„Die Sterblichkeitsrate bei einer Organtransplantation ist in etwa so hoch, wie erschossen zu werden.“ – „Aber es sollen ja auch schon zwei Leute gleichzeitig erschossen worden sein!“ Als Kathrin verkündet, dass bei ihr eine Niereninsuffizienz festgestellt wurde und nur eine Organspende ihr noch helfen kann, ist das ein Schock für ihren Gatten Arnold.

Der Architekt besitzt die gleiche Blutgruppe wie seine Frau, doch außerdem auch eine Heidenangst vor Organspenden. „Bisher wurde mir schon beim Gedanken an einen Spenderausweis schlecht!“, ist nur eine seiner Erwiderungen auf die dringende Bitte seiner Partnerin. Der Hypochonder ist mit der schwierigen Situation komplett überfordert. Die Angst um die eigene Gesundheit ist groß, schließlich trägt er die Verantwortung für bald 30 Mitarbeiter, wie er selbst zu bedenken gibt.

Eigentlich wollte er an diesem Abend einfach nur einen großen Erfolg seiner Architekten-Karriere zelebrieren. Ein Tisch im Nobelrestaurant um die Ecke ist bereits reserviert. Doch als die besten Freunde des Ehepaars, Diana und Götz, zum Abendessen eintreffen und Götz im Gegensatz zu Arnold ohne langes Überlegen direkt einer Nierenspende für Kathrin zustimmt, rettet die Lage ebenfalls nicht. Vielmehr verschärft es sie nur, denn jetzt steht Arnold noch schlechter da.

Die Besetzung für Stefan Vögels Komödie in der Singener Färbe ist eine Punktlandung. Von links: Katharina Plank, Daniel Leers, Milena ...
Die Besetzung für Stefan Vögels Komödie in der Singener Färbe ist eine Punktlandung. Von links: Katharina Plank, Daniel Leers, Milena Weber, Reyniel Osterman. | Bild: Eric Bührer

Zusätzlich tut sich ein Dilemma vor ihm auf. „Eine Nierenspende ist intimer als Beischlaf“, findet er. Die eigene Niere möchte er aber nur ungern opfern. Götz‘ Ehefrau Diana ist ebenfalls nicht angetan vom impulsiven Angebot ihres Mannes. Sollte sie denn nicht ein Mitspracherecht an den Körperteilen ihres Angetrauten sowie an dessen Unversehrtheit haben? Als kompetente Apothekerin sind ihr immerhin die Risiken einer solchen Operation höchst bewusst, von den möglichen Folgeerscheinungen gar nicht zu sprechen …

„Die Niere“ heißt die Komödie von Stefan Vögel, die das Ensemble der Singener Färbe jüngst auf die Bühne gebracht hat, grandios inszeniert von Färbe-Urgestein Elmar F. Kühling. Die Besetzung ist dabei eine Punktlandung. Die Schauspieltruppe blüht in ihren Rollen förmlich auf. Daniel Leers, der bei einigen der vorangegangenen Produktionen mitgewirkt hat, mimt überzeugend den egozentrischen Karrieremann. Im schicken Anzug gibt er zunächst den von sich selbst überzeugten Architekten, der im Verlauf des Geschehens mehr und mehr in sich zusammenfällt.

Gegenüber den beiden Damen kann er sich aber nur schwer behaupten. Milena Weber bietet als seine Frau die ideale Gegenspielerin, die – obwohl zunächst ein schwer krankes Häufchen Elend – ihren Ehemann schließlich an die Wand spielt. Die Rolle eröffnet Weber dankbarerweise genügend Raum, um Einblicke in ihr kontrastreiches Schauspiel-Repertoire zu geben. Mal ist sie die aufgelöst dem Tod Geweihte, mal die triumphierende Rachegöttin. Der gebürtigen Hannoveranerin steht beides gut.

Daniel Leers und Milena Weber in „Die Niere“.
Daniel Leers und Milena Weber in „Die Niere“. | Bild: Eric Bührer

Unterstützt wird Weber von Neuzugang Katharina Plank. Die junge Schauspielerin hat erst ihre Ausbildung beendet, hat aber schon einige Erfahrungen in Fernsehformaten vorzuweisen; 2021 war sie unter anderem in „Die Rosenheim-Cops“ und „Watzmann ermittelt“ zu sehen. Als Apothekerin Diana ist sie eine Bereicherung für die eingespielte Gruppe und eine kompetente weibliche Verstärkung für Weber.

Reyniel Ostermann ist ebenfalls mit von der Partie, mal wieder in seiner Paraderolle als liebenswürdiger Träumer. Während die moralischen Verfehlungen seine Mitspieler nacheinander auf den Tisch kommen, ist Götz ahnungslos entweder im falschen Moment zur Stelle oder in der entscheidenden Situation nicht da. So oder so zieht Ostermann die Sympathien des Publikums auf seine Seite.

Während es zwischen den verschiedenen Charakteren bunt zur Sache geht, ist das Bühnenbild zurückhaltend. Lediglich eine weiße Wand bildet die Kulisse, doch die zwischenmenschlichen Abgründe, die sich auf der kleinen Bühne auftun, sind imposant genug. Auch aufgrund der räumlichen Nähe fühlt man sich meist ohnehin ins Geschehen einbezogen. Dass die Pointen wie am laufenden Band zwischen den Darstellern nur so hin und her fliegen, verstärkt den Effekt: Man kommt beim Zuschauen kaum aus dem Lachen heraus. So ernst die Thematik eigentlich sein mag – in der 90-Minuten-Vorstellung wird sie bitterböse auseinandergenommen.

Brisant und doch unterhaltsam

Der aus Bludenz im Vorarlberg stammende Drehbuchautor Stefan Vögel konnte bereits einige Erfolge mit seinen Komödien feiern. Mit „Die Niere“ ist es ihm nun gelungen, nicht nur die Lachmuskeln anzuregen, sondern ein durchaus brisantes Thema unterhaltsam aufzugreifen. Nach wie vor ist der Bedarf an lebensrettenden Organtransplantationen hoch. 2019 spendeten lediglich 932 Menschen in Deutschland postmortal ihre Organe. Auf der Warteliste stehen jedoch rund 9500 Menschen. Die meisten Wartenden benötigen tatsächlich wie im aktuellen Theaterstück der Färbe eine Niere. Doch die durchschnittliche Wartezeit darauf beträgt stolze sechs Jahre. „Das ist ja länger als die Wartezeit auf einen Telefonanschluss in der DDR!“, wie Protagonist Arnold schockiert anmerkt.

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Da ist ein geeigneter Spender in Familie oder Freundeskreis dann Gold wert. Anders als ein Herz oder eine Lunge kann eine Niere nämlich ebenso wie Teile der Leber auch lebend gespendet werden. Doch lässt man sich im Ernstfall so einfach ein Organ für einen geliebten Menschen entnehmen? Eine gar nicht so einfache Frage, wenn man selbst betroffen ist. Für Arnold, Kathrin, Götz und Diana führt sie nicht nur zu einer moralischen Krise, sondern hält noch so manch andere unerwartete Wendung parat.