Laura Süßemilch wirkt beim Telefonat mit dem SÜDKURIER entspannt, vermittelt einen zufriedenen Eindruck. Die 1,80 Meter große Frau ist glücklich, gesund zu sein. Und dankbar, dass sie wieder mit dem Rennrad aktiv sein kann. „Ich habe seit dem vergangenen Jahr einen etwas anderen Blick auf das Leben. Ich weiß, was für ein Glück ich hatte“, sagt die 26-Jährige, die bei der Tour de France der Frauen im Sommer 2022 schwer stürzte.
„Gott sei Dank, dass ich noch lebe. Die letzten Tage bin ich durch die Hölle gegangen.“ Das waren damals, eine Woche nach dem schlimmen Unfall, die ersten Worte, die sie an ihre Follower in den Sozialen Netzwerke richtete. Wohlwissend, dass der „Unfall anders hätte ausgehen können“, wie die Ravensburgerin später in einem Interview erklärte.
Mehrere Brüche diagnostiziert
Für Laura Süßemilch haben sich der 21. Juli 2022 und die anschließenden Tage ins Gedächtnis eingebrannt. An Radsport war in dieser Zeit nicht zu denken. „Direkt nach dem Sturz dachte ich schon, dass es das war mit meiner Laufbahn. Ich wusste, es ist was Schlimmes passiert und hatte eigentlich nur den Gedanken, wieder gesund werden zu wollen“, erzählt Süßemilch. Es fällt ihr schwer, über den Unfall zu reden. Auch heute noch. Mit Bedacht wählt sie ihre Worte.
Rückblick auf den Sommer 2022: Zunächst werden zwei Wirbelbrüche diagnostiziert, in einer Klinik Tübingen im Anschluss aber ein weiterer sowie ein Rippenbruch und einer am Hinterkopf. Süßemilch kann sich anfangs kaum bewegen, verbringt die meiste Zeit im Bett. „Das war das schlimmste Erlebnis in meinem Leben. Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt“, erzählt sie.

Doch auch an den schlimmen Tagen gibt es Gründe, positiv zu bleiben. Zum einen ist sie nie alleine. Familie und Freunde unterstützen sie, geben ihr viel Halt. „Ich habe gemerkt, auf was es im Leben ankommt“, sagt die Ravensburgerin, die sich bei den Ärzten in Tübingen zudem bestens aufgehoben fühlte.
„Mir wurde recht schnell versichert, dass ich wieder gesund werde. Als ich gemerkt habe, dass es bergauf geht, war der Ehrgeiz sofort wieder da. Ab diesem Zeitpunkt habe ich nie mehr darüber nachgedacht, aufzuhören.“ Dennoch muss sie sich gedulden. „Ich habe das angenommen und so viel für meine Rückkehr getan, wie ich konnte.“ Drei Reha-Phasen absolviert sie, kämpft sich durch etliche Krafteinheiten – ehe sie nach drei Monaten erstmals wieder aufs Rad darf: „Das war ein super Moment.“
Doch es bleibt schwierig. Süßemilch kommt zwar recht schnell wieder Form, aber die Muskeln machen zunächst nicht mit, sie bekommt Schmerzen. Und natürlich ist die Situation auch mental alles andere als einfach. „Ich musste mich überwinden und hatte bei den ersten Rennen extreme Angst, im Feld zu fahren.“ Deshalb hält sie sich zu Beginn meist nur im hinteren Teil des Feldes auf, um sich Sicherheit zu holen.
Bei ihren ersten beiden Wettkämpfen fährt sie auch nicht ins Ziel: „Ich konnte das vom Kopf her nicht.“ Doch aufgeben? Für Laura Süßemilch ist das nie eine Option! „Rennen für Rennen ist es besser geworden.“ Und heute? „Ich fühle mich gut. Radsport ist meine Leidenschaft, aber nicht mein ganzes Leben. Ich muss es nicht machen, aber ich will es machen.“
Besondere Auszeichnung 2021
Druck macht sich Süßemilch, die auch eine Ausbildung zur technischen Produktdesignerin absolvierte, daher auch keinen. Für die Deutschen Straßenmeisterschaften in Bad Dürrheim und Donaueschingen vom 23. bis 25. Juni hat sie sich daher auch kein konkretes Ziel gesetzt. „Meine Formkurve geht von Woche zu Woche nach oben. Ich möchte topfit an den Start gehen und ein gutes Ergebnis einfahren.“ Im vergangenen Jahr hatte die Ravensburgerin die Ziellinie als Siebte überquert.
Zu welchen Leistungen Laura Süßemilch fähig ist, hat sie in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. 2021 zum Beispiel, als sie mit dem deutschen Bahn-Frauen-Vierer Europameisterin und Weltmeisterin wurde. Der Lohn? Wie Tennisstar Alexander Zverev und die erfolgreiche Weitspringerin Malaika Mihambo gewann Süßemilch bei der Wahl zum „Sportler des Jahres“ 2021 – als Mitglied der besten Mannschaft.

Ein unvergessliches Erlebnis: „Das war ein richtig schönes Gefühl, wir sind mit unserem Team auf einer richtigen Erfolgswelle geritten“, sagt Süßemilch, die auch bei Olympia 2021 in Tokio als Ersatzfahrerin dabei war. Zu einem Einsatz hat es allerdings nicht gereicht.
In Paris 2024 soll das anders werden. „Schon in Tokio habe ich mir vorgenommen, dass ich alles dafür geben werde, in Paris selber an der Startlinie zu stehen. Den Fokus werde ich vor den Olympischen Spielen daher auch voll auf die Bahn legen“, sagt Süßemilch.
Bei der Tour de France der Frauen, bei der im Juli 2022 der schlimme Sturz passierte, wird sie dieses Jahr nicht mitfahren. Die Lust auf Radsport ist bei Süßemilch trotzdem groß. 450 Kilometer fährt sie im Schnitt in der Woche, bei jeder Krafteinheit nach langen Trainingstagen holt sie alles aus sich heraus: „Ich bin ehrgeizig, will immer durchziehen. Ich habe selten Tage, an denen ich keine Lust habe, mich zu quälen für eine gute Fitness.“ Laura Süßemilch weiß eben ganz genau, dass sie Glück hatte. Und genießt es einfach, auf dem Rad um Siege zu kämpfen zu dürfen.