Für die einen sind sie nicht streng genug, für die anderen kommen sie einem altmodischen Korsett gleich – Satzungen für historische Altstädte wie für Pfullendorf und Meßkirch, aber auch für Überlingen bergen Sprengstoff. Josef Waldschütz, langjähriger Chef des Baurechtsamts der Stadt Pfullendorf, hat ein Beispiel parat. In historischen Gebäuden seien die Dachgeschosse nie ausgebaut worden. Doch heute würden diese obersten Stockwerke oftmals zu Wohnraum umgebaut. Und in solchen Fällen müsse einige Zeit in Verhandlungen mit den Eigentümern investiert werden, damit die einheitliche Dachlandschaft der Straßenzüge in der Altstadt erhalten bliebe. Weit im Vorfeld würden Bauherren beraten. Und dabei wird auch auf ein städtisches Förderprogramm hingewiesen, das nach Angaben der Stadt landesweit einmalig ist: Wenn Fenster oder auch Werbeanlagen entsprechend den kommunalen Vorgaben gestaltet werden, gibt die Stadt einen Zuschuss – siehe unten stehenden Text. Es gehe schließlich darum, den Altstadtcharakter zu erhalten. Und zu diesem Zweck dienen die Regelungen der vier Bebauungspläne, die seit Anfang der 80-er Jahre für den historischen Kern der Linzgaustadt gelten. Mit einem schönen Erscheinungsbild könne Pfullendorf, das 2020 auf 800 Jahre Stadtgeschichte zurückblicken kann, punkten und Menschen anlocken. Dass die Dichte an Händlern in der Altstadt sehr überschaubar ist, ist ihm bewusst. Doch wenn Läden leerstünden, habe dies andere Gründe, als die Regelungen in den Bebauungsplänen.

Während es in Pfullendorf auch dank der finanziellen Förderung kaum richtigen Krach mit Eigentümern gab, wünscht sich CDU-Gemeinderat Jürgen Alber, dass die Altstadtsatzung in seiner Heimatstadt Meßkirch verschärft wird. Auslöser sind seiner Ansicht nach einzelne augenfällige Bausünden, die bei der Sanierung von Häusern begangen würden. Und dagegen sollte die Stadt schärfer vorgehen. Er selber, als Diplomingenieur Chef eines Holzbauunternehmens, wird das einsturzgefährdete Gebäude der bisherigen Kultkneipe "Bären" in Meßkirchs Hauptstraße sanieren. Auf die Frage, ob er der Ansicht ist, dass die bestehende Satzung verändert werden müsse, antwortet Meßkirchs Bürgermeister Arne Zwick: "Das ist Geschmackssache. Ich finde die Satzung ganz gut, wie sie ist. Sie ist in manchen Punkten etwas streng, aber man kann zur Not ja auch befreien." Einige Bauherren seien mithilfe der Satzung überzeugt worden, doch etwas altstadtkonformer zu bauen. Das Bild der Altstadt solle ebenso erhalten werden, wie die Dachlandschaft. "Dies führt natürlich zu Einschränkungen der Bauherren-Wünsche. Das ist die Krux an der Sache. Wenn wir etwas schützen und erhalten wollen, dann bedeutet es Einschränkungen. Da beißt die Maus keinen Faden ab." Klar ist für ihn, dass eine Satzung nicht gegen ein Aussterben der Altstadt helfen kann. Aber mithilfe solcher Regelungen könne der Charme und der Reiz der historischen Innenstadt erhalten werden. "In der Gesamtschau glaube ich, dass die Altstadt gewinnt und so der 'Wert' steigt." Man könne hier nicht schnell und billig bauen, da stehe die Satzung davor.

Mit Auflagen und Verfügungen, die Bauarbeiten einzustellen, hat die Stadt Meßkirch gegen Verstöße Satzung reagiert. Bußgelder sind nach den Angaben des Bürgermeisters bisher nicht verhängt worden. Die meisten Verstöße gab es bisher bei den Fenstern und der Farbgebung. Inzwischen sei aber die Sensibilität gestiegen. "Das Verständnis für die Satzung nimmt langsam zu", sagt Zwick. "Bei offensichtlichen Verstößen werden die Verursacher von der Stadt Überlingen angeschrieben und aufgefordert, die Maßnahme entsprechend der Satzung gestalterisch zu bereinigen oder zurückzubauen," sagt Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler in diesem Zusammenhang. "Im schlimmsten Fall wird ein Rückbau angeordnet. Gerade bei Werbeanlagen kommt es immer wieder einmal vor, dass solche ohne Abstimmung und ohne Antrag einfach montiert werden. Wenn bei der Prüfung dann ein Verstoß gegen die Vorgaben der Satzung vorliegt, kann es auch zu einem Rückbau kommen."

