Die Bilder aus dem Urlaub kennt jeder: ein Spaziergang am Strand, der Blick auf das Meer, über dessen ruhigen Oberfläche die Sonne untergeht. Wo bei manchen schon mal romantische Stimmung aufkommt, brechen andere in Angstschweiß aus. Nicht aber, weil sie Nichtschwimmer sind und Angst vor dem möglichen Ertrinken haben, sondern weil sie sich genau vorstellen können, was unter den sanften Wellen nur darauf lauert, einen achtlosen, unvorsichtigen Schwimmer in die Tiefe zu ziehen. Experten nennen diese Art von Angst Thalassophobie – die Angst vor dem offenen Meer.
Eine Therapie mit Risiken
Wie mit der Angst vor Gewässern umgegangen wird, hänge von der betroffenen Person ab, erklärt Barnabas Ohst vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg. Der psychologische Psychotherapeut forscht momentan im Rahmen seiner Promotion über diese und andere Arten von Phobien. "Die meisten würden sagen, ich gehe nicht ins Meer." Sie finden sich mit ihrer Angst ab und vermeiden die Konfrontation. Diejenigen, die sich ihrer Angst aber stellen wollen, müssen genau wissen, wie weit sie gehen können.
"Man muss bei dieser Form von Angst vorsichtig sein", meint der Psychotherapeut. Anders als bei anderen Phobien bestehe hier beim wortwörtlichen Sprung ins kalte Wasser eine reale Gefahr für Leib und Leben. "Das Problem hat man bei vielen anderen Phobien nicht."
Konfrontation mit der Angst
Diese Worte gehen mir durch den Kopf, als ich mich auf den Selbstversuch vorbereite. Der ursprüngliche Plan sah die Radikaltherapie vor – einen Sprung in einen See. Am Ende wurde es dann doch nur ein zwar weniger spektakuläres, dafür aber wesentlich sichereres Fußbad. Mangels Meers in der näheren Umgebung hatte ich mir dafür den See im Naturschutzgebiet Schwenninger Moos auserkoren.
Geparkt wird auf dem Parkplatz des Fußballvereins. An diesem frischen Spätsommermorgen ist noch nicht viel los, als ich die letzten Meter bis zum Naturschutzgebiet gehe. Und langsam macht sich das mir bekannte Unwohlsein bemerkbar, das noch dadurch verstärkt wird, dass heute zumindest die Füße in das Wasser eintauchen werden.
Evolution als Grund der Angst
Nun würde ich nicht soweit gehen, mich selbst als ein Thalassophobiker zu bezeichnen. Ein unsicheres Gefühl kommt mir aber dennoch, wenn ich am Ufer eines größeren Gewässers stehe. Nicht selten entscheide ich mich dann eben für das Schwimmbad.
Ein dramatisches Erlebnis muss dieser Angst auch nicht immer vorangehen, sagt Barnabas Ohst. "Es kann sein, dass es ein auslösendes Ereignis gab", erklärt er. Andererseits gebe es anscheinend eine evolutionäre Bereitschaft, Ängste gegenüber bestimmten Dingen zu entwickeln. So könne erklärt werden, warum mehr Menschen Angst vor Spinnen als vor Steckdosen haben, obwohl von Steckdosen – beziehungsweise dem elektrischen Strom dahinter – in der Regel eine größere Gefahr ausgeht. "Eine ausschlaggebende Erfahrung muss es nicht geben."
Auch ich selbst kann keinen definitiven Beginn für meine Ängste nennen. Urlaubserinnerungen und Erzählungen von Eltern und Großeltern belegen, dass ich in der Kindheit noch unbesonnen im Meer planschen konnte – ein Gedanke, der bei mir heute für Gänsehaut sorgt.
In einem solchen Fall aber gleich von einer Phobie zu sprechen, soweit will Barnabas Ohst nicht gehen. Schließlich würden wohl die meisten Menschen sagen, dass ihnen Spinnen nicht geheuer sind.
Ein kleiner Schritt
Am Ende des viel zu kurzen Wegs stehe ich am Seeufer und blicke über das ruhige Wasser. Die Hände werden feucht, der Mund trocken. Der rationale Teil meines Verstands weiß, dass direkt am Ufer zwischen meinen Füßen und dem Boden nicht viel Platz sein wird. Und bis auf ein paar kleine Fische ist auch nichts im Wasser zu sehen.

Mittlerweile bedauere ich, dass ich mir keine Gummistiefel für mein Vorhaben besorgt habe – mit dem Gedanken hatte ich im Vorfeld ernsthaft gespielt, ihn aber dann doch verworfen. Also muss ich doch die nackten Füße in das nicht ganz klare Wasser eintauchen. Ich setze mich, die Fußsohlen halte ich einen Moment über der Oberfläche. Dann tauche ich ein in das kühle Nass und sehe, wie sich die kleinen Fische davon machen. Zumindest heute werden sie mich nicht angreifen, denkt sich meine rationale Hälfte und die irrationale Hälfte stimmt zögerlich zu.

Lange hält es mich trotzdem nicht im Wasser. Nach etwa einer Minute ist mein Experiment vorbei und das Ergebnis liegt vor: War die Situation so schlimm, wie gedacht? Nein. Doch den Drang, in den nächsten See zu springen, verspüre ich, trotz meines kleinen Erfolgs, noch immer nicht. Bis auf Weiteres bleibe ich deshalb beim gechlorten Wasser des Schwimmbads, in dem mit Sicherheit nichts Unbekanntes lebt.
Drei Fragen an Psychotherapeut Barnabas Ohst
- Wie häufig tritt diese Art von Phobie unter Menschen auf?
Laut dem Angst-Experten Barnabas Ohst wird davon ausgegangen, dass etwa jede zehnte Person unter einer spezifischen Phobie leidet, zu der auch die Thalassophobie gehört. Wie viele an genau dieser leiden, ist schwer zu sagen, da sie oft nicht behandelt wird, weil sich die betroffenen Menschen damit arangieren. Er schätzt die Zahl der Thalassophobiker unter den genannten zehn Prozent bei 0,1 Prozent.
- Worin liegen die Gründe für diese Form der Angst
Hauptursache für diese Angst ist laut dem Experten das Unbekannte. Betroffenen macht der Gedanke Angst, nicht zu wissen, was sich in dem Wasser befindet. In der Vorstellung werden dann Bilder von Haien, Kraken und anderem Meeresgetier gezeichnet. Aus diesem Grund haben Thalassophobiker meisten auch kein Problem mit Schwimmbädern, da die Becken gut ausgeleuchtet sind und der Beckenboden sichtbar ist.
- Wie sieht eine erfolgsversprechende Therapie aus?
Das ist, so der Experte, von Person zu Person unterschiedlich. In Extremfällen wird der Patient oft zunächst mit Bildern und Videos an das Thema herangeführt. In weniger ausgeprägten Fällen ist es auch möglich, den Phobiker ein Stück weit ins Wasser zu lassen. Dies sollte aber unter professioneller Aufsicht geschehen, da bei einer Panikattacke die Gefahr besteht, zu ertrinken. Professionelle Hilfe für die Therapie gibt es zum Beispiel bei der Psychotherapeutische Ambulanz für psychische Störungen der Universität Freiburg.