Mitte April entstand am Konstanzer Hafen Tumult. Eine bunte Truppe vorwiegend graubärtiger Männer macht Rabatz. „Revolution, Freiheit, Hecker hoch!“ ist die Parole, unterbrochen vom Knallen zweier mitgeführter Kanönchen, die akustisch untermalen, um was es hier geht: Die Erinnerung wachzuhalten an den April vor 175 Jahren, als Friedrich Hecker und sein Mitstreiter Gustav Struve in Konstanz ihren Zug formierten, um singend, lärmend und politisch deklamierend auf Karlsruhe zu marschieren: Baden sollte eine Republik werden!

Wie vor 175 Jahren: Hobby-Revolutionäre in Hecker-Tracht auf der Konstanzer Marktstätte. Sie tragen Schwarz-Rot-Gold und führen ...
Wie vor 175 Jahren: Hobby-Revolutionäre in Hecker-Tracht auf der Konstanzer Marktstätte. Sie tragen Schwarz-Rot-Gold und führen Mini-Kanonen mit sich. | Bild: Aurelia Scherrer

Die kurzzeitige Machtübernahme des republikanischen Dreibunds aus Konstanzer Rosgartenmuseum, Hecker-Gruppe Klettgau-Riedern und Schwarzwaldverein lenkte den Blick auf badischen Eigensinn in bester liberal-demokratischer Ausformung, wie ihn die Revolution von 1848/49 hervorbrachte. Das ist mehr als nur Folklore, das hat – denkt man an die neue Konjunktur autoritärer Regierungen auch in Europa – eine ungebrochene politische Brisanz.

Das Erbe fließt 1948 in Grundgesetz ein

Wofür die Hecker-Truppe über den Schwarzwald ins Rheintal zog – Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit und die fürstenfreie demokratische Teilhabe aller Volksschichten – wurde in der Schlacht bei Kandern dann zwar blutig in den Boden gestampft, „ist aber inhaltlich letztlich nicht gescheitert“, wie Tobias Engelsing, Direktor des Rosgartenmuseums, betont. Er verweist auf den Grundrechtskatalog des Bonner Grundgesetzes, dass 100 Jahre nach der Revolution maßgeblich von deren Forderungen mitgeschrieben wurde.

Konrad Adenauer (stehend) im September 1948 als Präsident des Parlamentarischen Rats, während der Stimmzählung für die Abstimmung über ...
Konrad Adenauer (stehend) im September 1948 als Präsident des Parlamentarischen Rats, während der Stimmzählung für die Abstimmung über das Grundgesetz. Links eine der „Mütter des Grundgesetzes“, Helene Wessel. | Bild: dpa

Sich das heute ins Gedächtnis zu rufen, befruchtet die politische Allgemeinbildung und ist seit langem Stoff für den Schulunterricht. Allerdings brüten die Schüler nur über blutleeren Quellentexten, die reale Anschauung der Revolution, ihrer Männer und Frauen, fehlt aber. Genau hier setzt das Konzept der neuen Ausstellung „Jetzt machen wir Republik!“ im Kulturzentrum am Konstanzer Münster an.

Revolutions-Parcours im Kulturzentrum

In dortigen Richental-Saal haben die Erinnerungs-Experten einen in die Farben Schwarz-Rot-Gold gekleideten Revolutions-Parcours gesetzt. Der Kampf der mutigen Republikmacher wird in originalen Artefakten und Memorabilia greifbar, etwa in einer verblichenen, ehemals blauen Heckerbluse oder dem teilweise fast mittelalterlichen Waffenarsenal mit Sensen und Hellebarden, die die Hecker-Leute samt Vorderlader-Flinten mit sich führten.

