Das Schicksal des Paares aus Winterthur und Konstanz ist nur eines von vielen in diesen Tagen. Voller Hoffnung reisen Pärchen an die Grenze, der deutsche Partner wartet schon, doch der Schweizer Lebensgefährte darf nicht einreisen. Der SÜDKURIER habe das Bundesinnenministerium womöglich falsch zitiert, heißt es dort gar, wie uns Leser Christof Meinberger berichtet.

Die Beamten wollten seine Partnerin aus Winterthur zunächst nicht einreisen lassen – obwohl Meinberger die langjährige Beziehung nachweisen konnte. Die Beamten hielten sich an den ursprünglichen Definitionen der sogenannten „triftigen Gründe“ fest, die eine Einreise nach Deutschland erlauben. Eine Trauerkarte zum Tod der Mutter der Lebensgefährtin, in der Meinberger erwähnt war, verhalf schließlich zur Einreise.

Der Fall zeigt, wie chaotisch es nach wie vor an den Grenzen zugeht. Während Ehepartner und eingetragene Lebenspartner sowie getrennt lebende Eltern, die ihre minderjährigen Kinder besuchen möchten, inzwischen meist problemlos über die Grenze nach Deutschland kommen dürfen, hadern nicht verheiratete Paare weiter mit der unklaren Situation. Dabei hat es eindeutige Weisungen seitens des Bundesinnenministeriums gegeben. Ein Rückblick:

16. April

Die Abgeordneten Andreas Jung, Felix Schreiner und Armin Schuster wenden sich gemeinsam in einem Schreiben an den Bundesinnenminister Horst Seehofer. Darin weisen sie unter anderem auf Artikel 6 des Grundgesetzes, der den Schutz der Familie vorschreibt, hin. Sie klagen an, dass Ehepartner, eingetragene und nicht eingetragene Lebenspartner oder Eltern ihre getrennt lebenden Kinder nicht sehen können, weil sie nicht einreisen dürfen bis hin zu pflegebedürftigen Familienmitgliedern, die man nicht besuchen kann.

Noch am selben Tag spricht der Staatssekretär Hans-Georg Engelke mit dem Bundespolizeipräsidenten Dieter Romann. Tenor des Gesprächs: „Die Presse und Bundestagsabgeordnete behaupten, dass selbst Eheleute nicht über die Grenze dürfen, das stimmt doch nicht, oder?“ Doch, das stimmt, sagt Romann. Er bestätigt, was zu diesem Zeitpunkt noch für jeden auf der FAQ-Seite der Bundespolizei zum Einreiseverbot nachzulesen ist.

Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann.
Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann. | Bild: Fabrizio Bensch/dpa

17. April

Das Bundesinnenministerium reagiert. Seehofer lässt eine Weisung aufsetzen, adressiert an den Bundespolizeipräsidenten. Als Behördenleiter der Bundespolizei ist es an Romann, die Weisung seines Vorgesetzten umzusetzen. Darin enthalten: Die Berücksichtigung von Eheleuten, eingetragenen Partnerschaften, des Besuchsrechts von Kindern getrennt lebender Eltern und von pflegebedürftigen Verwandten. Nicht enthalten: Paare, die keine eingetragene Lebenspartnerschaft führen. Doch die Bundespolizei setzt offensichtlich nichts davon um, es bleibt alles beim Alten. Menschen werden an der Grenze abgewiesen, der SÜDKURIER der Falschinformation bezichtigt.

23. April und 24. April

Endlich dringt beim Bundesinnenministerium durch, dass die Weisung nicht umgesetzt worden ist. Mehrere Abgeordnete aus der Region weisen weiter auf die Missstände hin, darunter auch die SPD-Abgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter eine Woche später. Es folgt eine neuerliche Weisung, in der es heißt, dass nicht eingetragene Lebenspartnerschaften zwar „grundsätzlich kein triftiger Grund im Sinne des Einreiseregimes“ seien, „im Einzelfall ist jedoch auch hier nach den jeweiligen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden“.

25. April und 26. April

Den SÜDKURIER erreichen weiter zahlreiche Leserzuschriften, dass selbst Ehepartner nicht über die Grenze gelassen werden. Erst am Sonntag scheint eine Besserung einzutreten, Ehepartner, eingetragene Lebenspartner und Eltern, die ihre minderjährigen Kinder besuchen möchten, kommen größtenteils über die Grenze. Unverheiratete Paare fechten nach wie vor einen scheinbar aussichtslosen Kampf. Wieder wird der SÜDKURIER der Falschinformation bezichtigt – nach Berichten unserer Leser auch von Bundespolizisten.

27. April

Im Laufe des Tages ändert die Bundespolizei die längst veralteten Informationen auf ihrer Webseite. Die Fragen zu Eheleuten und Kinderbesuchen verschwinden, stattdessen taucht eine kleine Liste auf mit eben diesen Ausnahmen, in denen eine Einreise nach Deutschland erlaubt ist. Am Nachmittag folgt ein Tweet eines Sprechers des Bundesinnenministeriums, der eindeutiger nicht sein kann.

