
Sebastian Küster: Für viele ist Fliegen ein Hochgenuss. Für mich: Die Hölle. Mein erster Flug ging nach China, genauer gesagt Shanghai. Gedanken im Vorfeld? Fehlanzeige. Was soll schon passieren? Fliegen ist doch sowieso die sicherste Art zu reisen, sagt man. Im Flugzeug habe ich schnell gemerkt, dass ich gar nicht so cool bin, wie gedacht. Die Maschine startete und ich wusste genau: Hier komme ich für die nächsten Stunden nicht mehr raus. Nicht einfach an der nächsten Tankstelle rausfahren oder den Nothebel im Zug ziehen. Ausgeliefert sein, die Kontrolle verlieren: Das ist für mich die wahre Angst.
Sebastian Thomas: Wenn ich nach dem Moment gefragt werde, an dem ich zum ersten Mal Flugangst verspürte, muss ich etwas weiter in meinem Leben zurückdenken. Alles beginnt im Jahr 2006: Mein erster Flug geht über den Atlantik auf die Karibikinsel Kuba. Eigentlich schön: weiße Sandstrände, kristallklares Wasser, heiße Temperaturen.
Der erste Flug entfacht die Angst
Mit diesen Bildern im Kopf stehe ich auch in der Abflughalle. Durch die Fensterscheibe sehe ich das Flugzeug, in das ich gleich einsteigen werde. Und auf einmal ziehen Gewitterwolken über meinem Karibiktraum auf. Ich bin gleich hoch oben in der Luft und denke an Absturz – den Tod.
Dennoch steige ich ein. Auf der Reise durchfliegt der Pilot in der Nacht ein Gewittergebiet: Die Maschine ruckelt, sackt ein paar Meter ins Bodenlose. Ich kralle mich in meinen Sitz und hoffe, dass es bald aufhört. Letztlich bin ich gut auf der Insel angekommen. Doch seit diesem Ereignis ist die Angst da – und begleitet mich auf jedem Flug.
Der Angst entgegenstellen
Bis heute ist sie geblieben: Doch ich will, dass es aufhört. Zum Glück habe ich einen Leidensgenossen: Mein Arbeitskollege Sebastian Küster.
Gemeinsam wollen wir uns der Flugangst stellen. Der Grund ist einfach: Die Erde, mit all ihren schönen, aber weit entfernten Reisezielen, ist zu schön, um sie der Flugangst zu überlassen. Deshalb entschließen wir uns zu einem Flug in einem Ultraleichtflugzeug.
Am Vortag
Sebastian Küster: Es ist Sonntagnachmittag. Ich genieße Kaffee und Kuchen auf einer Terrasse im Freien. Plötzlich erkenne ich aus dem Augenwinkel ein Flugzeug am Himmel. Dass ich morgen fliegen werde, trifft mich wie ein Schlag. An Gesprächen nehme ich nicht mehr teil. Das Fliegen ist allgegenwärtig. In der Nacht träume ich schlecht und wälze mich von Seite zu Seite.
Am Flugtag
Sebastian Thomas: Am Tag des Fluges habe ich keinen Appetit auf Frühstück. Ich habe kaum geschlafen. Auf dem Teller schiebe ich mein Marmeladenbrot hin und her. Ein Gedanke drängt sich unweigerlich auf: In zwei Stunden werde ich in ein Flugzeug steigen. Die Anspannung steigt.

Sebastian Küster: Der Flugplatz ist ein weitläufiges Gebiet: Die Start- und Landebahn ist 750 Meter lang. Links neben der Piste ist ein kleiner schmaler Streifen asphaltiert. Im Hintergrund sind Hangars zu sehen, in dem die Flugzeuge geparkt werden. Daneben ein großer grauer Betonklotz: der Tower. Von morgens bis abends sitzt dort mindestens ein Angestellter der Stadt, der den Flugraum in Konstanz überwacht. Während wir das alles verarbeiten, erhebt sich auf dem Rollfeld ein Flugzeug und steigt in die Luft. Wir schauen uns an und merken: Ein Blick reicht aus um zu verstehen was in uns vorgeht. Am liebsten würden wir umdrehen, weglaufen und das alles hier hinter uns lassen. Es kommt jedoch anders.
Sebastian Küster: Direkt vor mir steht es nun, das kleine zerbrechlich wirkende Ultraleichtflugzeug: Unser Pilot, Peter Magulsky, erklärt mir, dass es aus ein paar Stangen Stahl, Plastik und LKW-Planen besteht. Nicht gerade ein Stimmungsaufheller. Ich schlucke den angestauten Speichel herunter. Meine Hände sind in den Hosentaschen zu Fäusten geballt. Ich bin angespannt und habe ein flaues Gefühl in der Magengegend.

Sebastian Thomas: Während der Hobbypilot noch einmal vor dem Start das Flugzeug von außen und innen prüft, folge ich ihm auf Schritt und Tritt. Ich möchte alles ganz genau wissen: Wie schnell ist das Flugzeug beim Start? Wie hoch werden wir steigen? Und vor allem: Wie sicher ist das Flugzeug überhaupt? Wegen unserer Angst vor dem Fliegen, geht der Pilot die gesamte Checkliste für Passagiere Punkt für Punkt durch.

