Ann-Katrin Hahner

Die Zahl der Krankschreibungen in Deutschland ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Laut der Techniker Krankenkasse waren Arbeitnehmer 2024 im Durchschnitt 14,1 Tage krankgeschrieben – ein Anstieg im Vergleich zu 13,8 Tagen im Vorjahr. Dieser Trend belastet nicht nur die Betriebe, die allein 2023 dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge rund 76,7 Milliarden Euro für Lohnfortzahlungen ausgaben, sondern auch die Krankenkassen. Vor diesem Hintergrund wird ein Modell aus Skandinavien diskutiert: die Teilkrankschreibung. Doch was könnte dieses Modell für Arbeitnehmer bedeuten?

Übrigens: Im Arbeitsalltag tauchen immer wieder Fragen zu Rechten und Pflichten auf beider Seiten auf. Was passiert, wenn der Chef plötzlich Überstunden einfordert oder neue Aufgaben auf den Tisch legt? Müssen Arbeitnehmer das einfach hinnehmen? Auch Pausen sind ein häufiges Streitthema – wer entscheidet, wann sie genommen werden dürfen? Beim Antrag auf Urlaub sieht es ähnlich aus: Einfach buchen und auf die Genehmigung hoffen? So einfach ist das nicht. Ein Blick in die rechtlichen Grundlagen hilft, Klarheit über Arbeitszeiten, Pausenregelungen und Urlaubsansprüche zu schaffen.

Teilkrankschreibung - Was ist das?

Vereinfacht gesagt erlauben Teilkrankschreibungen Arbeitnehmern, trotz Krankheit stundenweise zu arbeiten. In Deutschland gilt derzeit das Prinzip „ganz oder gar nicht“: Man ist entweder arbeitsfähig oder arbeitsunfähig und hat entsprechend seine Arbeitszeit zu erfüllen oder fernzubleiben. Ausnahmen wie das Hamburger Modell für die Wiedereingliederung nach längeren Krankheiten gibt es, aber eine flexiblere Handhabung bei leichten Erkrankungen fehlt hierzulande.

In Schweden beispielsweise können Ärzte durch die Teilkrankschreibung den Arbeitsumfang eines Patienten auf 25, 50 oder 75 Prozent reduzieren, abhängig von dessen Gesundheitszustand. Bei der klassischen 40-Stunden-Woche würde ein Arbeitnehmer also nur noch 30, 20 oder gar 10 Stunden in der Woche arbeiten.

Ziel dieser Teilkrankschreibungen ist es in Schweden, den Betroffenen eine schrittweise Rückkehr in den Arbeitsalltag zu ermöglichen und gleichzeitig die finanzielle Belastung für den Sozialstaat zu senken, schreibt die schwedische Sozialversicherungsbehörde.

Teilkrankschreibung im Arbeitsrecht: Das sind die Vorteile und Risiken

Die Einführung von Teilkrankschreibungen könnte die Arbeitswelt in Deutschland nachhaltig verändern. Während Befürworter vor allem die Flexibilität und wirtschaftlichen Vorteile betonen, warnen Kritiker vor potenziellen Gefahren für Arbeitnehmer. Im Folgenden ein Überblick über die zentralen Argumente, die von tagesschau.de, dem MDR und WDR sowie dem Spiegel zusammengefasst wurden:

Vorteile

  • Flexibilität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Arbeitgeber profitieren von reduzierten Ausfallzeiten, während Arbeitnehmer nicht vollständig von der Arbeit abgeschnitten sind. Insbesondere Homeoffice bietet hier neue Möglichkeiten, leichtere Aufgaben zu übernehmen, ohne Kollegen direkt zu gefährden.

  • Weniger wirtschaftliche Verluste: Arbeitsmarktexperten wie Nicolas Ziebarth vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) schätzen gegenüber dem Spiegel, dass durch Teilkrankschreibungen Millionen Arbeitsunfähigkeitstage eingespart werden könnten, was der Wirtschaft jährlich Milliarden Euro einbringen würde.

