zurück zur Birdrace:
Ein Team besteht aus etwa drei bis sechs Personen. Dabei müssen mindesten zwei davon die Beobachtungen und das Gehörte bestätigen. Gabriela Lindner, Frauke Menzel und Karl Roth bilden ein Team- die „Radelornis Linzgau“. Jetzt hören sie die Mönchsgrasmücke: “Es ist wunderschön, aus diesem gesprächig, geschwätzigen Liedanfang wird eine jubelnde Endstrophe“ beschreibt Karl Roth den Gesang und Frauke Menzel fügt hinzu: „Das finde ich eines der schönsten Vogelgesänge“.
Seit halb sechs sind sie mit dem Fahrrad unterwegs. Von Tüfingen über das Naturschutzgebiet „Schwarzer Graben“ zu dem Salemer Weiher, hinunter in das Naturschutzgebiet Seefelder Aachmündung. Jetzt gönnen Sie sich das erste Frühstück. „Der Höhepunkt bis jetzt für mich war es den Waldkauz zu sehen“ sagt Lindner, „in der freien Natur hatte ich noch nie einen gesehen“. Menzel beeindruckten zwei Schwarzkelchen“ Sie so in der Sonne zu sehen, dass die auf so einem zarten Rapshalm sitzen können“.
Sie sind keine Ornithologen. Lindner: „Ich glaube, es ist weniger Voraussetzung, Biologe zu sein, obzwar ich das studiert habe, sondern es viel zu üben. Nach der ersten Vogelrunde mit Karl habe ich mir gesagt, das will ich auch lernen.“
Weiter geht es nach Überlingen zum Uhu, der im Stadtgraben nistet. Zu sehen sind drei kleine flauschige Uhus, die sich aneinander kuscheln. Die Mutter sitzt wahrscheinlich irgendwo gegenüber, immer die Brut im Blick. Keine Zeit hat das Team zu verlieren und fährt weiter zu den Dohlen bei Überlingen Goldbach bis hin zu den Wanderfalken kurz vor Sipplingen. Weit oben im Molasse-Felsen haben sie ihren Lebensbereich. Dann geht es hoch über die Süßenmühle nach Hödingen und zum Andelshoferweiher. Wider erwarten entdecken sie dort die Löffelente. Rückkehrend über den Spitalweiher und Königsweiher endet das Vogelrennen nach zwölf Stunden und etwa 50 Kilometern in Tüfingen mit 75 Vogel-Beobachtungen, beziehungsweise Vogelstimmen.
Glanzlichter waren die Pirolen im Tüfinger Wald, die Schwarzhalstaucher auf dem Bifangweier und nicht zu übertreffen die Überlinger Uhus im Stadtgraben. Gleichzeitig konnte das Team auch mehre Sponsoren gewinnen. Die Spenden, insgesamt 300 Euro, kommen der Grundlagenarbeit des Vogelschutzes zugute, dem Atlas deutscher Brutvogelarten (ADEBAR). Der BUND in Salem ist als Bearbeiter für den Buchvogelatlas ADEBAR tätig. Sie haben die Bestandsaufnahme auf der Fläche der topographischen Karten von Überlingen Ost und Heiligenberg, je auf über 100 Quadratkilometern, erfasst. „Letztendlich war das Vogelrennen für uns als Team auch im Sinne des Vogelschutzes eine Diagnose-Tour zum Zustand der Vogelwelt im Linzgau. Wir streben für die kommenden Jahre an, die gleiche Tour zu wiederholen“, so Roth.
Vogelzählung zum Mitmachen
Die bundesweite „Stunde der Gartenvögel“ findet von 12. bis 14. Mai statt. Naturschutzverbände rufen dazu auf, eine Stunde lang die Vögel im privaten Garten, vom Balkon aus oder im Park zu beobachten, zu zählen und für eine Auswertung zu melden. So wird es gemacht: Von einem ruhigen Plätzchen aus wird von jeder Vogelart die höchste Anzahl notiert, die im Laufe einer Stunde gleichzeitig entdeckt werden kann. Die Beobachtungen können per Post, Telefon – kostenlose Rufnummer am 13. und 14. Mai, jeweils von 10 bis 18 Uhr: 08 00/1 15 71 15 – oder einfach im Internet unter www.stunde-der-gartenvoegel.de gemeldet werden.