Als die Spieler des 1. FC Rielasingen-Arlen ins Freiburger Schwarzwald-Stadion einlaufen, sind sie überwältigt. „Da habe ich Gänsehaut bekommen“, gibt Abwehrspieler Tobias Bertsch beeindruckt zu. Die ausverkauften Ränge sind in Gelb-Schwarz und Rot-Blau getaucht. Aus tausenden Kehlen singen die Zuschauer das Badnerlied. In einer Kilometer langen Blechlawine durch den Schwarzwald haben die Fans eine stundenlange Fahrt vom Hegau in den Breisgau auf sich genommen. Sie alle wollen dabei sein, beim größten Spiel in der noch jungen Geschichte des 1999 gegründeten Verbandsligisten.

Im sportlichen Alltag der sechsten Liga trifft der Südbadische Pokalsieger Woche für Woche auf den SC Hofstetten, den FC Auggen oder den FV Lörrach-Brombach – jetzt steht ihm in der ersten Runde des DFB-Pokals vor 22500 Menschen Borussia Dortmund gegenüber, Champions-League-Sieger, achtfacher Deutscher Meister, amtierender Pokalverteidiger. Da kann man schon einmal nervös werden wie Christoph Matt, der plötzlich Auge in Auge mit einem der besten Stürmer der Welt auf dem Rasen steht. „Als es losgegangen ist, hatte ich dann aber gar keine Zeit mehr, um über große Namen nachzudenken“, sagt der 21-jährige Rielasinger, der gleich voll aufs Spiel fokussiert ist und sich nach zehn Minuten ein Herz fasst und Pierre-Emerick Aubameyang auf Englisch um dessen Trikot bittet – selbstredend erst nach Abpfiff. Aubameyang nickt, und Matt ist glücklich. Nur einer von vielen kleinen Siegen beim späteren 0:4-Verlierer.

Der erste Befreiungsschlag des riesengroßen Außenseiters. Jubel auf den Tribünen. Die erste Stippvisite im Strafraum des fußballerischen Ruhrpottriesen. Es wird lauter. „Es gab ja Spekulationen im Vorfeld, dass wir zweistellig untergehen“, erinnert sich FC-Torhüter Dennis Klose. „Dafür haben wir das aber sehr gut gemacht“, fährt der 22 Jahre alte Keeper fort, der gleich in den ersten Minuten zeigt, was er in der Jugend des SC Freiburg gelernt hat, in dessen Bundesligastadion die Rielasinger für ihren großen Auftritt umgezogen sind.

Nicht nur das Trikot von Pierre-Emerick Aubameyang (linkes Bild Christoph Matt mit Trainer Jürgen Rittenauer) war begehrt beim Pokalspiel.
Nicht nur das Trikot von Pierre-Emerick Aubameyang (linkes Bild Christoph Matt mit Trainer Jürgen Rittenauer) war begehrt beim Pokalspiel. | Bild: Rössler

Von Anfang an treten die Hausherren im fremden Haus mutig auf. Sie halten forsch dagegen, gewinnen immerhin 41 Prozent der Zweikämpfe und machen den Borussen trotz deren frühen Führung durch Marc Bartra (12.) das Leben schwer. „Ein Fünf-Klassen-Unterschied war nicht zu erkennen“, sagt der Vorsitzende Peter Dreide zu Recht. Es ist ein hartes Stück Arbeit für die Dortmunder. „Die haben das wirklich richtig gut gemacht“, sagt BVB-Trainer Peter Bosz über den südbadischen Verbandsligisten, der fünf Minuten vor der Pause noch durch einen Aubameyang-Elfmeter das 0:2 kassiert. „Der Halbzeitstand war ja schon eine kleine Sensation“, freut sich Jürgen Rittenauer, Trainer des 1. FC Rielasingen-Arlen, der seinem Team „ein Riesenkompliment“ macht: „Die Jungs haben die Vorgaben überragend umgesetzt.“

Die Hegauer sind nicht der destruktive Spielverderber, trotz einer Bilanz von 7:32 Torschüssen und 18:82 Prozent Ballbesitz. Vor allem, als der Respekt erst einmal abgelegt ist. Matt vernascht Weltmeister Andre Schürrle technisch fein, Klose spielt Aubameyang frech aus und Kevin Kling zeigt, dass auch ein Defensivmann den Ball filigran mit der Hacke weiterleiten kann. Die Roten haben sogar zwei gute Chancen im ersten Abschnitt. „Die Rielasinger hatten doch mehr Torschüsse, als ich erwartet hatte“, erklärt BVB-Torhüter Roman Bürki anerkennend.

