Die ehemalige Staufer- und Reichsstadt wird touristisch geschätzt. Liebevoll renovierte Bürger- und Fachwerkhäuser führen vom Wahrzeichen, dem Oberen Tor, hinunter auf den Marktplatz. Doch das ist nicht alleiniges Kriterium für den originären Pfullendorfer. Die Versorgung der Grundbedürfnisse ist zwar sicher gestellt, auch das Angebot der verbliebenen Fachgeschäfte wird gewürdigt. Gleichwohl wecken bestehende Leerstände in der Innenstadt ungute Assoziationen. Wir haben Bürger und Geschäftsleute in einer nicht repräsentativen Momentaufnahme einzufangen versucht.

Ekkehard Klaiber, Pfullendorfer Geschäftsmann, stellt mit Genugtuung fest, dass der auswärtige Besucher ein positives Stadtbild mitnimmt. Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges, der hier die Neujahrsansprache hielt, habe sich beeindruckt gezeigt. Pfullendorfs Probleme seien kein spezielles Charakteristikum – viele Städte bluten innerlich aus. Klaiber bedauert die Geschäftsschließung des Reformhauses Kratzert, den Weggang der Modefrau Stella oder dass die Volksbank ihre Stadtzweigstelle aufgegeben hat. Als großen Verlust empfindet er die baldige Schließung des Deutschen Kaisers, dem gutbürgerlichen Speiserestaurant. Denn Geschäfte und Dienstleister dienen insbesondere auch der Kommunikation. Aber es gäbe auch positive Beispiele über Maßnahmen, die dieser Entwicklung entgegenwirken. Der 81-Jährige stützt sich auf Aussagen von Bürgermeister Thomas Kugler, der zur Wiederbelebung weitere Kraftakte angekündigt hat.

Gudrun Geschke ist gebürtige Schlesierin, sie betreibt als Schneidermeisterin seit 2008 hier ein kleines Geschäft. Ihr fällt auf, wie entvölkert die Innenstadt ist, sie bedauert dies: „Die Leere ist schlimm, aber das ist ja allgemein der Trend!“ Tröstlich findet sie ihre netten Kontakte und das muntere Treiben im Café Moccafloor: „Hier spielt sich einiges ab, mit jungen Müttern, die über den Vormittag da sind!“
Friedrich Henning, in der Büromöbelbranche tätig, führte das Arbeitsangebot von Alsfeld/Oberhessen nach Pfullendorf. „Verlockend war der Lohn bei Alno“, sagt der Thüringer unumwunden. Heute verbindet den Rentner eigener Hausbesitz und die Familie mit Pfullendorf. Kritisch blickt er auf die Leerstände: „Die Innenstadt entwickelt sich rückwärts.“ Es würde zu wenig getan. Henning wünscht mehr Nachdruck: „Hier warten sie auf Investoren bis zum Nimmerleinstag!“

Walter Rusch, Pfullendorfer Urgestein, formuliert es sarkastisch: „Es ist katastrophal, die Innenstadt entleert sich immer mehr!“ Er würde gern punktuelle Kontrapunkte setzen und leerstehende Schaufenster kostenlos anmieten, in denen jeder, „ohne Zensur“, sein Anliegen präsentieren könnte.

Bernd Ruther ist Bankier, seine Familie lebt in dritter Generation in Pfullendorf und er bekennt, kein Großstadtmensch zu sein. Schulische und Kindergartenangebote hält er für hinreichend. Seine Verbundenheit beweist der Familienvater durch Aktivitäten in Vereinsvorständen. Beruflich ist ihm die Solidarität mit der heimischen Wirtschaft wichtig. Klar, wäre es schön, wenn mehr Geschäfte, mehr Handel die Innenstadt belebten. Umso mehr schätzt er das vorhandene Angebot an Dienstleistern, Fachgeschäften und Gastronomie.

Dörthe Maisenbacher ist Ärztin in Hohentengen. Sie verschlug es 1994 aus Stuttgart wegen ihres Berufs nach Pfullendorf, günstige Immobilienpreise ermöglichten Eigenheimbesitz. „Und dann habe ich mir hier einen Freundeskreis aufgebaut und meinen Mann gefunden.“ Sie identifiziert sich mit der Gegend und dem Menschenschlag hier.

