Sie ist erst 21 Jahre alt und hat sich schon überlegt, wo ihr Grab liegen soll. Joana Ramstecks Leben hat gerade erst so richtig begonnen, wenn man bedenkt, dass sie statistisch gesehen noch 62 Jahre zu leben hätte, falls alles gut geht, sie nicht ernsthaft krank wird oder bei einem Unfall stirbt. Dann würde man das Jahr 2077 schreiben und sie wäre 83 Jahre alt. Wie sie dann sterben wird und ob sich ihre Vorstellungen bis dahin noch einmal ändern, weiß die junge Frau aus Bad Säckingen am Hochrhein nicht. Sie lebt in einer schönen kleinen Wohnung zusammen mit ihren beiden Katzen Momo und Malique, die neugierig ihre Nähe suchen. Als sie dennoch keine Aufmerksamkeit bekommen, trollen sie sich wieder und strecken sich auf der Fensterbank aus, mit Blick auf die enge Gasse, die an diesem regnerischen Tag dunkel und nass in der Tiefe schimmert.
Wenn sie jetzt sterben würde, dann hätte Joana vorgesorgt. Sie weiß, wie sie bestattet werden möchte, und sie besitzt seit zwei Jahren einen Organspendeausweis. Damit gehört sie zu den 28 Prozent der Deutschen, die bereit sind, im Falle ihres Todes ihre Organe zu spenden. 11 000 Menschen warten in Deutschland auf ein Organ, doch 2014 standen diesen nur 864 Spender gegenüber. Die Zahl der postmortalen, also nach dem Tod erfolgten Organspenden liegt bei rund 3000.
Dass Joana diese Entscheidungen schon getroffen hat, ist sehr ungewöhnlich in ihrem Alter. Sie hat das mit sich ausgemacht, denn mit ihren Freunden hat sie noch nie über den Tod geredet, wie sie erzählt. „Man sieht die Welt als junger Mensch noch anders, und es ist schwer, den Einstieg in ein solches Thema zu finden“, sagt Joana Ramsteck . In der Tat zählt der Tod zu den gesellschaftlichen Tabus, der es Trauernden dann oft auch so schwer macht.
Wenn sich die junge Frau Gedanken über sich und ihr Schicksal macht, dann schert sie sich nicht um Skandale. So lässt sie der Transplantationsskandal von 2012 kalt, als bekannt geworden war, dass Ärzte an fünf deutschen Universitätskliniken Patientendaten manipuliert hatten. Ihre Organe sollen jemandem zugute kommen, der unheilbar krank ist, sagt die junge Frau. Nur die Hornhaut ihres Auges möchte sie nicht hergeben, da sie die Welt durch sie hindurch gesehen hat und es ihr sehr seltsam vorkäme, wenn das nach ihrem Tod ein anderer täte. „Meine Organe sollen jemandes Leben retten, ob die Vergabe dann mit rechten Dingen zugeht, darauf habe ich sowieso keinen Einfluss mehr.“ Sie findet es egoistisch, überhaupt darüber nachzudenken, ob man nach seinem Tod seine Organe spenden möchte. „Man stelle sich vor“, sagt sie, „man steht als junger Mensch da, braucht ein lebenswichtiges Organ und bekommt keines.“
Es war ein Mädchen von sieben Jahren, das Joana nachhaltig beeindruckt hat, damals vor sechs Jahren. Sie war gerade 15 Jahre alt, als sie von der Schule aus ein zweiwöchiges Praktikum machen musste: Sie begleitete Schwestern, Pfleger und Ärzte auf der onkologischen Kinderstation eines Krankenhauses, wo sie dieses Mädchen kennenlernte, das im Sterben lag. Es litt an Leukämie und hatte das ganze medizinische Programm hinter sich, mit Chemotherapie, Bestrahlung und Blutaustausch. Joana besuchte die Schule in Bad Säckingen. Sie las der Kleinen vor, die ihr sagte: „Ich habe keine Angst vor dem Tod.“ Und genau das war es, das die junge Praktikantin beeindruckte. Für das kleine Mädchen war dies der einzige Weg, der sie von ihrem Leiden befreite. Sie hatte die Nebenwirkungen der Therapien tapfer ertragen und trotzdem keine Chance auf Heilung. Seitdem hat die junge Frau immer wieder Sozial-Praktika gemacht, in einem Geburtshaus und verschiedenen Kliniken und ist dort dem Tod begegnet. Inzwischen studiert sie Sozialpädagogik.