Auch Überlingens OB setzt auf die Altstadt-Satzung. Erst im April trat eine neue Fassung in Kraft. "Mit weiteren flankierenden Maßnahmen wie der Städtebauförderung oder der Denkmalpflege konnten wir zusammen mit den Eigentümern in den vergangenen Jahrzehnten eine sehr attraktive Altstadt erhalten und gestalten," sagt er. Bei der Frage nach Misserfolgen erwähnt er als Beispiel den Neubau der Volksbank am unteren Ende der Hofstatt. "Sicherlich gab es in der Vergangenheit auch einige bauliche Entwicklungen, die heute so nicht mehr umgesetzt werden würden", sagt Zeitler. "Schützen, Erhalten und Pflege des historischen Stadtbildes sowie eine zeitgemäße Fortentwicklung mit Rücksicht auf den historischen Baubestand sind die primären Ziele, die durch die Satzung bislang erreicht wurden und auch zukünftig erreicht werden sollen." Das diese Satzung kein Allheilmittel ist, weiß er: "Die Altstadtsatzung ist eine Gestaltungssatzung. Sie kann einen gewissen 'Wildwuchs' bei baurechtlich verfahrensfreien Vorhaben durch Gestaltungsvorgaben verhindern beziehungsweise steuern. Solange der Aufenthalt sowie das Leben und Arbeiten in der historischen Altstadt als attraktiv empfunden werden, kann die Satzung damit auch einen Teil dazu beitragen – jedoch spielen hier viele andere Faktoren eine Rolle, die sich nicht über die Gestaltung regeln lassen – zum Beispiel der Bodenwert, die Mietpreise, die fußläufige Erreichbarkeit oder die Grundversorgung des täglichen Bedarfs."

Zeitler ist überzeugt, dass die Satzung kein Investitionshemmnis darstellt: "Solange die Wahrnehmung der Altstadt überwiegend positiv ausfällt, wird auch in Zukunft investiert werden." Die Auflagen bedeuteten nicht zwangsläufig Mehrkosten. Die Architektenkammer Baden-Württemberg sieht das anders: "Solche Satzungen können in Einzelfällen sehr wohl ein Investitionshemmnis sein, weil sie Weiterentwicklungen aufgrund veränderter Nutzungsansprüche verhindern oder unterbinden", sagt Carmen Mundorff. Aus ihrer Sicht als Repräsentantin der Kammer sind Satzungen nur sinnvoll, wenn ein besonderes historisches Altstadtbild unverändert in die Zukunft transportiert werden soll, wie etwa in Rothenburg ob der Tauber.

Die Situation in der Zeppelinstadt Friedrichshafen

Friedrichshafens Altstadt wurde im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört. Eine historische Altstadt gibt es nicht mehr. Dafür wollen Stadtverwaltung und Gemeinderat den Stil der 50-er/60-er Jahre in der Innenstadt erhalten. Dazu dient eine Gestaltungssatzung.

Die Gestaltungssatzung für Friedrichshafen hat im Jahr 2011 einen Baulinienplan aus dem Jahre 1949 im Innenstadtbereich ersetzt, der kaum Aussagen zur Gebäudegestaltung gemacht hat. Die Umsetzung gestalterischer Anforderungen an Gebäude war vor Erlass der Satzung schwierig bis unmöglich, teilt Monika Blank, Sprecherin der Stadt, auf Anfrage des SÜDKURIER mit.

