Siegfried Volk und Isabelle Arndt

Die schwarz-gelbde Landesregierung hat 2009 die Landesheimordnung geändert, was etlichen Betreibern, vor allem von älteren Pflegeheimen, die Sorgenfalten auf die Stirn treibt, obwohl damals eine zehnjährige Übergangsfrist vereinbart wurde. Konkret dürfen ab September 2019 in stationären Einrichtungen nur noch Einzelzimmer angeboten werden. Man wolle verhindern, dass Betroffene gegen ihren Willen zwangsweise mit einem Unbekannten in einem Zimmer zusammenleben müssen, weil kein Einzelzimmer verfügbar ist, hatte die frühere Sozialministerin Karin Altpeter als einen Grund für die neue Verordnung genannt.

Im Landkreis Sigmaringen gibt es derzeit 22 Pflegheime mit rund 1100 Plätzen und im Bodenseekreis existieren 29 Altenpflegeeinrichtungen mit 1642 Plätzen. Für das altehrwürdige und unter Denkmalschutz stehende spitälische Alten- und Pflegeheim in Pfullendorf bedeutet die Umsetzung der Richtlinie, dass man von den aktuell 66 Heimplätzen 21 verliert. Die Bewohnerinnen Roswitha Specker und Theresia Baer verlieren damit ihre Mitbewohnerin: Seit Mai 2016 teilen die beiden Frauen, 84 und 90 Jahre alt, sich ein Doppelzimmer, künftig soll das nicht mehr möglich sein. "Uns gefällt es hier", sagt Baer und Specker ergänzt: "Wir kommen gut aus." Theresia Specker lebte zuerst in einem Einzelzimmer, der häufige Kontakt mit ihrer Zimmergenossin tut ihr laut Einrichtungsleiter Wolfgang Scheitler gut.

Die Neuregelung sei zwar grundsätzlich positiv, weil sie für Bewohner eine qualitative Verbesserung bedeutet. Scheitler nennt das Stichwort Privatsphäre. Für manche Menschen sei es aber förderlich, wenn sie gemeinschaftlich mit jemand anderem wohnen. Dadurch gebe es einen ständigen persönlichen Kontakt. "Das macht auch Lebensqualität aus, aber das gibt es nachher nicht mehr", sagt er. Flexible Lösungen könnten in solchen Situationen helfen, doch die sind nicht vorgesehen. Auch nicht für Ehepaare, die künftig ebenfalls in Einzelzimmern leben müssen. "Wir dürfen ja keine Doppelzimmer mehr vorhalten", erklärt Scheitler. Man könne dann über bewegliche Zwischentüren nachdenken, aber nicht jedem Wunsch gerecht werden. "Im Einzelfall können wir nicht so reagieren, wie wir es möchten."

Im Spitalfonds Pfullendorf kündigen sich Veränderungen an: Mit dem Gesetz für mehr Einzelzimmer müssen 19 Doppelzimmer weichen und ...
Im Spitalfonds Pfullendorf kündigen sich Veränderungen an: Mit dem Gesetz für mehr Einzelzimmer müssen 19 Doppelzimmer weichen und umgestaltet werden. | Bild: Isabelle Arndt

Der Verlust an Pflegeplätzen resultiert im spitätlischen Heim nur durch das Doppelzimmerverbot, sondern auch weil die neue Richtlinie maximal 15 Wohneinheiten je Stockwerk erlauft, wobei die Mindestgröße für ein Einzelzimmer auf 14 Quadratmeter festgesetzt wurde. Für die Stadt und Bürgermeister Thomas Kugler, die einen Antrag auf Fristverlängerung bis 2021 gestellt haben, bedeutet die Neuregelung, dass man sich grundsätzlich mit der Zukunft des spitälischen Heims beschäftigen muss. Die Unabhängige Liste, mit sechs Mitgliedern die kleinste der drei Gemeinderatsfraktionen, hat schon die Idee eines Neubaus aufgebracht. Auch für andere Kommunen, die ein Pflegeheim betreiben, bringt die neue Landesheimordnung massiven Veränderungsdruck. So muss Gammertingen, mit 6300 Einwohnern das Mittelzentrum im Laucherttal, sein Heim schließen.

Auch für die Nachbargemeinde Herbertingen drohte das Aus für ihr Heim, das 1997 in Betrieb genommen und nach den damals geltenden Heimbaurichtlinen erbaut worden war. Die Heimaufsicht des Landratsamts Sigmaringen bewilligte den Antrag auf Befreiung, denn das Heim erfüllte die Bestimmungen nicht, weil 16 der 18 Einzelzimmer um acht Zentimeter von den geforderten Maßen abweichen.

"Wir können die Frage bezüglich Schließungen oder Neubauten noch nicht abschließend beantworten", erklärt Robert Schwarz, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Landratsamt Bodenseekreis. Nach seinen Angaben gibt es etwa drei Einrichtungen, die in diesem Zusammenhang aus jetziger Sicht wohl als kritisch einzustufen sind. Allerdings habe man noch keine abschließende Bewertung, da Besichtigungen und Gespräche mit den Heimleitungen erst noch stattfinden werden. "Erst dann können wir abschätzen, welches Entwicklungspotenzial in den Häusern steckt, um den neuen gesetzlichen Normen gerecht zu werden", weist Schwarz auf den Stichtag 31. August 2019 und die Möglichkeit einer Fristverlängerung für Kleinsteinrichtungen bis 30 Bewohner hin.

