Titelverteidigerin, Favoritin und Lokalmatadorin, mehr Superlative als Liane Lippert, die aktuelle deutsche Nummer eins, bei den Deutschen Straßenradsport-Meisterschaften in Bad Dürrheim auf sich vereinen kann, gehen kaum. Ob es mehr Lust oder Last ist, ist für sie schnell beantwortet.

„Es ist super, dass endlich wieder einmal eine Deutsche Meisterschaft im Süden stattfindet und dann noch in meinem Trainingsgebiet. Ich freue mich sehr, vor den Fans aus der Heimat fahren zu können, egal ob es am Ende erfolgreich ist oder nicht“, sagt sie. „Wenn es klappt, ist es super, wenn nicht, freut sich eine andere Sportlerin über das DM-Trikot.“

Die Friedrichshafenerin macht aber keinen Hehl daraus, dass es eines ihrer großen Saisonziele ist, das weiße Jersey mit den schwarz-rot-golden Bruststreifen auch bei den weiteren Saison-Highlights wie Giro d‘Italia und Tour de France tragen zu dürfen. Es wäre ihr dritter DM-Titel, der zweite in Folge – und dafür überlässt sie nichts dem Zufall.

Perfekte Vorbereitung in der Höhe

Rückblick. Es ist Ende Mai. Liane Lippert befindet sich im Höhentrainingslager in Andorra. Auf knapp über 2000 Metern über Meereshöhe hat sie geraden den ersten Trainingsblock hinter sich.

„Am Anfang muss man sich erst an die Höhe gewöhnen, bis man richtige Belastungen fahren kann“, erklärt die 25-Jährige, die weiß, dass für die richtige Steuerung beim Training in der dünnen Luft viel Erfahrung notwendig ist. Für sie ist das Training in der Höhe neu und deshalb ist sie froh, auf die Expertise ihres Trainers vom Movistar Team zurückgreifen zu können.

Im Frühjahr hatte Lippert sich nach einem Höhentraining auf Teneriffa bei den Klassikern so stark präsentiert wie nie zuvor. Beim Fleche Wallonne verpasste sie ihren ersten Klassikersieg nur um Haaresbreite.

Lediglich die aktuell überragende Niederländerin Demi Vollering war schneller. „Für mich hat sich das wie ein Sieg angefühlt. Auf Augenhöhe mit der aktuell Schnellsten zu sein, war eine tolle Bestätigung“, sagt Lippert über den Erfolg, der ihr viel Selbstvertrauen gab.

Die WM-Vierte Liane Lippert hat beim schweren Radrennen Fleche Wallonne den Sieg knapp verpasst. Die 25-Jährige aus Friedrichshafen ...
Die WM-Vierte Liane Lippert hat beim schweren Radrennen Fleche Wallonne den Sieg knapp verpasst. Die 25-Jährige aus Friedrichshafen musste sich nach 127,3 Kilometern an der bis zu 20 Prozent steilen Mur von Huy nur der Niederländerin Demi Vollering geschlagen geben. | Bild: dpa

Diese Überzeugung wird sie auch in die DM-Entscheidung mitnehmen: „Wenn alles gut läuft, sind meine Chancen gut, den Titel zu verteidigen.“ Die 27 Kilometer lange Runde kommt ihren Fähigkeiten perfekt entgegen.

„Ich kann kurze Anstiege mit sehr viel Duck fahren“, sagt sie. Wenn die Anstiege nicht länger als rund fünf Minuten sind, ist Liane Lippert nur schwer zu schlagen – und das Profil der Schlaufe über die Baar charakterisiert genau diese Art von Anstiegen.

So glaubt Line Lippert auch, dass es keinen Massensprint geben wird, was sich schon fast wie eine Drohung an die Konkurrentinnen anhört. Ihre größten Rivalinnen sieht sie in Ricarda Bauerfeind aus Ingolstadt (Canyon/SRAM Racing) und deren Teamkollegin Antonia Niedermaier aus Rosenheim. Dass beide der gleiche Equipe angehören, ist vielleicht ein Nachteil, könnte aber auch ein Vorteil sein. „Ich bin auf mich alleine gestellt und kann entsprechend mein Ding machen“, sagt Lippert.

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Um am 24. Juni in Bad Dürrheim in Bestform am Start zu stehen, ist alles genau getimt. Nach dem Höhentraining, standen intensive Intervalle mit dem Rad auf dem Programm, um sich nach der längeren Wettkampfpause die Rennhärte wieder zu erarbeiten und an die Belastung in tieferen Lagen zu gewöhnen. Der geplante Start bei der Tour des Suisse wurde zugunsten einer optimalen Vorbereitung auf die Deutschen Meisterschaften und den anschließenden Giro d‘Italia gestrichen. Stattdessen gibt es Trainingseinheiten in der Heimat rund um Friedrichshafen.

Dort hatte im Jahr 2006 auch die Radsport-Karriere von Liane Lippert den Anfang genommen. Dabei hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre gar nicht beim Straßenradsport gelandet. Denn ihr erster Start im Alter von acht Jahren war bei einem Mountainbike-Rennen. Von ihrem Vater, Radsport-Enthusiast und in ihrem Heimatverein RSV Seerose Friedrichshafen für die Jugend zuständig, wurde sie einfach aufs Bike gesetzt und beim Vereinsrennen an die Startlinie gestellt.

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Mit dem Tourenrad hoppelte sie übers Feld. Ergebnis unwichtig, aber es hat Spaß gemacht. Dass der Verein zu der Zeit im Nachwuchsbereich ausschließlich den Straßenradsport betreute und in den ersten Jahren auch Vereinsmaterial zur Verfügung stellen konnte, gaben wohl letztlich den Ausschlag, auf den Asphalt zu setzen.

Der Spaß als Antriebsfeder

Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellen sollte, denn der Spaß blieb über alle die Jahre im Nachwuchsbereich Lipperts wichtigste Antriebsfeder: „Ich hatte mich gar nicht für das Drumherum interessiert, oder was in Zukunft mal sein könnte. Ich wollte einfach fahren, und wenn ich erfolgreich war, umso schöner.“

Erst als sie Juniorinnen-Europameisterin wurde und der erste Profivertrag lockte, wurde das Thema Radsport-Karriere konkreter. Wobei die Bezeichnung Profivertrag der pure Euphemismus war. Nur durch die Zugehörigkeit zur Sportkompanie der Bundeswehr war es in den zwei ersten Jahren möglich, sich ganz auf den Radsport zu konzentrieren. Ab 2019 stockte ihr damaliges Team den Vertrag deutlich auf, was den Weg für die weitere Karriere ebnete, die seither steil verlief.

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Schon ein Jahr später feierte Lippert den ersten Sieg bei einem Rennen der UCI Women World Tour in Australien. Auch durch Corona ließ sie sich nicht von ihrem Weg abbringen. Im vergangen Jahr war sie bei der Tour de France der Frauen die einige Deutsche, die mit der Weltspitze mithalten konnte. Damit sollte klar sein, dass der Titel in Bad Dürrheim nur über die und Lokalmatadorin Liane Lippert gehen wird.