Sebastian Küster: Die wichtigste Station auf seinem Plan ist besonders kurios: Hinter dem Cockpit, im Inneren des Flugzeugs, befindet sich eine unscheinbare raketengetriebene Zylinderkapsel – ein Fallschirm. Für den Fall, dass der Pilot während des Flugs bewusstlos wird, ist zwischen den beiden Sitzen ein Hebel als Zünder eingebaut.
Mit einem festen Ruck löst der Passagier den Fallschirm aus und das Flugzeug sinkt – mit der Nase voran – Richtung Erde. Um ehrlich zu sein: Die Vorstellung, Kopf voran schnell zu Boden zu fallen, macht mir Angst und hilft mir nicht dabei, leichter ins Flugzeug zu steigen. Eine Rakete im Rücken und ein Fallschirm, der ein Flugzeug tragen soll? Für mich in diesem Moment unrealistisch. Innerlich schüttle ich mit dem Kopf und zweifle wieder an dem Plan, mich meiner Angst zu stellen. Unterbewusst schaue ich immer zu meinem Kollegen hinüber und hoffe auf ein Zeichen, dass auch er die ganze Sache abbrechen möchte – vergeblich.

Sebastian Thomas: Die Checkliste ist nun vollständig abgehakt. Es gibt kein Zurück mehr. Von außen wirkt das Flugzeug schon eng. Beim Gedanken an die kleine Kabine wird mir anders. Ich muss mich überwinden, schließlich steige ich ein.
Sebastian Küster: Pilot Peter Magulski dreht den Motor kurz vor dem Start auf volle Touren. Er fragt mich, ob ich meine Tür geschlossen habe und der Gurt fest sitzt. Danach kontrolliert er, ob sich die Steuerung frei bewegen lässt, ob die Landeklappen korrekt gestellt und der Funk auf Empfang steht.
Wir fahren circa 50 Meter und bleiben zwischen zwei gelben Markierungen stehen. Er schaut mich an, nickt mir zu und fragt, ob ich startklar bin. Ich halte kurz inne, frage mich, ob ich das wirklich durchziehen will. Eigentlich nicht, aber jetzt noch aussteigen? So kurz vordem Start? Am liebsten würde ich genau das tun. Sekunden vergehen. Ich sage nichts und trotzdem geht es los.
Das Flugzeug setzt sich ruckartig in Bewegung und beschleunigt schnell. Wir heben ab und ich weiß: Hier komme ich nicht mehr raus. Ich habe keine Kontrolle mehr über das, was folgt. Nicht mehr selbst das Heft des Handelns in der Hand zu haben, ist für mich extrem schwer auszuhalten. Ich bin einem anderen Menschen vollkommen ausgeliefert.
Sebastian Thomas: Beim Abheben wird mir wieder bewusst, warum ich Flugangst habe: Wir könnten abstürzen, wir könnten sterben. Oben in der Luft herrscht ein niedriger Luftdruck, meine Ohren sind zu. Durch Schlucken sind sie wieder frei. Nach einer leichten Rechtskurve sind wir in Richtung Reichenau unterwegs.
Es folgt der zweite Grund meiner Flugangst: Aufwinde, im Volksmund auch Luftlöcher genannt. Besonders beim Wechsel der Oberfläche – Land zu Wasser – sind sie deutlich spürbar: Beim Flug über die Insel wackelt das Flugzeug, sackt kurz ab. Ich fühle mich wie im freien Fall.
In meinem Kopf entstehen Endzeit-Szenarien: Hoffentlich fliegt kein Vogel in den Propeller, hoffentlich zerreißt keiner der Flügel, hoffentlich fängt der Motor nicht an zu brennen. Mein Verstand arbeitet, sagt: Ich will hier raus. Doch eigentlich habe ich gerade einen atemberaubenden Blick über den Bodensee. Trotzdem kann ich nicht so recht entspannen. Ich puste die Luft aus.

Sebastian Küster: Ich halte mich krampfhaft an meinem Smartphone fest. Die Beine sind angewinkelt und weit an mich herangezogen. Um nicht mit der Schulter gegen die Tür und mit dem Knie gegen den Steuerknüppel zu drücken, mache ich mich klein. Kleiner als nötig und versuche unterbewusst, das enge Cockpit größer wirken zu lassen.
Auch die Geräuschkulisse macht mir zu schaffen. Gleichbleibend, laut – der Motor übertönt alles. Immer mal wieder versucht Peter Magulski mit mir ein Gespräch zu führen. Er will mich wohl ablenken. Ich antworte mit kurzen Sätzen. Auf Suggestivfragen ist es nur ein kurzes Ja oder Nein. Nicht mehr als eben nötig. Nach wenigen Minuten wird mir schlecht. Um mich nicht im Cockpit zu übergeben, habe ich während des Fluges immer die Spucktüte im Blick. Schon komisch: Denn die Übelkeit hilft mir dabei nicht mehr nur über den Flug nachzudenken.
Warum wird mir schlecht? Warum habe ich Angst? Ganz einfach: Ich kann nicht einfach die Tür aufmachen und aussteigen, sondern muss warten, bis wir den Flugplatz erreichen und wieder festen Boden unter den Füßen haben. Auf der Höhe von Sipplingen teilt mir Peter Magulski mit, dass wir zurückfliegen – mir wird leichter ums Herz.