"Bisher war es nicht nötig, Geldbußen wegen Verstößen zu verhängen. Das liegt wohl daran, dass das Bauordnungsamt den Antragstellern bei der ersten Kontaktaufnahme eine Abstimmung mit dem Stadtplanungsamt nahelegt, was die meisten Bauherren auch in Anspruch nehmen. Die Bauherren bekommen zudem mit Zusendung der Antragsunterlagen automatisch die Gestaltungssatzung mitgeliefert. Das hat bisher gut funktioniert", heißt es in der Stellungnahme von Monika Blank. Mit Erlass der Satzung habe sich das Erscheinungsbild der Innenstadt sichtbar gebessert, vor allem in den Bereichen Werbeanlagen und Freiraum-Gestaltung (in Verbindung mit dem Gestaltungskonzept für die Möblierung des öffentlichen Raumes).

Zudem leiste die Satzung eine erhebliche Erleichterung im Genehmigungsverfahren, da sie für den Bauherren klare und nachvollziehbare Vorgaben formuliere. "Die Akzeptanz bei den Bauherren ist auch in den meisten Fällen gegeben. Als Investitionsbremse wurde die Satzung bisher nicht bezeichnet, obwohl einem Dachgeschossausbau oder einer Aufstockung klare Grenzen gesetzt sind", so Blank.

Grundsätzlich sei die Satzung bezüglich der Zielrichtung eines Erhalts des prägenden Nachkriegscharakters der Kernstadt noch auf dem neuesten Stand, einzig das Verbot der Fremdwerbung wurde vor Gericht bemängelt und müsste angepasst werden. "In der Zukunft dürfte es ebenfalls erforderlich sein, die Satzung bezüglich der vorrangigen Zielrichtung der Innenverdichtung zu prüfen, was dann in erster Linie die Höhenentwicklung in bestimmten Bereichen betrifft", so Blank.

Beiräte und Zuschussmittel als Hilfen

Mit städtischen Zuschüssen ist die Stadt Pfullendorf bisher gut gefahren, um das Erscheinungsbild der Altstadt zu erhalten. Die Architektenkammer Baden-Württemberg empfiehlt den Kommunen Gestaltungsbeiräte einzusetzen.

  • Gestaltungsbeiräte: Auf die Frage, wie in Innenstädten das Erbe der Kommune, gelungene Architektur und eine Belebung zusammen gebracht werden kann, antwortet Carmen Mundorff für die Kammer: "Durch ein Bündel von Maßnahmen, beginnend bei qualifizierten kommunalen Bauverwaltungen mit kompetentem Personal, entsprechendem Verantwortungsbewusstsein in Politik und Verwaltung, Plänen und Konzepten, wie die Stadt sinnvoll weiterzuentwickeln ist, und in der Umsetzung insbesondere der Einsatz von Gestaltungsbeiräten." Das Land unterstützt solche Beiräte. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut gab am 20. Juli bekannt, dass solche Beiräte auch in den Jahren 2019 und 2020 finanziell unterstützt werden. Städte und Gemeinden können Förderanträge bis zum 26. Oktober beim Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau stellen. Auch interkommunale Träger, wie Verwaltungsgemeinschaften oder Landkreise, sind antragsberechtigt. "Die wohl größte Herausforderung für unsere Städte und Gemeinden besteht darin, Wohnraum zu schaffen und Arbeitsplätze zu sichern. Dafür ist nachhaltiges Planen und Bauen vor Ort gefragt. Hierbei können unabhängige Experten eines kommunalen Gestaltungsbeirats eine wertvolle Unterstützung sein“, sagte Hoffmeister-Kraut. Der Gemeinderat von Friedrichshafen hat am 23. Juli mit großer Mehrheit beschlossen, einen Gestaltungsbeirat einzurichten.
  • Geld für Bauherren: Im Zusammenhang mit einem Gestaltungsbeirat wird die Zeppelinstadt prüfen, einen Fördertopf für Bauherren einzurichten und ein Gutachten zur Feststellung der erhaltenswerten Bausubstanz in Auftrag geben. Seit 2013 können Bauherren von der Stadt Pfullendorf Geld bekommen, wenn sie sich bei der Gestaltung ihrer Gebäude wie auch von Werbeanlagen an die detailreichen Vorschriften der Kommune halten. 2014 schüttete die 13 500-Einwohner-Kommune 32 000 Euro, im Jahr 2015 rund 20 000 Euro aus, wie Mira Krane, Innenstadt-Beauftragte, sagt. Rund 7000 Euro waren es in 2016 und 2017 – für dieses Jahr geht sie von einer ähnlichen Summe aus, um den Charakter der Altstadt zu erhalten. (dim)