Dieses Freischärler-Hemd war früher einmal blau. Die Farben Rot und Blau erinnerten an die Französische Revolution und deren Parole ...
Dieses Freischärler-Hemd war früher einmal blau. Die Farben Rot und Blau erinnerten an die Französische Revolution und deren Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ | Bild: Alexander Michel

Der martialische Aufzug sollte allerdings nicht zu falschen Schlüssen verleiten: Die badischen Radikaldemokraten hatten keinen Feldzug oder einen Guerilla-Krieg gegen die Fürstentruppen geplant, sondern eine Art langen Marsch, dem sich aus allen Himmelsrichtungen Unterstützer anschließen sollten, um schließlich „ohne einen Schuss abzugeben“, wie Tobias Engelsing sagt, die alten Throne und Machtverhältnisse zu beseitigen.

Diese Kanone aus dem Arsenal der Stadt Konstanz führten die Freischärler mit. Sie kam nach der Niederlage 1848 ins Karlsruher Zeughaus ...
Diese Kanone aus dem Arsenal der Stadt Konstanz führten die Freischärler mit. Sie kam nach der Niederlage 1848 ins Karlsruher Zeughaus und 1871 nach Intervention des Konstanzers Ludwig Leiner an den Bodensee zurück. | Bild: Alexander Michel

Friedlich sollte es zugehen, Musketen, Kavalleriesäbel und eine Konstanzer Salut-Kanone sollten die politische Tatkraft eher optisch untermalen und die Unentschlossenen motivieren, bei der großen Sache mitzutun. Doch die Fürsten unter Führung des Preußenkönigs Wilhelm IV. reagierten gnadenlos ernst und rücksichtslos mit moderner Waffentechnik.

Ausstellung und Film im Konstanzer Kulturzentrum

Auch das neue Zündnadelgewehr, gegen das die Freischaren mit Pulver und Ladestock keine Chance hatten, findet sich in den Vitrinen. Hier Tschakos und Pickelhauben der professionellen Linientruppen, dort der italienisch-stämmige Kalabreser-Hut mit Feder, mit dem die Republikaner stimmungsvoll ihre Gesinnung zeigten.

Friedrich Hecker ist wieder (fast) zum Leben erweckt. Sein Kavalleriesäbel gehört eigentlich an einen Pferdesattel, die Stiefel stammten ...
Friedrich Hecker ist wieder (fast) zum Leben erweckt. Sein Kavalleriesäbel gehört eigentlich an einen Pferdesattel, die Stiefel stammten von einem Bodensee-Fischer. Die Vorderlader-Flinte war 1848 schon veraltet. | Bild: Alexander Michel

Ein Höhepunkt des Rundgangs ist das Ebenbild Friedrich Heckers, lebensecht angefertigt vom Schweizer Präparator Marcel Nyffenegger. Die Linke des auferstandenen Freiheitskämpfers umfasst ein Gewehr, die Rechte deutet auf die unsichtbaren Reaktionäre oder verhandlungsbereiten liberalen Realos, die Parlamentarismus und Monarchie zusammen dachten. Die Beine des militärisch unerfahrenen Mannheimer Juristen stecken nicht in Soldaten-, sondern in Fischerstiefeln, wie man sie rund um den Bodensee damals getragen hat.

Hecker-Anhänger wurden hingerichtet

Dieser politische Schinderhannes hatte das Glück, den Erschießungskommandos in der Festung Rastatt zu entgehen. Ohne Anklage, Beweisverfahren und Gerichtsurteil wurden dort 20 Hecker-Männer vor das Peloton gestellt. Ihr Anführer entkam 1849 in die USA, wo er – ein ungebrochener Aktivist – für Abraham Lincoln wahlkämpfte und zu Beginn des Bürgerkriegs 1861 ein Regiment aus deutschen Einwanderern aufstellte.

In der Uniform der Nordstaaten im Sezessionskrieg: Friedrich Hecker als US-Colonel. Die militärsichen Operationen seiner Truppe überließ ...
In der Uniform der Nordstaaten im Sezessionskrieg: Friedrich Hecker als US-Colonel. Die militärsichen Operationen seiner Truppe überließ der Badener Offizieren, die ihr Handwerk in West Point gelernt hatten. | Bild: Rosgartenmuseum Konstanz

Der Säbel, den der Emigrant damals trug, hat – ebenso wie seine alten Duellpistolen – den Weg aus den USA nach Konstanz leihweise und erstmals seit 1849 gefunden.