Auch für einen Plausch unter Kollegen (rechtes Bild mit Kevin Kling, links) war der Gabuner zu haben.
Auch für einen Plausch unter Kollegen (rechtes Bild mit Kevin Kling, links) war der Gabuner zu haben. | Bild: Pisa

Ein kleiner Wermutstropfen

Zu Beginn des zweiten Abschnitts verhindert der Schweizer zweimal den Ehrentreffer für den Dorfverein aus dem Süden, dessen mutigen Auftakt Aubameyangs Lupfer zum 0:3 (56.) ein jähes Ende setzt. „Wir hätten sehr, sehr gerne noch ein Tor erzielt“, sagt Trainer Rittenauer über den einzigen winzigen Wermutstropfen und mahnt für den Verbandsligaalltag an: „Die Abschlussschwäche müssen wir schleunigst ablegen.“ Einmal noch laufen gleich drei seiner Spieler auf Bürki zu, doch die Nerven flattern eben in einem solchen Stadion gegen einen solchen Kontrahenten. Auf der anderen Seite bleibt Torjäger Aubameyang eiskalt und knipst, wenn auch aus Abseitsposition, noch zum 0:4-Endstand (80.), der für den FC-Chef Peter Dreide „zu hoch ausgefallen ist. Die Mannschaft hat das toll gemacht“, lobt er.

So sind die Dortmunder froh, dass sie mit etwas Mühe aber dennoch unter dem Strich eine „Pflichtaufgabe erfüllt haben“, wie der ehemalige Star von Real Madrid, Nuri Sahin, zugibt. „Wichtig ist nur, dass wir eine Runde weiter sind“, sagt auch der Ex-Freiburger Maximilian Philipp erleichtert.

0:4 gegen Borussia Dortmund – ein achtbares Ergebnis aus Sicht des 1. FC Rielasingen-Arlen leuchtet nach Spielschluss von der ...
0:4 gegen Borussia Dortmund – ein achtbares Ergebnis aus Sicht des 1. FC Rielasingen-Arlen leuchtet nach Spielschluss von der Anzeigetafel des Freiburger Schwarzwaldstadions. Bild: dpa

Die Hegauer indessen feiern die Niederlage mit einer Ehrenrunde vor den vielen Zuschauern. „Das war einmalig. Ich habe Gänsehaut bekommen, als unsere Jungs mit diesen unglaublichen Fans La Ola gemacht haben“, sagt der Sportliche Leiter Oliver Hennemann. „Das Ergebnis spielt eine untergeordnete Rolle“, fügt Trainer Rittenauer an, der ins Schwärmen gerät: „Die halbe Region hat uns unterstützt. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Ein Wahnsinnstag.“ Für alle Rielasinger. Und für einen ganz besonders. Noch lange nach Abpfiff steht Christoph Matt in den Katakomben des Stadions, fest umklammert hält er das gelbe Trikot, das ihm Aubameyang wie versprochen und unterschrieben geschenkt hat. „Das wird jetzt eingerahmt und bekommt einen Ehrenplatz“, sagt Matt und strahlt.

Die Verlierer freuen sich über eine tolle Leistung und die vielen Selfies mit den Stars auf ihren Smartphones – und die Gewinner ärgern sich beim Blick auf das Ergebnis bestimmt ein bisschen, dass sie nicht wenigstens ein Tor mehr erzielt haben. So steht da ein Nullvier – und das ist eine Zahlenkombination, die sie nicht wirklich leiden können in Dortmund.

Ungewohnte Rolle: Schiedsrichter Christian Dietz hilft Rielasingens Torhüter Dennis Klose, der einen Krampf hat.Bild: Peter Pisa
Ungewohnte Rolle: Schiedsrichter Christian Dietz hilft Rielasingens Torhüter Dennis Klose, der einen Krampf hat.Bild: Peter Pisa