562 Radierungen auf 330 Seiten: In einem kürzlich vollendeten Werkverzeichnis blickt die Grafikerin Brigitte Wagner auf ihre 60 künstlerischen Schaffensjahre zurück. Über die Jahrzehnte hinweg ist deutlich sichtbar, welche technischen Experimente und Motivsuchen die Künstlerin auf ihrem Werdegang begleitet haben. Gefunden hat sie ihre Motive in der Natur, genauer gesagt in der kargen und rauen Landschaft der Albhochfläche. Seit 1973 wohnt Brigitte Wagner im Fehlochhof auf dem Michelfeld, wo sie zusammen mit ihrem Mann Reinhard Wulf seit 2012 eine Galerie betreibt. Jährlich organisieren sie dort zwei bis drei Ausstellungen.
Die Liebe zur Linie
Die Kaltnadel-Radierung war von Anfang an die Technik, die Brigitte Wagners Formverständnis und künstlerischer Sprache am meisten entsprach und mit der sie sich am wohlsten fühlte. Die Liebe zur Linie und zur Feder habe sich zu Beginn ihres Studiums an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart bei Professor Gunter Böhmer gefestigt, erzählt sie. Ihr persönliches Ziel, die Linie als abstrahierendes Element zu einer klaren Form zu führen, habe sich mit der Kaltnadel am besten umsetzen lassen.

Keine Korrekturmöglichkeiten
Bei dieser Technik kratzt die Grafikerin jene Stellen, die beim Druck schwarz beziehungsweise farbig sein sollen, mit der Radiernadel in eine Metallplatte. Dabei gibt es keine Korrekturmöglichkeit. Brigitte Wagner muss kraftvoll und genau arbeiten. Sie muss vorab kalkulieren, wie die Linienführung gestaltet werden muss, damit sich beispielsweise die Wurzeln eines umgefallenen Baumes ohne eine falsche Unterbrechung ineinander verschlingen. "Zuerst beginne ich damit, die Platte zu richten und nehme mit ihr Kontakt auf", erzählt die Grafikerin. Das Zwiegespräch brauche sie, um eine Beziehung aufzubauen und vertrauensvoll die Radiernadel anzusetzen.
Etwas, das bleibt
Da die Erstellung eines Werkverzeichnisses sehr aufwendig sei, habe sich die 78-Jährige entschieden, es jetzt zu tun, so lange sie die Kraft dafür habe. Darüber hinaus sei ihr wichtig zu wissen, dass von ihrer 60-jährigen Schaffensphase etwas bleibe. "Neben der Anstrengung war es auch ein Vergnügen, die Drucke zu ordnen und die ersten Kaltnadel-Radierungen zu studieren", beschreibt Wagner mit einem Lächeln die Entstehungsphase. Zwar habe sie zu jeder Grafik tagebuchartig die Details aufgezeichnet. Doch es sei trotzdem spannend gewesen, die Veränderungen in den Werken wahrzunehmen.
Mit Techniken vertraut gemacht
"An der Akademie hatten wir alle Möglichkeiten, da sind wir mit allen Techniken vertraut geworden", erzählt sie. "Wir waren unbefangen und frech wie Oskar bei der Wahl der Motive", blickt sie auf ihre Studienzeit zurück und zeigt auf die Grafiken, auf denen zu sehen ist, was eine junge Studentin in ihrem Alltag umgibt: Eine Staffelei, Chaos im Atelier, Blumenstillleben oder ein Cembalo. Dann folgen erste Auftragsarbeiten wie die Illustrierung des "Stuttgarter Hutzelmännlein" von Eduard Mörike oder der Sage von der "Schönen Lau". Zirkus- und Stadtimpressionen sind zu sehen sowie Experimente mit verschiedenen Techniken.
Seit sie von Reutlingen auf die Hochalb gezogen ist, fasziniert sie die karge und raue Landschaft. Es ist der Wuchs alter Bäume, den sie in ihren Drucken wiedergibt oder die vollkommen reduzierte schneebedeckte Landschaft: Kleine Schneeaufwerfungen, Eishalme, skandinavische Seen, Dünen oder Bergmassive strukturieren das Bild. Mit der Absprengtechnik fügen sich auch farbige Drucke in das Gesamtwerk ein. Jeder einzelne Druck lädt dazu ein, sich in ihn zu vertiefen und zeugt von der Liebe zur Landschaft und den faszinierenden Formen, die sie hervorbringt.
Das Werkverzeichnis ist über den Buchfachhandel bestellbar oder im Internet unter http://www.brigitte-wagner.net
Galerie im Fehlochhof
- Die Ausstellung "Dialogische Beziehungen" ist bis zum 25. November zu sehen. Sie zeigt Mobiles und Werke von Allhaidis Hartmann, die mit der Dreidimensionalität spielen. Kerstin Franke-Gneuss aus Dresden ist mit Tiefdrucken vertreten. He Bo aus China übermittelt mit seinen Malereien die traditionelle Kunst seines Heimatlandes. Wie sich diese Tradition verändert hat, lässt sich an den Malereien und Tuschezeichnungen seiner Tochter, He Yuan, erkennen.
- Eine szenische Lesung findet am 11. November ab 17 Uhr statt. Gabriele Gatzweiler und Christoph Holbein lesen aus dem Briefwechsel zwischen George Bernhard Shaw und seiner Geliebten.
- Ein Künstlergespräch zwischen Kerstin Franke-Gneuss, Allhaidis Hartmann, He Yuan und Brigitte Wagner bildet am 25. November ab 15 Uhr den Abschluss der Ausstellung.
Informationen im Internet:
http://www.galerie-im-fehlochhof.de