Eine Leihgabe aus den USA: Der Degen von Oberst Friedrich Hecker, Kommandeur eines Nordstaaten-Regiments im Sezessionskrieg von 1861-1865.
Eine Leihgabe aus den USA: Der Degen von Oberst Friedrich Hecker, Kommandeur eines Nordstaaten-Regiments im Sezessionskrieg von 1861-1865. | Bild: Alexander Michel

In den USA leben viele Nachfahren von Hecker, die stolz auf ihren prominenten Vorfahren sind und am heutigen Dienstag beim Festakt im Konstanzer Insel-Hotel teilnehmen werden.

Ebenfalls als Leihgaben seit 1848 erstmals wieder in Deutschland: Heckers Vorderlader-Pistole (vorn) und das Etui mit seinen ...
Ebenfalls als Leihgaben seit 1848 erstmals wieder in Deutschland: Heckers Vorderlader-Pistole (vorn) und das Etui mit seinen Duell-Pistolen. Technik aus dem 18. Jahrhundert. | Bild: Alexander Michel

Die Revolution von 1848 ist indes nicht nur ein Teil der deutsch-amerikanischen, sondern auch ein Teil deutsch-schweizerischer Geschichte. In Druckerzeugnissen wie den in Herisau im Kanton Appenzell verlegten liberalen „Seeblättern“ verdeutlicht die Ausstellung die Rolle von Schweizer Verlegern bei der politischen Meinungsbildung im Vormärz. Durch Schmuggler-Kolonnen gelangten die Blätter über den Bodensee nach Baden oder sie wurden von Bäuerinnen unter ihren Röcken über die Grenze geschafft.

Durch politisch liberale Druckerzeugnisse wie die „Seeblätter“ (Mitte) befruchteten Schweizer Verleger aus den grenznahen ...
Durch politisch liberale Druckerzeugnisse wie die „Seeblätter“ (Mitte) befruchteten Schweizer Verleger aus den grenznahen Kantonen die revolutionäre Bewegung in Baden. | Bild: Alexander Michel

Zahlreiche Freischärler suchten nach der Niederlage von Kandern im Aargau, dem Thurgau oder in Appenzell Zuflucht. Die Schweizer Landgemeinden versorgten die Exilanten, obwohl die wirtschaftlichen Verhältnisse das nur unter eigenen Entbehrungen erlaubte. Die preußische Regierung übte schließlich auf die Schweiz Druck aus, indem sie für die angeblich gestohlenen Militärpferde der Aufständischen finanziellen Schadenersatz verlangte.

Memorabilia wie Lithografien, Druckschriften, Pfeifenköpfe, Hecker-Figurinen aus der Manufaktur Zizenhausen (rechts) oder ein hoher ...
Memorabilia wie Lithografien, Druckschriften, Pfeifenköpfe, Hecker-Figurinen aus der Manufaktur Zizenhausen (rechts) oder ein hoher Hecker-Hut mit Band und Federn hielten in vielen Wohnstuben die Erinnerung an den streitbaren Demokraten von 1848/49 wach. | Bild: Alexander Michel

Indes macht die Ausstellung deutlich, wie die Reaktion das Ansehen der Revolutionäre durch Karikaturen ins Lächerliche zog. Die Anhänger Heckers werden als weinselige Trunkenbolde gezeichnet, der gescheiterte Fürstengegner verdrückt sich mit Regenschirm und Reisetasche ins Exil. Doch das, wofür er stand, trug letztlich den Sieg davon. Der liegt in einer Kiste am Ausgang. Es sind Exemplare des Grundgesetzes – zur Gratis-Mitnahme bereit.

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