Der 67-jährige Engelbert Sittler war lange Jahre Lehrer für Pflege- und Gesundheitsberufe an der Berufsfachschule in Bad Saulgau. Er ist ...
Der 67-jährige Engelbert Sittler war lange Jahre Lehrer für Pflege- und Gesundheitsberufe an der Berufsfachschule in Bad Saulgau. Er ist Gründungsmitglied des Vereins „Miteinander – Füreinander“. Der Fachautor hat unter anderem das Handbuch Altenpflege verfasst. | Bild: Siegfried Volk

"Mehr Zeitaufwand für Pflegekräfte"

Wie beurteilen Sie aus pflegerischer Sicht die Einzelzimmervorgabe für Pflegeheime?

Prinzipiell müsste diese Vorgabe ja auch für die Krankenhäuser gelten. Wenn ich dann aber sehe, dass im Krankenhaus immer wieder einmal ein drittes Bett eingeschoben wird und der Arbeitsbereich für die Pflegepersonen sehr umständlich wird, ist das auch keine Lösung. Die Politiker, die solche Verordnungen erlassen, sind meist privat versichert und haben somit oft sowieso Einzelzimmer und Chefarztbehandlung gebucht. Einzelzimmer können auf die Pflegebedürftigen auch einsam wirken. Sobald jemand bettlägerig ist oder das Zimmer nicht verlassen kann werden die Tage sehr öde und lange, denn ganz selten kommt eine Pflegeperson vorbei. Bei zwei Bewohnern ist einfach öfter einmal etwas los, man kann sich unterhalten; öfters kommt auch Besuch und einer schaut nach den anderen.

Niemand soll gegen seinen Willen mit jemanden ein Doppelzimmer teilen müssen, lautet eine Begründung der Landesregierung. War das in Vergangenheit tatsächlich ein Problem?

Das Zimmer mit jemandem anderen zu teilen war für die meisten Pflegebedürftigen kein Problem. Nur, wenn auch hier einmal notfallmäßig, wenn auch nur für kurze Zeit ein drittes Bett eingeschoben wurde, gab es Platzprobleme. Im Zweierzimmer vertrugen sich die Meisten und es gab kaum Probleme, nicht einmal mit der Intimsphäre, da sich beide ja auch die Nasszelle teilen müssen. Alle Pflegebedürftigen sind froh, wenn Ihnen geholfen wird! Bei größeren Verständnisschwierigkeiten konnte durch eine Umverlegung meist geholfen werden.

Wer früher nicht mit seinen Mitmenschen ausgekommen ist, kommt auch im Krankheitsfall nicht mit anderen Menschen aus – und das ist bei den wenigsten der Fall!

Welche Vorteile hat es, wenn quasi „wildfremde“ Menschen sich ein Zimmer teilen müssen?

Gegenseitige Hilfe ist möglich. Einer schaut nach dem Anderen. Hilfe in Notfällen kann schneller herbeigerufen werden. Kommunikation untereinander ist möglich. Gegenseitige Rücksichtnahme ist Basis von Toleranz. Der Mensch bleibt Sozialwesen und ist in die Gemeinschaft eingebunden. Fremde Menschen kommen einander näher und helfen einander.

Und Nachteile?

Der Mitbewohner bekommt mit, wenn der Nachbar sich im Sterbeprozess befindet. Bei Schwerstpflege kann es den Mitbewohner psychisch belasten. Die Privatsphäre kann schlecht geschützt werden. Beide müssen sich eine Nasszelle oder Toilette teilen.

Erhöhen Einzelzimmer nicht den Betreuungsaufwand für die Pflegekräfte? Wenn zwei Menschen im Zimmer sind, dann können sie sich ja gegenseitig helfen, was im Einzelzimmer der Pfleger übernehmen muss.

Natürlich wird der Arbeitsaufwand für die Pflegepersonen enorm steigen, und das bei fehlendem Pflegepersonal. Besonders bei Bettlägerigen kann es dann vorkommen, dass stundenlang niemand vorbeischaut. Wenn zwei Pflegebedürftige in einem Zimmer leben, kann die Pflegeperson eine nach der anderen pflegen und betreuen, ohne das Zimmer verlassen zu müssen und ohne sich auf einen neuen Pflegebedürftigen einzustellen. Der Zeitaufwand pro Pflegebedürftigen wird alleine durch Gehzeiten und Zimmerwechsel sich um mindestens einem Drittel erhöhen.

Aber, die Bewohner können sich gegenseitig helfen?

Dass die Mitbewohner sich gegenseitig in der Pflege unterstützen kommt leider noch sehr selten vor, sodass z. B. jemand seinen Mitbewohner beim Essen unterstützt. Aber kleiner Hilfen, wie z. B. den Gehstock oder den Rollator bereitstellen, das passiert schon eher. Besonders das gegenseitige Aufpassen aufeinander steht hierbei im Vordergrund. Auch das unterstützt wiederum die Arbeit des Pflegepersonals.

Fragen: Siegfried Volk