  • Schrittweise Rückkehr: Besonders bei längerfristigen Erkrankungen wie Depressionen oder nach Krebsbehandlungen könnten Teilkrankschreibungen die Rückkehr ins Berufsleben erleichtern und Frühverrentungen reduzieren.

Risiken

  • Druck auf Arbeitnehmer: Kritiker wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) befürchten, dass Arbeitgeber Arbeitnehmer unter Druck setzen könnten, trotz Krankheit zu arbeiten, was langfristig die Gesundheit gefährden könnte.

  • Praktische Umsetzung: Hausärzte warnen, dass es schwierig sei, den genauen Grad der Arbeitsfähigkeit für verschiedene Jobs einzuschätzen. Zudem könnten unterschiedliche Anforderungen an den Arbeitsplatz – etwa Homeoffice-Möglichkeiten – das Modell erschweren.

  • Unklare Finanzierung: In Schweden wird das Gesundheitssystem aus Steuern finanziert, während in Deutschland Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Hauptlast tragen. Eine Umstellung könnte daher bürokratischen Aufwand und finanzielle Herausforderungen mit sich bringen.

Teilkrankschreibung bald in Deutschland? Das sagen die Experten

Die Meinungen zu Teilkrankschreibungen sind geteilt. Befürworter wie Ärztepräsident Klaus Reinhardt sehen in ihnen eine Anpassung an die moderne Arbeitswelt, besonders mit Blick auf Homeoffice und flexible Arbeitszeiten. „Eine praktikable Form von Teilzeit-Krankschreibung für einige Stunden täglich könnte den neuen Möglichkeiten Rechnung tragen und für mehr Flexibilität sorgen“, wurde Reinhardt zitiert. Er betonte gegenüber der Funke Mediengruppe jedoch, dass das Wohl der Patienten immer im Vordergrund stehen müsse.

Die Debatte über Teilkrankschreibungen hat auch in der Politik unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Politiker wie Andrew Ullmann (FDP) und Janosch Dahmen (Grüne) bezeichneten das Modell als zeitgemäße und flexible Lösung für die moderne Arbeitswelt. Ullmann betonte, dass eine freiwillige Regelung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Produktivität fördern und Druck auf Kollegen verringern könne. Dahmen hob hervor, dass Teilkrankschreibungen sinnvoll sein könnten, sie dürften aber weder den Arbeitsschutz noch die Finanzierungssysteme belasten.

Gewerkschaften und der Hausärzteverband lehnen die Idee hingegen ab, wobei der Gewerkschaftsbund die Idee gegenüber der Berliner Morgenpost gar als „absurd“ abtat. Sie argumentieren, dass Arbeitnehmer die Möglichkeit haben sollten, sich vollständig auszukurieren, ohne Druck von außen. Dies geht aus einem Bericht des MDR hervor. Gleichzeitig sehen Arbeitsmarktforscher wie Ziebarth Potenzial in freiwilligen Regelungen, bei denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam eine passende Lösung finden könnten. Dies erläuterte der Arbeitsmarkt-Experte gegenüber der Berliner Morgenpost.

Die Diskussion über Teilkrankschreibungen in Deutschland ist nicht neu und wurde bereits 2018 geprüft. Obwohl das Modell aus Skandinavien besonders für Unternehmen vielversprechend klingt, sind zahlreiche Fragen offen: Wie wird die Teilarbeitsfähigkeit beurteilt? Wie werden Arbeitgeber und Krankenkassen eingebunden? Und wie lässt sich das System finanzieren? Erst, wenn diese Fragen beantwortet werden, kann ernsthaft über eine Einführung hierzulande nachgedacht werden.

Übrigens: Manchmal läuft nicht alles wie geplant, wenn das Kind im Urlaub krank wird oder man selbst plötzlich ans Bett gefesselt ist, stellt sich schnell die Frage, ob die verlorenen Urlaubstage wieder gutgeschrieben werden. Abseits der freien Zeit kann es brenzlig werden, etwa, wenn Fehlverhalten eine Ermahnung nach sich zieht.