Monika Kurb ist Optikerin, sie kam 1978 aus Stockach, führt mit ihrem Mann in der unteren Hauptstraße ein Geschäft. Der Kundenstrom stellt sie zufrieden. Sie schätzt Leute und Umgebung, pflegt Freundschaften und hat einen klaren Standpunkt: „Hier möchte ich nicht weg!“ Dass es im Stadtgebiet weniger Läden gibt, sei woanders genauso. Touristen, die sie antrifft, würden sie wegen der Lokalitäten anfragen. Umso bedauerlicher sei, dass mit der Geschäftsaufgabe des Deutschen Kaisers sich die Offerte an regionaler gutbürgerlicher Küche weiter reduzieren wird: „Pizzerien und Dönerbuden haben wir genug!“

Zuwachs in Kernstadt
Die Stadt Pfullendorf verzeichnet 2017 mit einem Plus von 122 Einwohnern im Stadtgebiet den stärksten Zuwachs. Nach Informationen aus dem Rathaus hängt dies mit dem Neubaugebiet Hochkreuzerlänge zusammen. Auch in Denkingen werden 31 Neuzugänge vermerkt. Die aktuellen Zahlen: Pfullendorf, Kernstadt 9903, Aach-Linz 1240, Denkingen 937, Großstadelhofen 438, Zell a. A.. 244, Mottschies 135 und Gaisweiler 118 Einwohner. (jüw)
„Leerstände tun immer weh“
Bernd Mathieu ist seit Oktober 2016 Wirtschaftsförderer der Stadt. Der 39-Jährige hat an der Julius-Maximilian-Universität in Würzburg erfolgreich Diplom-Geographie studiert. Vor seiner Anstellung in Pfullendorf wirkte er bereits als Citymanager in Lindenberg/Allgäu und Horb/Neckar.

Herr Mathieu, von uns befragte Bürger beklagen den Leerstand, und dass in der Innenstadt wenig los ist...
Dass in der Innenstadt zu wenig Leute unterwegs sind, ist kein Geheimnis und auch, dass sich Leerstände gebildet haben, ist Fakt. Diese Situation zu verbessern, ist das Ansinnen aller Bemühungen und Aktivitäten der hier handelnden Akteure. Dennoch, und das geht in der ganzen Diskussion leider häufig etwas unter, handelt es sich hier um einen Anziehungspunkt, der mit seinen bestehenden Geschäften, Dienstleistern und Lokalen hohe Attraktivität ausstrahlt. Wie allgemein üblich, wird dies vor allem mehr von den auswärtigen Besuchern attestiert als von Einheimischen.
Bürgermeister Thomas Kugler sprach von einem Kraftakt zur Belebung der Innenstadt. Gibt es dazu Konkretes?
In der Tat ist es so, dass viel Energie, Zeit und mitunter auch Kreativität und Geld notwendig sind, um die Situation zu verbessern. Wichtig dabei ist, dass alle handelnden Akteure an einem Strang ziehen und auf das gleiche Ziel zuarbeiten. Es werden sicherlich stetig Anstrengungen unternommen. Wie ein neuer Impuls seitens der Stadtverwaltung konkret aussehen kann, dazu befinden wir uns hausintern noch in Abstimmung.
Wie gravierend empfinden Sie die Leerstände?
Leerstände, gerade in den Hauptlagen, tun immer weh. Allerdings sind die Gründe dafür sehr unterschiedlich. Bei den Leerständen gilt es zum Beispiel zu unterscheiden, ob Vermietungsinteresse seitens des Eigentümers besteht, in welchem Zustand sich das Objekt befindet und welche neue Nutzung mit dieser Fläche und in dieser Lage möglich und sinnvoll ist. Gerade zum letzten Punkt existiert ein Gutachten, das hier klare Nutzungsvorgaben empfiehlt.
Die Landesgrünen regten im Bundestagswahlkampf die Schaffung von neuem Wohnraum an...
So etwas ist für manche Bereiche durchaus vorstellbar. Meines Erachtens ist eine schöne Wohnraumlösung dem jahrelangen Zerfall eines Hauses, das immer unansehnlicher wird, deutlich vorzuziehen. Allerdings ist die Umnutzung zu Wohnraum nicht überall die geeignete Lösung. Eine Innenstadt lebt ja auch von der Nutzungsvielfalt, aus der Handel nicht wegzudenken ist.
Ist die Innenstadt für den Handel mangels Fläche noch ein Kriterium?
Handel mit großem ebenerdigen Flächenbedarf und vielen Parkplätzen vor dem Haus, wie es große Filialisten fordern, kann in unserer Innenstadt tatsächlich nicht oder nur sehr schwer abgebildet werden. Gleichzeitig besteht aber die Chance, kleinere Geschäfte mit entsprechenden Standortanforderungen anzusiedeln. Hierauf zielt die momentane Praxis ab. Für Neubauten im Handelsbereich bleibt der Stadtgartenvorplatz das einzige Thema, da auf dem Bahnareal und auf dem Gelände der ehemaligen Ziegelei Ott ein Einzelhandelsverbot besteht.
Arg bedauert wird die Schließung des Deutschen Kaisers am Marktplatz...
Das sehe ich genauso, aber es ist die Entscheidung von Familie Woerz. Die neue Lösung von Frau Brucker, die dort einen Friseursalon und ein Café einrichten will, finde ich sehr gut und entwickelbar. Ich kann mir vorstellen, dass dies Synergieeffekte auch für den restlichen Straßenzug hat.
Fragen: Jürgen Witt