Die Schulmedizin hat sie schon aufgegeben, also geben diese drei Todkranken auch die Schulmedizin auf. Bei der einen hat der Krebs sich durch den Magen gefressen, bei der anderen durch die Brust, beim Dritten weiß man es nicht so genau.
Ihnen allen gemeinsam bleibt nur noch die Hoffnung auf ein Wunder. Ein Mann namens Bon Sato hat ein solches angeblich im Angebot, tausend US-Dollar lässt er sich seine Heiltherapie kosten. Für die verzweifelten Patienten kommen die Ausgaben für Anreise und Unterkunft noch obendrauf: Bon Sato lebt nämlich auf Luzon, der größten der philippinischen Inseln. Nur hier wirkt die magische Kraft seiner Hände, und nur deswegen haben sich diese drei ungleichen Paare aus Deutschland in diesem tristen Strandhotel eingefunden.
Das dubiose Geschäft der Wunderheiler hat sich in Südostasien längst zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor entwickelt. Aus aller Welt kommen die Kunden angeflogen, viele in Begleitung ihrer Ehepartner.
Abrechnung mit dem Leben
Sie sehen aus wie Urlaubspaare auf Weltreise, doch statt Erholung oder kultureller Bereicherung geht es bei ihnen um Leben und Tod. Oder geht es vielleicht sogar um noch mehr? Nämlich um eine Abrechnung mit diesem Leben? Und um ein Abfinden mit dem Unausweichlichen?
In Karl-Heinz Otts neuem Roman „Die Heilung von Luzon“ (Hanser) kann man diesen Eindruck gewinnen. Die krebskranke Rikka hatte einst ihr aufregendes Partyleben aufgegeben, um sich von Tom jene bürgerliche Verlässlichkeit zu holen, die alle immer für so wichtig halten. Doch jetzt langweilt er sie mit seinen Lehrergeschichten, Klassenarbeiten und seiner Sehnsucht nach dem Heimatdorf in der bayrischen Provinz. Ist es das wirklich wert gewesen?
Gela schleppt sich seit 20 Jahren an der Seite des abgehalfterten Theaterregisseurs Bock durchs Leben. Obwohl dessen größten Erfolge längst Geschichte sind, gebärdet er sich mit seinen divenhaften Eskapaden, als müsse ihm die Welt zu Füßen liegen. Hätte sie nicht längst den Absprung schaffen sollen? Und ist es nicht jetzt, wo er so krank ist, dafür zu spät?
Otts Figuren, alle zwischen 40 und 60, hadern im Angesicht des Todes mit der Bilanz ihres schmalen, zur Hälfte gelebten Lebens. Und es scheint dabei fast unerheblich zu sein, wer tatsächlich mit dessen baldigem Ende rechnen muss und wer als gesunder Begleiter noch Zukunftspläne hegen darf.
Denn nicht die begrenzte Lebenszeit erweist sich als Problem, sondern die in sie investierten Erwartungen. Da sollte der Abglanz eines vermeintlichen Theatergenies auch das eigene Dasein zum Leuchten bringen. Oder im Gegenteil: der geregelte Alltag eines Pädagogen das eigene ziellose Umherirren in geordnete Bahnen lenken. Sie träumten von wechselseitiger Inspiration, ewiger Liebe, Familiengründung. Und sehen sich nun vor einem Scherbenhaufen.
Die versprochene Heilung ist denn auch mehr eine Läuterung. Mag Bon Sato bei seiner öffentlichkeitswirksamen Körperbehandlung auch noch so kunstvoll Blut und sogar Fleischfetzen spritzen oder fliegen lassen: Wirklich glauben kann an diesen Hokuspokus niemand seiner Patienten so recht.
Am meisten taugt das Spektakel noch dem Regisseur zur Inspiration für sein mutmaßlich letztes Projekt. Auf dem Konstanzer Münsterplatz will er es nämlich noch ein letztes Mal so richtig krachen lassen, blutige Kreuzigungsszenen inklusive.
Subtile Ironie
Dass Ott sich so sehr in seine Karikatur eines Theatertitanen sowie dessen Partnerin verliebt, gehört zu den irritierenden Aspekten seines Buchs. Man würde bei einer solchen Komposition von drei Figurenpaaren eine ausgewogene Aufmerksamkeitsverteilung erwarten.
Doch das zweifellos reizvolle Spiel mit den Klischees des Kulturbetriebs verleitet den Erzähler dazu, seine Geschichte ganz überwiegend aus Perspektive dieses einen Paares zu entwickeln. Das garantiert ein hohes Maß an Unterhaltsamkeit, ist sprachlich oft brillant gelöst und gefällt mit subtiler Ironie. Allein worauf Ott mit dieser unfreiwilligen Wohngemeinschaft eigentlich hinauswill, bleibt etwas vage.

„Wo aber keine Bewegung ist, ist der Tod“, heißt es an einer Stelle. Es ist Eugen, der Mann des dritten deutschen Paares, der mit solch hölderlinhafter Poesie der Wunderheiler-Logik von Licht, Schwingungen und verborgenen Energieflüssen einen seriösen Anstrich zu verpassen sucht.
Schon früh ist absehbar, dass sein bedeutungsschwangerer Satz auf ganz andere Weise Bestätigung finden könnte als beabsichtigt: Denn die Lebenden bewegen sich tatsächlich nur zu gerne. Und zwar fort von ihren todgeweihten Partnern, hin zu neuen, unbelasteten, wenigstens rein körperlich gesunden Kandidaten.
Doch keine Heilung
Findet Gela an Toms Seite doch noch zu einem emanzipierten Selbstverständnis? Und kann umgekehrt der Lehrer Tom mit der Frau aus der glamourösen Theaterszene seinem Leben endlich mehr Bedeutung verleihen? Wo Beziehungen enden und alte Träume platzen, lassen neue nicht lange auf sich warten.
Doch mit Träumen verhält es sich wie mit den versprochenen Wundern der fernöstlichen Schamanen. Je verzweifelter und je intensiver man an sie glaubt, desto härter wird das Aufwachen in der rauen Wirklichkeit. Denn auch wenn der Titel dieses Romans etwas anderes verspricht: Heilung findet auf Luzon niemand.