
„Schließ die Augen, denk‘ an England.“ Dieser Satz, der eine herrlich stoische Haltung im Angesicht drohenden Ungemachs ausdrückt und der britischen Königin Victoria zugeschrieben wird, geht mir morgens unter der Dusche durch den Sinn. Ich soll mich also für einen Zeitungsbeitrag meiner Urangst stellen. Sicher eine interessante Erfahrung, schöner Lesestoff, gute Bilder. Als ich das Wasser abdrehe und unter dem Handtuch verschwinde frage ich mich allerdings nur noch, warum um Himmels Willen ich mir das überhaupt antun sollte.
Keine Phobie, aber tiefer Respekt
Ich habe Angst vor Schlangen. Es ist keine Phobie, schließlich komme ich mit den Tieren persönlich nie in Kontakt. Die einzige Schnittstelle ist der Fernseher, der mir über unzählige Dokus Informationen über die Tiere liefert. Ich weiß, dass die Gabunviper aus Westafrika mit fünf Zentimetern die längsten Giftzähne hat und perfekt getarnt und regungslos auf dem Regenwaldboden auf Beute lauert. Ich kenne die Schwarze Mamba, die mit 20 Kilometern pro Stunde schnellste Schlange der Welt. Die Tiere sind hervorragende Jäger und extrem effektiv in ihrer Lebensweise. Das flößt mir großen Respekt ein und mein Unterbewusstsein gibt mir zu verstehen, dass ich besser auf Abstand bleiben sollte.

Unsere Schlangen sind ungefährlich
Als biologisch interessierter Mensch weiß ich, dass es bei uns in der Region in der Tat drei Schlangenarten gibt: Ringelnattern, Kreuzottern und Aspisvipern. Diese sind aber für den Menschen ungefährlich und durch unsere Umweltzerstörung mittlerweile auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Alle Schlangen haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind ausgemachte Misanthropen, mögen Menschen nicht und flüchten, wenn wir uns nähern. Wird der Fluchtweg abgeschnitten und das Tier bedrängt, verteidigt die Schlange sich. Es braucht also schon ein gehöriges Maß an Ignoranz, in unseren Breiten von einer Schlange gebissen zu werden.
Ängste sind eigentlich völlig unbegründet
Ist meine Angst vor den Tieren berechtigt? Das will ich mit einem Besuch im Reptilienhaus in Unteruhldingen herausfinden. Urs Schöllhammer ist ein Tierpfleger wie aus dem Bilderbuch. Ein drahtiger Mann mit trockenem Humor, pragmatischem Auftreten und einem Klapperschlangen-Shirt.

Gleich zu Beginn unserer Begegnung räumt er mit den gängigsten Klischees auf. „Diese Ängste sind völlig unbegründet und kommen von falschen Darstellungen der Tiere. Ein Beispiel dafür sind Horrorfilme“, erklärt Schöllhammer. Unwillkürlich muss ich an den Trashfilm „Snakes on a Plane“ denken, in dem die Insassen eines Jumbojets von aggressiven Monsterschlangen umgebracht werden.
„Menschen sind für Schlangen viel gefährlicher“
Die Realität sieht anders aus. „Menschen sind für Schlangen viel gefährlicher als umgekehrt“, erzählt Urs Schöllhammer. Um herauszufinden, ob eine Schlange für mich gefährlich ist, hat Schöllhammer eine Faustregel parat: „Kleiner gleich Futter, größer gleich Feind.“ Heißt auf gut Deutsch: Die Schlange fürchtet sich vor allem, was größer als sie selbst ist. Umgekehrt sollten kleinere Lebewesen lieber auf der Hut sein. Aber wie beurteilt eine große Schlange dieses Größenverhältnis? Kommt es am Ende doch auf die Länge an?
Die erste Begegnung
Während ich mir noch Gedanken über das Image von Schlangen in den Medien mache, hat Urs Schöllhammer bereits ein kleines Terrarium geöffnet und eine kleine Königspython vorsichtig von einem Ast heruntergenommen.

Bevor ich Gelegenheit habe, die Schlange in aller Ruhe näher in Augenschein zu nehmen, gibt mir Urs Schöllhammer die etwa einen Meter lange Schlange in die Hände. Und auf einmal ist die Angst, die an diesem Morgen bislang überhaupt keine Rolle gespielt hat, doch da und lässt meinen Körper erstarren.

Entgegen aller Erwartungen ist die kleine Python putzmunter und schaut sich neugierig züngelnd um, wer sie da gerade aus ihrem Zuhause geholt hat. Ich hingegen konzentriere mich voll auf das Tier in meinen Händen. Alle Muskeln meiner Arme sind angespannt. Die Python fühlt sich trotz ihrer kleinen Größe sehr kraftvoll an. Die Haut ist glatt, weder glitschig noch feucht, sondern weich und körperwarm. Schöllhammer beobachtet mich mit einem Grinsen im Gesicht. „Es ist immer dasselbe. Wenn wir Schulklassen zu Besuch haben sind es die Jungs, die vor der Tür eine Riesenklappe haben. Wenn wir dann mit den Tieren arbeiten, werden sie ganz still.“

Schöllhammer setzt das Tier wieder ins Terrarium und ich fühle mich ein bisschen ratlos. Wie, das soll es schon gewesen sein? Schlimm war es wirklich nicht. Schnell merke ich: Die Angst vor der kleinen Würgeschlange war völlig irrational und unbegründet – reine Kopfsache. Aber geht es nicht vielen Leuten so? Schließlich musste die Schlange schon in der Bibel als Sündenbock für die Ursünde des Menschen herhalten. Dürer, Cranach, Michelangelo – bei vielen alten Meistern findet sich die Schlange als Symbol der Sünde.
Hansi zischt nicht, sondern faucht
Doch so leicht lässt mich Urs Schöllhammer nicht ziehen. Gerade als ich denke, dass es so schlimm nicht war, steigt Schöllhammer in das größte Terrarium des Reptilienhauses. Darin: Eine Hundehütte, in deren Öffnung nur zwei oberschenkeldicke Lagen einer Netzpython herausschauen. Auf einem Ast döst eine kleinere Boa. Und hinten an der Wand liegt Hansi.