Für sie ist es ein schlimmer Gedanke als kompletter Mensch in einem Sarg unter der Erde zu liegen. „Ich möchte auf jeden Fall verbrannt werden“, sagt sie. Doch die Urnenwände auf den Friedhöfen findet sie kalt und unpersönlich: „Da stirbt man so nebeneinander.“ Doch sie möchte es ihrer Familie im Falle ihres Todes so einfach wie möglich machen: Sie hat sich für eine Baumbestattung in einem Friedwald entschieden. Die 21-Jährige mag die Vorstellung, dass ihre Urne an den Wurzeln eines Baumes wäre, aus denen dieser seine Kraft zieht und wächst.
Als sie 17 war, sprach sie ihre Mutter an, ob sie sich nicht mit ihren eigenen Eltern darüber aussprechen wolle, wie sie gepflegt werden möchten und was deren letzter Wille sei. Es dauerte eine Zeit lang, doch dann regelte auch ihre Mutter diese letzten Dinge mit ihren Eltern. Die junge Frau hat eine sehr enge Beziehung zu ihrer Mutter, die ihre Freunde kennt und weiß, wo sie diese im Ernstfall treffen könnte. Joana wohnt im dritten Stock eines alten Hauses, nur wenige Schritte von der historischen Holzbrücke in Bad Säckingen entfernt. Zwei Häuser weiter findet man auch ihr Stammcafé.
In einer Kiste bewahrt sie Briefe auf, die sie an verschiedene Freunde und ihren Bruder adressiert hat und in denen sie sich an schöne Erlebnisse erinnert. Auch kleine Andenken liegen in den Umschlägen. „Ich finde es so wichtig, dass einem etwas bleibt, wenn jemand stirbt.“ Vier Seiten hat sie an ihre Mutter geschrieben und notiert, wie sie sich alles vorstellt. Dazu gehört auch, dass die Freunde, die zu ihrer Trauerfeier kommen, entweder in Schwarz kommen können oder auch in bunter Kleidung, eben so, wie sie möchten.
Monika Pilz-Hönig, 57, Fachanwältin für Erbrecht und Erbschaftssteuerrecht aus Konstanz, rät, einen solchen Brief in eine Dokumentenmappe zu legen, in der wichtige Unterlagen abgeheftet sind. Bestattungswünsche solle man schriftlich festlegen und diese an einem Ort hinterlegen, wo dieses Schreiben im Zweifelsfall auch gefunden wird. „Manche legen es in ein Schließfach und denken nicht daran, dass es im Todesfall eines Erbnachweises bedarf, um das Fach zu öffnen“, sagt sie. Dann könnte es für einen speziellen Bestattungswunsch schon zu spät sein. Es sei ausreichend, dass aus einem bestimmten Verhalten oder aus Äußerungen des Verstorbenen auf einen bestimmten Willen hinsichtlich Art und Weise seiner Bestattung geschlossen werden kann, beispielsweise aus häufigen Äußerungen innerhalb des Familienkreises, sich eine Feuerbestattung zu wünschen.
„Wenn meine Spitzenschuhe und mein Glücksbringer mit mir verbrannt werden würden, dann wäre ich glücklich“, sagt die 21-Jährige, die jahrelang leidenschaftlich getanzt hat. Sie legt einen Stoffhund auf den Tisch, dessen Kunstpelz an vielen Stellen abgeschabt ist, so oft hat sie ihn als Kind geherzt. Den Brief an ihre Mutter möchte sie immer wieder aktualisieren, da auch neue Freunde hinzukommen, und sich ihre Ansichten ändern könnten. So findet sie die Vorstellung schön, wenn einer ihrer Freunde das Gedicht, das er einmal für sie geschrieben hat, bei der Beerdigung vorlesen würde. Auch ihre beiden Katzen kämen im Ernstfall zu ihrer Mutter. Schön, wenn man jemanden hat, dem man Tiere und Dinge, die einem viel wert sind, anvertrauen kann. Und Joana fände es schön, wenn alle abends nach ihrer Beerdigung zusammen etwas trinken gehen.
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