Herr Kupferschmidt, was ist Ihre Lieblingsfarbe?

Nun ja, natürlich Blau.

Es könnte ja sein, dass Sie trotz Ihrer intensiven Beschäftigung mit dieser Farbe eine andere bevorzugen...

Nein, mir geht es da wie den meisten Menschen. Eine in zehn Ländern durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass Blau in allen zehn am beliebtesten ist.

Wie erklären Sie sich das?

Farbpsychologen sagen, dass wir gerade in einer blauen Ära leben. Wenn Sie sich zum Beispiel die Logos großer Internetfirmen wie Facebook und Twitter anschauen: Die sind meistens blau. Die Farbe wird als sehr entspannend wahrgenommen und ist deshalb gerade in stressigen Zeiten attraktiv.

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Warum nehmen wir sie als entspannend wahr?

Vermutlich liegt das zum einen an unseren Assoziationen zum Meer und dem Himmel. Und vielleicht auch daran, dass sie in der Natur ansonsten selten vorkommt. So können wir uns an ihr kaum satt sehen.

Warum gibt es so wenig Blau in der Natur?

Was wir als blau empfinden, sind Moleküle, die Rot absorbieren. Rot aber ist das Licht mit der niedrigsten Energie. Und das bedeutet: Wenn wir die Farbe Blau erzeugen wollen, brauchen wir ein Molekül, das winzige Energieunterschiede absorbieren kann. Das ist sehr aufwendig, weshalb die Natur das selten macht – jedenfalls bei Pflanzen.

Für Tiere gilt das nicht?

Auch Tiere sind selten blau. Und die meisten von ihnen haben keine blauen Pigmente, sondern sie manipulieren das Licht: Die Lichtwellen der anderen Farben werden so überlagert, dass sie sich auslöschen. Nur das Blau übrig bleibt übrig. Die Natur nutzt dieses Blau manchmal zusammen mit Pigmenten. Wellensittiche zum Beispiel sehen grün aus, weil sie zu diesem Blau noch ein gelbes Pigment produzieren. Bei den blauen Exemplaren handelt es sich um eine Züchtung, bei der die genetische Anleitung für das gelbe Pigment zerstört ist.

Ein grüner und ein blauer Wellensittich. Bei der blauen Variante ist die genetische Anleitung für das gelbe Pigment zerstört.
Ein grüner und ein blauer Wellensittich. Bei der blauen Variante ist die genetische Anleitung für das gelbe Pigment zerstört. | Bild: Silas Stein

In der Romantik galt die blaue Blume als Symbol für Sehnsucht, Liebe und Unendlichkeitsstreben.

Ja, dieses Symbol stammt aus Novalis‚ Roman „Heinrich von Ofterdingen„. Angeblich hatte Novalis nach dem Tod seiner Geliebten von einem befreundeten Maler ein Bild geschenkt bekommen: Es zeigte vertrocknete Kornblumen. Und ich glaube tatsächlich, dass uns solche blauen Blüten ganz anders auffallen als rote oder gelbe. Achten Sie mal bei Hollywoodfilmen wie „Batman Begins“ darauf: Immer, wenn Blumen unsere Aufmerksamkeit erwecken sollen, sind ihre Blüten blau!

Für Goethe hatte das Blau eine „unaussprechliche Wirkung“. Was meinte er damit?

Wenn schon Goethe das nicht aussprechen kann, wie soll es dann mir gelingen? Aber ich will es versuchen: Blau nehmen wir wahr als eine Farbe der Ferne, wir sprechen zum Beispiel von den „blauen Bergen“. Und auch Goethe fand, dass die Betrachtung der Farbe Blau das Gefühl vermittele, sie bewege sich vom Betrachter fort.

Kai Kupferschmidt hat ein Buch über Blau geschrieben: „Blau – Wie die Schönheit in die Welt kommt“ ist im Hoffmann und ...
Kai Kupferschmidt hat ein Buch über Blau geschrieben: „Blau – Wie die Schönheit in die Welt kommt“ ist im Hoffmann und Campe Verlag erschienen (231 Seiten; 26 Euro). | Bild: Julian Laidig

Woran liegt das?

Unser Auge ist so gebaut, dass sich die Lichtstrahlen auf der Netzhaut treffen sollen, um ein scharfes Bild zu erzeugen. Nun lenkt aber unsere Linse rotes und blaues Licht unterschiedlich stark ab. Es ist uns deshalb nicht möglich, bei Betrachtung eines Bildes auf Rot und Blau gleichzeitig scharf zu stellen. Sie müssen sich entscheiden: Entweder stellen Sie auf Rot scharf oder auf Blau. Wenn Sie auf Blau scharf stellen, leistet Ihr Auge genau das, was auch beim Blicken in die Ferne geschieht.

