Ann-Katrin Hahner

Vor der anstehenden Bundestagswahl im Februar 2025 sorgt die Diskussion über eine mögliche Änderung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Aufsehen. Im Fokus steht der sogenannte Karenztag – ein Konzept, durch das Arbeitnehmer am ersten Krankheitstag nicht bezahlt werden. Was steckt dahinter, und welche politischen Positionen gibt es dazu?

Übrigens: Der Karenztag ist nicht das einzige Mittel, welches diskutiert wird, um die Deutschen zu mehr Arbeit zu bewegen. Auch Teilkrankschreibungen, wie sie in Skandinavien üblich sind, standen hierzulande schon zur Debatte. Das Thema „Krankmeldung“ beschäftigt aber nicht nur die Arbeitgeber. Denn so mancher Angestellter fragt sich, ob er während einer Krankschreibung überhaupt seine Wohnung verlassen darf oder ob er seine Urlaubstage zurückfordern kann, wenn eine Krankheit ihm einen Strich durch die Rechnung macht.

Was ist ein Karenztag?

Ein Karenztag bedeutet laut der Gewerkschaft verdi, dass Arbeitnehmer für den ersten Tag einer Krankmeldung keine Lohnfortzahlung erhalten. Dieses Modell wird in mehreren europäischen Ländern, darunter Schweden, Dänemark, Finnland, Italien und Spanien praktiziert, um Fehlzeiten am Arbeitsplatz zu verringern und die Eigenverantwortung zu fördern. In Deutschland ist ein Karenztag bisher unüblich, denn die Lohnfortzahlung beginnt hier traditionell ab dem ersten Krankheitstag – ein System, das seit Jahrzehnten Bestand hat und im Entgeltfortzahlungsgesetz geregelt ist.

Woher kommt jetzt die Forderung nach einem Karenztag?

Die Debatte um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wurde von Allianz-Chef Oliver Bäte angestoßen, der angesichts steigender Krankenstände in Deutschland vorschlug, die Lohnfortzahlung für den ersten Krankheitstag abzuschaffen. Bäte äußerte diesen Vorschlag in einem Interview mit dem Handelsblatt, nachdem bekannt geworden war, dass deutsche Arbeitnehmer deutlich häufiger am Arbeitsplatz fehlen als in anderen Ländern. Dem Statistischen Bundesamt zufolge waren Arbeitnehmer in Deutschland im Jahr 2023 durchschnittlich 15,1 Arbeitstage krankgemeldet. Ein Report der DAK-Gesundheit vermeldete darüber hinaus, dass die Hälfte der DAK-Versicherten mindestens eine Krankschreibung im Jahr 2023 hatte. Hier habe der Durchschnitt bei 20 Fehltagen pro Person gelegen. Im Vergleich zu den Vorjahren sei der Krankenstand der DAK-Versicherten von 2021 auf 2022 um fast 40 Prozent gestiegen.

Deutschland weise im Vergleich mit anderen EU-Staaten einen vergleichsweise hohen Krankenstand auf, wie das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bestätigte. Aus Schweden, einem Land mit Karenztag, ist etwa ein Wert von durchschnittlich acht Krankheitstagen im Jahr bekannt.

Massives „Blaumachen“, welches den deutschen Arbeitnehmern nach dem Handelsblatt-Interview fast schon reflexartig unterstellt wurde, scheint allerdings nicht der Grund für die hierzulande hohen Zahlen zu sein. Der Bundesärztekammer und auch der Krankenkasse DAK zufolge sind die Gründe für die zahlreichen Krankheitstage in Deutschland vielfältig:

  • Erhöhte Meldequote: Vor der eAU wurden viele Krankschreibungen nicht vollständig gemeldet. Mit der digitalen Übermittlung erreicht die Erfassung nun fast 100 Prozent.

  • Mehr Infektionen: Erkältungswellen und die Nachwirkungen der Corona-Pandemie führten zwangsläufig zu mehr Fehltagen.

  • Unternehmensanforderungen: Viele Arbeitgeber verlangen bereits am ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung, was zu mehr Arztbesuchen und Krankschreibungen führt.

Bei Krankheit künftig weniger Geld? Das sagen Spitzenpolitiker zu dem Vorschlag

Mitten im Wahlkampf ließen führende Politiker den Vorschlag des Allianz-Chefs nicht unkommentiert. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht den Vorschlag eines Karenztages kritisch und nennt ihn eine „Idee, die zulasten der Arbeitnehmer geht“. Er warnte gegenüber dem MDR, dass kranke Menschen aus Angst vor Lohnausfällen zur Arbeit gehen könnten, was nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die der Kollegen gefährde. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnte den Karenztag im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) entschieden ab. Er betonte, dass „die Deutschen keine Drückeberger“ seien, und warnte vor den sozialen Folgen, insbesondere für Geringverdiener und Frauen.

Die FDP hingegen plädiert der dpa zufolge in einem Positionspapier für Anreize statt Sanktionen: Sie schlägt ein Bonusmodell vor, bei dem Arbeitgeber steuerfreie Prämien für jeden Monat ohne Krankmeldung zahlen könnten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte den Karenztag ebenfalls scharf und warnte vor einer erhöhten Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz. Insgesamt herrscht in der Politik und bei Gewerkschaften weitgehend Einigkeit darüber, dass ein Karenztag die falsche Lösung sei.

Klar ist: Die Einführung eines Karenztages würde viele Arbeitnehmer in Deutschland finanziell belasten, insbesondere diejenigen mit niedrigen Einkommen. Zudem könnte die Maßnahme dazu führen, dass kranke Menschen aus Angst vor Lohnausfällen zur Arbeit gehen und dadurch die eigene sowie die Gesundheit ihrer Kolleginnen und Kollegen mit einer Ansteckung gefährden. Angesichts der Tatsache, dass sich einige Parteien bereits gegen die Einführung eines Karenztages positioniert haben und auch die Gewerkschaften gegen die Änderung Sturm laufen würden, ist es derzeit eher unwahrscheinlich, dass eine solche Regelung in Deutschland Fuß fassen würde.

Übrigens: Das Arbeitsverhältnis ist geprägt von Spannungen. Ob der Antrag auf den Urlaub rechtzeitig eingegangen ist oder ob die Überstunden notwendig sind, muss mit so manchem Chef ausdiskutiert werden. Arbeitnehmer fragen sich zudem, ob ihr Vorgesetzter ihnen vorschreiben darf, wann sie Pause machen sollen oder welche Aufgaben sie im Unternehmen übernehmen müssen.