Sebastian Thomas: Die Landung ist nah. Erleichterung macht sich breit: Ich kann die Landebahn sehen, wir fliegen direkt darauf zu. Noch nie habe ich mich so sehr auf einen fünf Meter breiten Grasstreifen gefreut. Eine kurze Windböe noch zum Abschied, ein letztes Gefühl des freien Falls und dann gehen wir zur Landung über.
Sebastian Küster: Knapp über dem Boden wackelt das Flugzeug und es wird noch einmal ernst. Der Pilot bewegt den Steuerknüppel schnell von oben nach unten, hin und her. Es wirkt wild und willkürlich. Das Flugzeug neigt sich nach links und rechts. Ich versuche mit meinem Körper die Neigung auszugleichen. Meine Versuche bleiben wirkungslos. Ich schließe die Augen und warte auf die Landung. Plötzlich ein kleiner Dämpfer. Das Flugzeug setzt auf. Endlich vorbei.
Sebastian Thomas: Das Ultraleichtflugzeug steht. Ich nehme die Kopfhörer ab und öffne die Tür. Frische Luft durchströmt das Flugzeug. Mein Einstieg war noch langsam, jetzt kann ich es gar nicht mehr erwarten aus dem Cockpit zu springen. Die Anspannung fällt von mir ab. Der kühle Wind trocknet den Schweiß auf meinem Rücken und auf der Stirn. Ich atme durch. Noch wackelig auf den Beinen denke ich darüber nach, was gerade passiert ist. Ich bin wirklich geflogen und habe meine Angst überwunden.
Drei Fragen an den ehemaligen Flugbegleiter und jetzigen Pilotanwärter Marc Horstick
Marc Horstick arbeitet für eine Schweizer Fluggesellschaft. Dort fing er 2015 seine Pilotenausbildung an. Diese ging zuerst bis Ende 2016, dann folgte eine Wartezeit. Sie dauerte von Anfang 2017 bis Mitte dieses Jahres. Die Pause in seiner Ausbildung überbrückte der 26-Jährige als Flugbegleiter für Kurz- und Langstreckenflüge. In dieser Funktion absolvierte er im Durchschnitt 20 Flüge im Monat.
- Welches Gefühl haben Sie, wenn Sie in ein Flugzeug steigen?
"Ich würde sagen Vorfreude und auch ein bisschen Abenteuerlust. Mir macht die Arbeit Spaß. Für mich ist das so, als wenn andere ins Büro gehen. Dennoch habe ich natürlich Respekt vor der Sache, denn ein stückweit ist sie auch gefährlich. Wir fliegen sehr hoch und auch schnell: Immerhin achtmal so schnell wie ein Auto. Daher treffen ich und meine Kollegen vor jedem Flug viele Entscheidungen bereits am Boden, so zum Beispiel, ob ein Passagier zu viel Alkohol getrunken hat, um den Flug anzutreten. Einmal in der Luft, ist das nicht mehr möglich. Ich kann aber aus meiner jetzigen Erfahrung sagen: In 99 Prozent der Fälle gab es keine Probleme."
- Wie verhalten sich Passagiere, die Flugangst haben?
"Das ist unterschiedlich: Manche grüßen nicht beim Einstieg, manche haben eine sehr nervöse Stimme und andere hingegen kommen auf das Flugpersonal zu und sagen offen, dass sie Furcht vor dem Fliegen haben. Es gibt auch Passagiere mit Flugangst, die bei der Sicherheitsunterweisung wegsehen, so ungefähr: Was ich nicht sehe, betrifft mich nicht. Wir gehen in allen Fällen diskret damit um und sprechen die Betroffenen an, um ihnen ihre Angst zu nehmen oder sie zumindest zu mindern."
- Welche Tipps haben Sie, um mit Flugangst fertig zu werden?
"Da gibt es eine ganze Menge. An erster Stelle die Platzwahl: In manchen Fällen hilft ein Fensterplatz, damit derjenige sieht, was passiert. Auch ein Sitz ganz hinten bei der Bordküche ist eine gute Idee, damit er oder sie sehen kann, was das Personal während des Fluges macht. Darüber hinaus hilft es dem Passagier, wenn er Stress abbaut, wie zum Beispiel durch Kneten eines Stressballs. Außerdem spielt Ablenkung eine große Rolle: Da empfehle ich Zeitschriften zu lesen oder ein Kreuzworträtsel. Der dritte Tipp ist ein Gespräch mit einem Experten, wie eben dem Kabinenpersonal oder auch dem Piloten. Sie wissen am besten was Luftlöcher eigentlich sind oder wo genau die Geräusche vor dem Start, während des Fluges und bei der Landung herkommen."