Das heißt, beim Betrachten der Farbe Blau blicken wir eigentlich in die Ferne?

Ja, so kann man es beschreiben.

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Wenn Blau in der Natur so selten vorkommt, ist es ja – außer vielleicht für die Marine – eine denkbar schlechte Tarnfarbe.

In der Tat. Viel eher kann man es sich als Warnfarbe vorstellen. Aber auch das ist umstritten. Denn die Warnfarbe im Tierreich gilt meistens nicht dem menschlichen Auge, sondern anderen Tieren. Und die nehmen Farben oft ganz anders wahr als wir.

Gibt es denn Tiere mit blauer Warnfarbe?

Es gibt knallblaue Vogelspinnen: Richtig toll sehen die aus! Warum sie aber so blau sind, ist völlig unklar. Handelt es sich um ein zufälliges Nebenprodukt? Oder um ein Signal? Gegen das Signal spricht, dass genau die Tiere, die es am ehesten wahrnehmen müssten, gar kein Blau sehen können. Mich fasziniert, wie viele solcher Fragen offen sind: Wir leben im Jahr 2019 und können immer noch nicht erklären, warum es blaue Vogelspinnen gibt!

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Die Konstanzer Künstlerin Sabine Becker malt ausschließlich blau. Sie verwendet dazu Kobaltblau, und schon das Wort verweist auf die problematische Gewinnung: Kobalt wird für Batterien und Smartphones benötigt, sein Abbau im Kongo belastet die Menschen wie auch die Umwelt. Ist Blau das neue Gold?

Das war es schon in früheren Zeiten. Ultramarin zum Beispiel hatte im ausgehenden Mittelalter zeitweise einen höheren Preis als Gold. Von Albrecht Dürer ist ein Brief erhalten, in dem er sich darüber beschwert.

Worin lag dieser Preis begründet?

Ultramarin wurde aus dem Mineral Lapislazuli gewonnen. Und dieser Prozess war sehr aufwendig. Heute kann man Ultramarin künstlich herstellen, was allerdings wegen der dabei entstehenden Abfallstoffe auch wieder umweltschädlich ist. Man sucht deshalb intensiv nach einem umwelt- und gesundheitsfreundlichen Blau.

Blau ist ihre Farbe: Die Künstlerin Sabine Becker vor einem ihrer Werke.
Blau ist ihre Farbe: Die Künstlerin Sabine Becker vor einem ihrer Werke. | Bild: Guido Kasper

Wer sucht da?

Vor allem die Lebensmittelindustrie: Coca-Cola, Mars... Die großen Unternehmen suchen intensiv nach einem natürlichen blauen Farbstoff. Zurzeit sind in Europa für die meisten Zwecke nur drei Farbstoffe zugelassen, alle sind künstlich. Das Unternehmen Mars würde auf die Verpackung zu seinen M&M-Schokolinsen wohl sehr gerne „natürliche Farbstoffe“ schreiben können: ist aber bislang nicht möglich.

Unterscheiden sich eigentlich die Wahrnehmungen von Blau zwischen den Völkern?

Es gibt auf der Welt immer noch Völker, die gar kein Wort für Blau kennen. Sprachhistorisch kann man feststellen, dass es erst die Unterscheidung zwischen hell und dunkel, schwarz und weiß gibt. Dann folgt Rot, danach Gelb, und erst spät unterscheidet der Mensch zwischen Grün und Blau.

Das heißt, manche Völker sind nicht in der Lage, die Farbe des Himmels zu bezeichnen?

So ist es. Dazu gehörten übrigens auch die Griechen zur Zeit Homers. Der im 19. Jahrhundert lebende britische Premierminister William Ewart Gladstone, der ein großer Fan der homerischen Epen war, konnte das gar nicht fassen: Da lebt ein Dichter unter diesem tiefblauen ägäischen Himmel und verwendet kein einziges Mal das Wort Blau! Wie kann das sein? Heute haben die Griechen sogar zwei Wörter für Blau.

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Wir kommen blau aus der Kneipe, machen tags darauf blau, und in manchen Adern fließt blaues Blut: Woher kommt dieser exzessive Gebrauch der Farbe Blau in unseren Redewendungen?

Vielleicht kann man es so erklären: Weil Blau in der Natur so selten vorkommt, sind die Assoziationen mit dieser Farbe wenig greifbar. Deshalb können wir sie auch ganz widersprüchlich einsetzen: einerseits besteht der beste Plan in einer Blaupause, andererseits agiert der Planlose ins Blaue hinein. So eine Bandbreite lassen andere Farben nicht zu.