Erkenne dich selbst: Severin Hallauer macht beim Kunstfreitag mit einem Taschenspiegel die Runde, den er jedem Zuschauer seiner Performance vors Gesicht hält. Weil er einem dabei zugleich mit einer Taschenlampe ins Gesicht leuchtet, kann die Begegnung mit sich selbst aber auch zur Sonnenfinsternis werden. Was siehst du, wenn du dich siehst – nichts? Der Kunstverein hat den jungen Schweizer Künstler engagiert, auch um den Platz vor dem Kunstverein mit dem Brunnen von Axel F. Otterbach zu beleben – und das gelingt. Hallauer macht den Brunnen zum Zentrum der Performance. Anfangs kriecht er auf ihm herum wie ein an die Erde gefesseltes Tier, ehe er ihn besteigt und sich in einem großen Spiegel betrachtet, der über dem Brunnen hängt. Mit schwarzer Farbe beschmiert er erst sich selbst und schließlich auch den Spiegel. Eine Selbstauslöschung? Oder eine Befreiung vom Rollen-Ich, an das man sich gekettet fühlt?
Falls ja, gibt es darin eine gewisse Nähe zur Malerei von Otto Dix nebenan im Zeppelin-Museum. In einer sehr gut besuchten Führung erläutert Pedro Krisko Dixens Bildnisse verruchter und starker Frauen in den 20er Jahren auch als Kriegsfolge: Es fehlte an Männern, die Frauen übernahmen deren Aufgaben mit. Wenn Dix eine Frau als Dompteurin zeichnet, taugt das zum Sinnbild einer Loslösung von Heim und Herd.
Das Publikum dieses Kunstfreitags ist besser durchmischt als sonst, will heißen: jünger. Das liegt an der starken Einbildung der Zeppelin Universität, aber auch am neuen Führungsteam des Kunstvereins, das neue Publikumsschichten anzieht, sowie am Zeppelin Museum: es sorgt mit einem Popkonzert von Melissa E. Logan für den vogelwilden Abschluss (mehr zum Konzert auf Seite 23).
Einen unverzichtbaren Treffpunkt zwischen den Stationen beschert wieder mal der Verein Jazzport, mit sanftem Bebop im Zeppelin Museum: Oli Wendt, Tübinger Alt-Saxofonist und Jazzport-Stammgast, zieht mit seinem Quartett und der Hommage an sein Vorbild Art Pepper, schön gespielt und unterhaltsam erzählt, immer mehr Besucher in die weite Halle unter der Zeppelin-Hülle. Auch im ZF-Turmatelier ist immer was los: Weil die neuen Stipendiaten Micha Payer und Martin Gabriel so besonders zugewandt sind, bleibt man hier gern etwas länger.
Vielseitiger als man erhoffen konnte, sind die Videos der türkischen Künstler Deniz Beser und Zeyno Pekünlü im Kiesel. Natürlich geht es hier um ein Land, das Anstalten macht, in eine Diktatur zu marschieren, um heftige Polizeigewalt gegen Demonstranten – aber es geht auch um Geschlechterklischees: Wie gehen Männer in türkischen Spielfilmen miteinander um? Die Szenencollage reicht von choreografierten Schlägereien bis zu melodramatischen Umarmungen und tiefen Blicken. Sie verraten einen homoerotischen Subtext, wo er gewiss nicht beabsichtigt war.
Den subversiven Einstieg durch die Hintertür wählt auch Dan Perjovschi in der ZU. Die Botschaft des Künstlers an die Studenten ist eindeutig: „Sorry, ihr seid die Banker, Manager und Entscheider, die ich in Zukunft bekämpfen werde“, steht auf Englisch an der Tafelwand im Obergeschoss. Unten im „White Cube“ mixt der Rumäne monochrome Graffitis zu Brexit, Putin, Erdogan und unterhält sich prächtig mit Bewunderern, die solch provokativen Künstler-Geist zu schätzen wissen.
Nicht minder provokant auch die Botschaften von Joseph Beuys in der Galerie Lutze, der dem Kapital auf einer Kunst-Postkarte drohte: „Letzte Warnung an die Deutsche Bank. Beim nächsten Mal werden Namen und Begriffe genannt.“ So mancher, der sich zu Fuß auf den Weg in die Galerie Lutze macht, schaut dabei gleich auch noch bei der Schaufenster-Galerie Gros vorbei, die Stillleben von André Ficus zeigt. Die Vitrine-FN von Hubi W. Jäger schließt nach diesem Kunstfreitag dagegen für immer. Im Internet lässt sich nachblättern, was Jäger in insgesamt 34 Ausstellungen auf engem Raum geleistet hat (www.vitrine-fn.de) – ehrenamtlich und als Ein-Mann-Betrieb. Ehrenamtlich und allzu oft auf sich gestellt ist auch Erika Lohner in der Plattform 3/3.
Dass die Ausstellung „AusdrucksARTen“ von Romana Glunk erfreulich gut besucht ist, darf auch Lohner als Anerkennung empfinden. Vor allem an diesem Abend, an dem sie zuvor mit dem Ehrenbrief ausgezeichnet wurde.