Der Rock‘n‘Roll ist ein Kind der Rebellion, geboren aus dem Freiheitskampf der afroamerikanischen Minderheit. Doch auch diese Kultur strebte von Beginn an nach Ausgleich. Je diverser eine Band besetzt war, je mehr Facetten des Menschseins und Strömungen einer Gesellschaft in ihr abgebildet waren, desto größer wurde ihr Erfolg.

„Lennon war der Brutale, McCartney der Hübsche, Ringo Starr der Liebenswürdige und Harrison der Ausgeglichene“, beschrieb einmal der Musikkritiker Nik Cohn die Beatles. Mit ihnen verband Supertramp so manches: Auch sie waren allesamt Briten, auch diese Musiker hatten vor ihrem großen Erfolg für längere Zeit in Deutschland ihr Glück versucht, auch hier bestimmte ein kongeniales und zugleich grundverschiedenes Duo die Richtung.

Roger Hodgson – hohe, sanfte Stimme – war der heiter-melancholische Träumer. Bandgründer Rick Davies – tiefer, rauer Blues – dagegen war der ernste politische Pragmatiker. Wer wollte, hörte darin das Zusammenspiel von Tag und Nacht, Yin und Yang, Apollo und Dionysos, ein uraltes Prinzip ästhetischer Bildung.

Drei Merkmale eines Supertramp-Songs

Ein Supertramp-Song lässt sich auf Anhieb an drei Merkmalen bestimmen. Das erste besteht in den beiden so gegensätzlichen Singstimmen, das zweite im obligatorischen Saxophonsolo (John Helliwell), das dritte im synkopischen Klavier- und Keyboardspiel von Rick Davies.

Mit dem Schlagzeug hatte er angefangen, das Klavier kam erst später dazu. Die Reihenfolge ist entscheidend: Es prägt ein musikalisches Selbstverständnis, mit welchem Instrument ein Kind als Erstes in Berührung kommt. Wenn Davies, Sohn eines Seemanns und einer Friseurin, in die Tasten griff, war das vor allem ein rhythmisches Ereignis. Zum Beispiel in „Bloody Well Right“: Fast eine Minute lang ist nichts weiter zu hören als ein lässig improvisiertes Dahinschlendern der rechten Hand, begleitet von denkbar schlichten, dezenten Akkorden in der linken. Ein Ausschlusskriterium für jeden Radiosender, ein Abwürger, Langweiler, Rausschmeißer für jeden flüchtigen Hörer, so möchte man glauben.

1997 mit Produzent Jack Douglas (links) und Saxofonist John Helliwell (rechts) bei einer Pressekonferenz zum Album „Some Things Never ...
1997 mit Produzent Jack Douglas (links) und Saxofonist John Helliwell (rechts) bei einer Pressekonferenz zum Album „Some Things Never Change“. | Bild: ERIC FEFERBERG

Das Gegenteil war der Fall. Als 1974 in den USA die Single zum Album „Crime of the Century“ erschien, war es dieser Song auf der B-Seite, der den in Europa populäreren Hit „Dreamer“ übertraf. Sololäufe auf einem Wurlitzer-Piano hatte man schon viele gehört, aber noch nie mit so raffinierten Synkopen und Akzentuierungen, nie so dramaturgisch durchdacht.

Während sich Hodgson von Sinnsuche und Friedenssehnsucht singend in ätherische Höhen aufschwang, sorgte Davies‘ für die pragmatisch-ironische Erdung. „Guess I‘ll always have to be / Living in a fantasy / That‘s the way it‘s got to be / from now on“: Am besten lebe ich von jetzt an nur noch in der Fantasie, dann hat sich das mit der Sinnsuche erledigt.

Supertramp-Kollege Roger Hodgson bei der „Night Of The Proms“ in Hamburg, 2017.
Supertramp-Kollege Roger Hodgson bei der „Night Of The Proms“ in Hamburg, 2017. | Bild: Daniel Reinhardt

Wie bei den Beatles hielt auch der Kitt zwischen dem ungleichen Paar Hodgson und Davies nicht lange. Wirklich zusammen komponiert hatten sie lediglich „School“ und „Crime of the Century“. Dass sie trotzdem unter jeden Song als Urheber beide Namen nannten (analog zu John Lennon und Paul McCartney), sollte später für Ärger sorgen.

Nach dem Mega-Erfolg des Albums „Breakfast in America“ versuchte Hodgson vergeblich, seinen Partner auf eine poppigere Linie einzuschwören, verließ daraufhin Anfang der 80er-Jahre die Band – im Glauben, die Exklusivrechte an seinen Songs mitzunehmen. Von einer „Abmachung unter Freunden“ spricht er bis heute. Doch Davies wollte von einer solchen Abmachung nichts wissen, ließ auf Konzerten die kommerziell erfolgreicheren Songs seines Ex-Kollegen bald von einem anderen Sänger anstimmen. Und setzte selbstbewusst seinen kantig altmodischen Blues dagegen: „Put on your old brown shoes!“

Cover zu „Breakfast in America“, 1979.
Cover zu „Breakfast in America“, 1979. | Bild: Supertramp

Supertramp, das war die Magie des Yin und Yang in der Musik. Mit dem Verlust seines Gegenparts galt Davies nun zwar als unumstrittener Boss seiner Band. Doch war von dieser nurmehr ein Torso geblieben. Bis zuletzt fanden die Streithähne nicht mehr zusammen (dass auch ihre Ehefrauen daran wohl einen Anteil hatten, markiert eine weitere Parallele zu Lennon und McCartney).

Vielleicht lässt sich dieses Scheitern aber auch umgekehrt erzählen: Der Bandgründer blieb seiner musikalischen Überzeugung treu, zelebrierte den von ihm so geliebten Rhythm and Blues nur umso trotziger, beharrlicher. „Some Things Never Change“ und „Slow Motion“ lauteten die Titel der letzten Supertramp-Alben. Manche Dinge ändern sich eben nie und rast auch die Zeit, sollte man es immer schön ruhig angehen lassen. „If we‘re gonna go, we‘re gonna go in style / Isn‘t that what life is all about?“ – „Wenn wir gehen, dann mit Stil / Ist es nicht das, worum es im Leben geht?“

Am Samstag ist Rick Davies nun tatsächlich gegangen. Er wurde 81 Jahre alt.