Was interessiert Sie als Jazz-Sängerin an George Harrisons „Isn’t It A Pity“?
Ich fand es schon immer reizvoll, großartige Songs zu covern. Ich habe nicht den Anspruch, das Original zu übertreffen, ich liebe es einfach, die Songs anderer Leute zu singen. Dahinter steckt kein Kalkül, es passiert eher zufällig. „Isn’t It A Pity” hörte ich zum ersten Mal vor 15 Jahren auf einem Live-Album von Nina Simone namens „Emergency Word!”. Ihre Fassung hat mich umgehauen. Ich habe erst später herausgefunden, dass es sich um einen Song von George Harrison handelt. Der Text ist heute wieder sehr aktuell. Was heute mit unserem Planeten passiert, ist einfach eine Schande!
Wie gehen Sie beim Covern vor?
Ich halte immer an meiner ersten Idee fest, wenn ich mich für ein Cover entscheide. Bei „Isn’t It A Pity” wusste ich sofort, dass ich ein Cello verwenden wollte. Und bei „Mercy Mercy Me” hatte ich spontan das Gefühl, mit A-Cappella-Stimmen arbeiten zu müssen.
Suchen Sie sich immer Songs mit besonders intensiven Texten aus?
Manchmal ist es auch eine Melodie, die besonders stark ist und mich anspricht, aber diesmal lag mein Augenmerk tatsächlich auf den Texten. Ursprünglich wollte ich nur eigene Stücke aufnehmen, aber das hätte sehr viel Zeit gekostet. Deshalb habe ich mich mit verschiedenen Songwritern getroffen, die mir dann sehr persönliche Texte auf den Leib geschrieben haben. Zudem habe ich mir ein Gedicht von Rumi ausgesucht. Es passte perfekt zu dem Stück „In My Heart”, das ich geschrieben hatte. Es fühlte sich an, als hätte Rumi diese tausend Jahre alten Worte extra für mich verfasst.
Mögen Sie Phil Collins Version von „You Can’t Hurry Love“?
(lacht) Das ist einer der Songs, den ich in meiner Jugend ständig im Radio gehört habe. Lange Zeit hielt ich es für ein Original von Phil Collins, aber es stammt von den Supremes. Sehr lustig! Ich habe es mit einer Kalimba aufgenommen, die ich übrigens selbst spiele.
Haben Metallica Ihre Fassung von „Enter Sandman” gehört?
Das war meine größte Sorge: Werden sie meine Version mögen – oder werden sie sie hassen? Werde ich jetzt böse Mails von Metallica-Fans bekommen? Ich habe keine Ahnung, ob die Band meine Version je gehört hat, aber ein Metallica-Anhänger hat sie auf der offiziellen Fan-Seite gepostet. In dem Moment fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen! (lacht)
Gehen Sie manchmal auf Heavy-Metal-Konzerte?
Mein Bruder ist großer Metal-Fan. In Korea war ich mit ihm ein paar Mal auf Konzerten, aber ich konnte mich in diese Musik nicht wirklich einfühlen. Ich habe es nur gemacht, weil es trendy war. Heute habe ich eine andere Beziehung zu Heavy Metal und finde diesen Sound viel interessanter als früher.
Was hat Ihnen das Jazz-Studium in Paris rückblickend gebracht?
Ich habe Jazz studiert in dem Bewusstsein, dass es unmöglich ist, eine zweite Billie Holiday oder Ella Fitzgerald zu werden. Deshalb wollte ich das Studium nach einer Weile an den Nagel hängen und zurück nach Korea gehen. Aber meine Lehrer haben mich ausgelacht. Sie meinten, mit meiner Stimme könnte ich Jazz singen, der ganz anders klingt. Sie empfahlen mir eine Reihe von europäischen Jazzalben. Die Stimmen darauf klangen ähnlich wie mein lyrischer Sopran. Von dem Moment an war mir klar, dass ich niemanden imitieren kann. Ich kann nur das tun, was meine Stimme mir sagt.
Mit welcher Art von Musik sind Sie aufgewachsen?
Traditionelle Musik ist in Korea sehr populär, aber leider nicht zum Mitsingen geeignet, weil sie so kompliziert ist. Es gibt keine Melodien und keine Harmonien. Manchmal wird nur zu Percussionklängen gesungen. Das ist selbst für mich schwer. Um diese Musik zu erlernen, braucht man ein ganzes Leben. Die jüngeren Folkorekünstler in Korea arbeiten immer mehr mit Musikern anderer Genres zusammen. Mein Vater hat den Nationalen Chor von Korea gegründet; meine Mutter hat klassische Musik studiert und in Comedy-Musicals mitgespielt. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich schon sehr früh an die Musik herangeführt haben.
Träumen Sie noch immer davon, in Pjönyang zu singen?
Ja, das würde ich wirklich sehr gerne tun. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir eines Tages wieder ein Land sind. Kein Koreaner hat sich die Teilung je gewünscht, sie ist von außen gekommen. Ich verstehe nichts von Politik, aber eine Wiedervereiniugung wird alles andere als leicht sein. Wenn ich noch so lange leben würde, bis man in Nordkorea wieder auftreten darf, wäre das großartig.
Haben Sie Verwandte in Nordkorea?
Ja, mein Vater stammt aus dem Norden. Ich gehe davon aus, dass ich dort Cousinen und Cousins habe. Leider weiß ich nicht, ob sie noch leben. Es ist uns Südkoreanern nicht möglich, etwas über unsere Verwandten im Norden herauszufinden.
Youn Sun Nah ist am 20. Mai bei Jazz am See in der Evangelischen Gnadenkirche Allensbach zu erleben.
Zur Person
Youn Sun Nah, 49, wurde in Südkoreas Hauptstadt Seoul als Tochter eines Dirigenten und einer Sängerin geboren. Sie selbst erlebte ihr Debüt als Sängerin im Alter von 23 Jahren mit dem koreanischen Sinfonieorchester. Nach mehreren Auftritten in Musical-Produktionen zog sie 1995 nach Paris, um dort an der Jazzschule CIM Jazz und französisches Chanson zu studieren. Nach der Jahrtausendwende spielte sie mehrere Alben ein und tourtde durch Europa sowie Asien. Seit 2009 steht sie beim Label ACT unter Vertrag. Zur Abschlussfeier der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi sang sie eine Kurzversion des koreanischen Volksliedes Arirang. (sk)