Der Screenshot zeigt den Tweet eines Sprechres des Bundesinnenministeriums, in dem die Ausnahmen beim Einreiseverbot in die ...
Der Screenshot zeigt den Tweet eines Sprechres des Bundesinnenministeriums, in dem die Ausnahmen beim Einreiseverbot in die Bundesrepublik eindeutig geschildert sind. | Bild: Screenshot/Twitter

Der SÜDKURIER hakt nach. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagt auf Anfrage, was wir schon wissen: Die Weisung am 17. April habe um Anpassungen bei der grenzpolizeilichen Entscheidungspraxis gebeten. „Im Lichte sich anschließender Erörterungen hat das Bundespolizeipräsidium diese Weisung am vergangenen Freitag (24. April, Anm. d. Red.) umgesetzt.“ Und dann: „Pauschale Behauptungen, diese Weisung werde vor Ort nicht umgesetzt, können wir nicht bestätigen.“

Die Regel, auf die die Sprecher immer wieder verweisen: Die Einreisenden mögen „geeignete Nachweise“ erbringen. Weiter seien Bundespolizisten angewiesen – „wie bisher wohlwollend zu prüfen“, ob eine Privatreise als dringend zu beurteilen sei. Es liegt – natürlich – „im pflichtgemäßen Ermessen“ des Grenzbeamten, dies zu beurteilen.

Ein weiterer Hinweis führt die mögliche Einreise für nicht verheiratete Partner ad absurdum: „Als Kernfamilie gelten Familienmitglieder, die üblicherweise in einer Lebensgemeinschaft zusammen in einem Hausstand wohnen.“ Das würde bedeuten, dass selbst verheiratete Paare, die in getrennten Haushalten leben, keine Familie darstellten. Das wiederum steht im Widerspruch mit Artikel 6 des Grundgesetzes. Darin wird eine Familie als Eltern und Kinder beschrieben, die Ehe ist nicht genauer definiert. Damit will der Gesetzgeber den Schutz eben dieser Familie sichern. Mit der Definition des Bundesinnenministeriums wird sie in Zweifel gezogen.

28. April

Es soll eine Telefonschalte geben zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Bundespolizeipräsidium, wie der SÜDKURIER erfährt. Der Druck auf die Behörden wächst. Bis am Nachmittag drangen keine Informationen des Gesprächs nach außen.

Andreas Jung und Felix Schreiner (beide CDU) sind empört und machen daraus auch keinen Hehl. „Auch ohne Trauschein ist der Besuch des Lebenspartners „triftiger Grund“ zur Einreise, wenn die Partnerschaft belegt werden kann. Das hat das Bundesinnenministerium verfügt und auf seiner Homepage veröffentlicht. An der Grenze werden diese Menschen jedoch weiterhin generell abgewiesen – ohne Hinweis auf diese Möglichkeit.“

Felix Schreiner (links) und Andreas Jung (rechts), hier mit Guido Wolf.
Felix Schreiner (links) und Andreas Jung (rechts), hier mit Guido Wolf. | Bild: Stefan Pichler

Nach wie vor fehlt es nach Auffassung der beiden Abgeordneten an einer entsprechenden Weisung des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam an die Bundespolizeidirektionen vor Ort. „Es ist völlig inakzeptabel und ein untragbarer Zustand, dass dies nicht längst erfolgt ist. Das Vertrauen der Bürger in die Umsetzung geltender Regeln wird dadurch nachhaltig beschädigt“, betonen die beiden CDU-Abgeordneten. Die vom Bundesinnenministerium kommunizierte Regelung müsse durch „eine Weisung aus Potsdam konsequent 1:1 umgesetzt werden“. Entscheidend sei dabei, dass die Neuregelung für Familien und für Lebenspartner mit und ohne Trauschein schnell umgesetzt werde.

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Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter drängt auf Lösungen an den Grenzen. „Mit der abweisenden Haltung der Bundespolizei wird es schwieriger, die Menschen bei der Stange zu halten“, warnt sie mit Blick auf die Infektionsschutzmaßnahmen in der Bundesrepublik, die ohnehin schon große Einschränkungen bedeuten.

Die Redaktion erreichen weiter Leserbriefe von Menschen, die nicht über die Grenze durften. Dann, am späten Dienstagnachmittag, der erste glückliche Anrufer beim SÜDKURIER: Ein Schweizer, der einreisen durfte, um seine Lebensgefährtin in Deutschland zu besuchen, erzählt uns seine Geschichte. Noch am Montagabend war der Mann, der seinen Namen lieber nicht hier lesen möchte, am Grenzübergang Thayngen abgewiesen worden. Über Waldshut sei die Einreise schließlich an diesem Dienstag gelungen. Bleibt zu hoffen, dass er kein Einzelfall ist.

Die Bundespolizeidirektion in Potsdam gibt dem SÜDKURIER trotz mehrfacher Anfragen keine Stellungnahme dazu, wie es zu den unterschiedlichen Auslegungen an der Grenze kommen kann und warum die Weisungen des Bundesinnenministeriums offensichtlich nicht umgesetzt wurden. Die Sprecherin verweist auf die Antwort des Bundesinnenministeriums an diese Zeitung. Die darin enthaltenen Fragen waren völlig andere. Potsdam mauert.

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