Bei den Grünen verläuft die Debatte wie am Schnürchen. Der Vorstand hat den Ablauf mit einer Mischung aus gesetzten und ausgelosten Rednern genauestens festgelegt. Richtig ins Schwärmen gerät der alte und künftige Regierungschef bei der Vorstellung des 162-seitigen Koalitionsvertrags. „Grasgrün“ sei der, sagt er an einer Stelle, aber auch ein „wirklich ehrgeiziges Regierungsprogramm“.
Im Werbeblock seiner Rede spricht Kretschmann „vom grünsten Koalitionsvertrag aller Zeiten nicht nur in Baden-Württemberg sondern in der ganzen Republik“. Da scheint die Erinnerung durch an jenen 1. April, als der Landesvorstand ihm zunächst die Gefolgschaft für die Fortsetzung des grün-schwarzen Bündnisses verweigerte.
Nur an wenigen Stellen Kritik
Nun gibt es Lob von fast allen Seiten. „ Viele Punkte haben wir 1 zu 1 aus unserem Wahlprogramm übernommen“, sagt Landeschefin Sandra Detzer. Ihr Ko-Vorsitzender Oliver Hildenbrand verspricht: „Wir werden die CDU weiter in die Pflicht nehmen.“ Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz hebt hervor, dass die Grünen erstmals das Kultusministerium besetzen können.
Nur an wenigen Stellen gibt es beim Parteitag Kritik. Lena Schwelling, die frühere Sprecherin der Grünen Jugend, nimmt die Kritik der Umweltverbände auf. „Es darf keinen Haushaltsvorbehalt beim Klimaschutz geben“, fordert sie. Zuvor hatte Kretschmann erneut auf die begrenzten finanziellen Spielräume hingewiesen.
Der Esslinger Bundestagskandidat Sebastian Schäfer hat grundsätzliche Zweifel: „Wir wissen, dass wir der CDU nicht vertrauen können.“ Ganz zum Schluss kritisiert der Delegierte Mario Hüttenhofer ausgerechnet die Vereinbarungen zum Klimaschutz als unzureichend und fordert als einziger Redner die Ablehnung. Geholfen hat es nichts. 85 Prozent der Delegierten winken das Papier durch. Vor fünf Jahren waren es 92 Prozent.
CDU mit Verspätung
Auch die CDU segnet bei ihrem digitalen Parteitag den Koalitionsvertrag mit einer Zustimmung von gut 82 Prozent ab, hinkt den Grünen aber nicht nur im Ergebnis, sondern auch zeitlich hinterher. Während die Grünen längst mit allem durch sind, hat bei der CDU am Samstagmittag die angesetzte Aussprache über das Vertragswerk noch gar nicht begonnen.
Das Präsidium tagt in der Stuttgarter Messe, die 302 Delegierten sind per Livestream zugeschaltet. Fast fünf Stunden lang müssen sie an den Monitoren ausharren, bis am Nachmittag endlich das eigentliche Thema des Parteitags ausgerufen wird. Und auch da holpert es: Der CDU-Landesgruppenchef im Bundestag, Andreas Jung, aus Konstanz zugeschaltet, ist an diesem Tag nicht der Einzige, bei dem die Verständlichkeit des Redebeitrags unter mangelndem Breitbandausbau im Land leidet.
Die Veranstaltung beginnt mit Verspätung und einer Überraschung: CDU-Landeschef Thomas Strobl stellt die Landtagsabgeordnete 33-jährige Isabell Huber aus Neckarsulm als neue Generalsekretärin der Landespartei vor. Sie übernimmt das Amt zunächst kommissarisch von Manuel Hagel, der seit wenigen Tagen der CDU-Landtagsfraktion vorsteht. Die Parteitagsregie hat vor die Aussprache ein halbes Dutzend Reden gesetzt.
Landeschef Thomas Strobl spart zunächst nicht mit CDU-Folklore und verteidigt das neuerliche Bündnis mit den Grünen unter neuen Größenverhältnissen, räumt aber dann doch ein, dass es in der auf 24 Prozent zurechtgestutzten, einst so stolzen Partei mächtig rumort. „Die Regierung wird nicht als Feigenblatt für unsere Probleme dienen“, sagt er und verspricht eine „schonungslose Aufarbeitung“ des Wahlergebnisses. „Das war eine riesengroße Enttäuschung, dafür gab es externe Faktoren – aber vieles lag auch an uns selber“, so Strobl.
Niemand fordert, den Koalitionsvertrag abzulehnen
Einen irritierenden Kontrast zu dieser fast demütigen Haltung bildet Gastredner Friedrich Merz, bei dem die Wahl-Botschaft aus dem Südwesten noch nicht angekommen scheint. In einer scharfen Rede, gespickt aus bereits eingemottet anmutendem CDU-Wortbaukasten, grenzt er die CDU mit Hinblick auf die Bundestagwahl von den Grünen ab, malt ein rot-rot-grünes Schreckensbild für den Bund und fordert von der Südwest-CDU, im Herbst an „40 Prozent“ heranzukommen. „In Berlin gibt es keinen Kretschmann“, sagt Merz.
Armin Laschet, der als Gastredner viel später zu Wort kommt, wählt dagegen leisere Töne Doch das digitale Format erlaubt keine Rückschlüsse darauf, wer den Nerv der Südwest-CDU besser trifft.

Als es endlich um den Koalitionsvertrag geht, ist dann alles ganz schnell vorbei. War im Vorfeld noch mit Spannung erwartet worden, ob sich der Unmut von Teilen der Basis über ausbleibende Erneuerung beim Führungspersonal Luft verschaffen würde, bleibt der Aufstand der Basis am Ende aus. Kritiker melden sich nicht zu Wort, schon gar keine Stimme, die fordert, den Koalitionsvertrag abzulehnen.
Der Antrag der JU Südbaden, vor Verabschiedung des Koalitionsvertrags auch die Liste der vorgesehenen CDU-Regierungsmitglieder offenzulegen, wurde entschärft beschlossen. Die Forderung greift erst für künftige Fälle. Und für dieses Mal soll die Landtagsfraktion der Kabinettsliste kommende Woche nur zustimmen, wenn die CDU-Regierungsmitglieder „annähernd“ geschlechtergerecht besetzt sind, alle Landesbezirke berücksichtigt werden und eine Verjüngung stattfinde – Formulierungen, die allesamt dehnbar sind.
Die Hälfte der wenigen Wortmeldungen stammt von Landtagsabgeordneten und Mandatsträgern, die bei den Verhandlungen in den Arbeitsgruppen saßen und ganz viel CDU-Inhalte im Vertrag festgeschrieben sehen. „Und vor allem sehe ich, was alles nicht drin steht und verhindert werden konnte“, sagt etwa Fraktions-Innenexperte Thomas Blenke. Wären da nur nicht die Grünen, die wenige Stunden zuvor klar machten, ihre Ziele auf weiter Strecke durchgesetzt zu haben.