Hansi ist eine Netzpython und mit seinen gut vier Metern Länge und etwa 20 Kilogramm Gewicht bei weitem noch nicht ausgewachsen. Dennoch flößt die Schlange mir dieses mal nicht nur Respekt, sondern Angst ein. Schöllhammer holt Hansi aus seiner Ecke und hebt die Schlange aus dem Terrarium heraus.

Auch Hansi ist neugierig und schaut sich zunächst an, wer ihn da aus dem Terrarium bugsiert hat. Als die Python mich entdeckt und sich mir zuwendet, gehe ich instinktiv ein paar Schritte zurück. Adrenalin schießt in meine Blutbahnen. Obwohl es nicht warm ist, fängt mein Körper an zu schwitzen – ich stehe merklich unter Stress.
Nach ein paar Augenblicken bin ich dran: Urs Schöllhammer legt mir den Unterleib der Schlange um die Schultern, mit den Armen halte ich das schwere Tier. Von nun an bin ich entweder Futter oder ein besonders kuscheliger Baum. Ob die Schlange Angst wohl riechen kann?

Als sich die Python um meinen Hals schlängelt, merke ich, wie viel Kraft und wie viele Muskeln in dem Tier stecken. Am schlimmsten ist jedoch, dass ich für einen kurzen Moment nicht weiß, wo sich der Kopf befindet. Das ändert sich schlagartig, als Hansi von meiner Hüfte etwas nach oben schlängelt. Nun stehe ich mit einer Python um den Hals mitten im Reptilienhaus. Die Schaulustigen um mich herum nehme ich gar nicht wahr.

Der schlimmste Moment ist, als Hansi mich neugierig inspiziert, seine Zunge zum Riechen hinausstreckt und mich mustert. Ursprünglich dachte ich auch, dass Schlangen mit einem leisen "Sssss" vor sich hin zischen. Hansi ist da anders. Sein Kopf hat etwa die Größe eines kleinen Hundes. Und Hansi zischt nicht: er faucht! An dieser Stelle bin ich kurz davor, die Aktion abzubrechen. Ich bin total nassgeschwitzt, konzentriere mich nur auf die Schlange und möchte einfach nur, dass es endet.

Urs Schöllhammer nimmt das Tier wieder an sich und setzt es zurück ins Terrarium. Die Boa sei zwar noch größer, allerdings auch nicht so gut gelaunt, sagt der Tierpfleger noch, als er meinen Blick zur Hundehütte bemerkt. Dem Tierpfleger ist wichtig zu kommunizieren, dass man vor Schlangen keine Angst zu haben braucht. Nach dem Date mit Hansi bin ich eher der Meinung, dass Menschen und Schlangen nicht so gut zusammenpassen. Wer dennoch eine Schlange zuhause halten möchte, kann das zwar tun. Allerdings ist sie kein Haustier wie jedes andere. Schöllhammer betont, dass eine Schlange ein artgerechtes Umfeld und einen erfahrenen Halter braucht.
Ich könnte mir nie vorstellen, eine Schlange als Haustier zu halten. Ich bin froh, als Urs Schöllhammer die Schlange wieder an sich nimmt. Und Hansi ist sicher auch nicht sauer, wenn er zurück ins Terrarium kann. Langsam klingt die Angst wieder ab. Wie sehr ich unter Strom stand merke ich hinterher, als ich mein verschwitztes T-Shirt bemerke. Jetzt, da Hansi wieder im Terrarium liegt, ist die Angst verflogen. Der Respekt, den ich davor schon vor diesen Tieren hatte, ist allerdings noch ein gutes Stück größer geworden.

Drei Fragen an: Urs Schöllhammer, Tierpfleger im Reptilienhaus Unteruhldingen
Woher kommt die Angst vor Schlangen?
Die Hauptursache ist wahrscheinlich das Unwissen über das Verhalten der Tiere. Hinzu kommt die oft falsche Darstellung in den Medien, meistens im Fernsehen. Die meisten Schauermärchen stimmen einfach nicht. Der Mensch ist für Schlangen viel gefährlicher als umgekehrt.
Muss man sich vor großen Schlangen fürchten?
Die meisten Arten sind eher defensiv. Bei Gefahr flüchten die Tiere. Aggressiv werden sie eigentlich nur, wenn sie bedroht werden, zum Beispiel wenn man versehentlich auf sie tritt. Allgemein gilt der Grundsatz: Ist das Gegenüber größer als die Schlange, wird es als Bedrohung angesehen.
Sind Schlangen als Haustiere geeignet?
Die Haltung von Schlangen braucht viel Fachwissen und Kenntnis über das Verhalten der Tiere. Grundsätzlich ist es sehr aufwändig, ein artgerechtes Terrarium zu schaffen. Außerdem muss man beachten, dass Schlangen ein Leben lang wachsen und vor allem Arten wie Pythons binnen weniger Jahre zu sehr stattlichen Exemplaren heranwachsen können. Deshalb werden viele Tiere auch ausgesetzt.
Fragen: Kevin Rodgers